Unter den riesigen Audi-Plakaten am Flughafen steht eine imposante Flotte von BYD, vor den Business-Hotels parken exotische Testwagen mit unaussprechlichen Namen und auf den Fluren sieht man mehr Asiaten als Amerikaner, Engländer oder Skandinavier. Es ist IAA in München und es sieht so aus, als lasse sich die westliche Automobilindustrie im Allgemeinen und die deutsche im Besonderen mal wieder die Butter vom Brot nehmen: "Die IAA der Chinesen" schreibt Autopapst Ferdinand Dudenhöffer über seine Messeanalyse und bringt die Stimmung in der Stadt wenige Tage vor der Eröffnung damit gewohnt populistisch auf den Punkt – und die Liste der Aussteller und ihrer Premieren gibt ihm recht.
BYD Atto 3 Fahrbericht (2023)
BildergalerieDenn wo aus dem VW-Konzern oder der Stellantis-Gruppe nur einzelne Marken wie das Wolfsburger Mutterhaus, Audi oder Opel auf der Messe sind, die Koreaner und die Japaner ganz fehlen und sich auch der Rest der westlichen Ausländer rarmacht, sind auf oder um das Messegelände bald ein Dutzend China-Marken in München unterwegs. Und wo es von den deutschen Konzernen statt kaufbarer Neuheiten allenfalls Wetten auf eine bessere Zukunft zu sehen gibt wie den Opel Experimental oder einen Ausblick auf BMWs neue Klasse, kommt aus China eine ganze Flotte neuer Fahrzeuge, die schon in den nächsten Wochen auch zu den Händlern rollt.
Damit setzt sich fort, was schon im Frühjahr auf der Motorshow in Shanghai befürchtet wurde: Konzerne wie BYD, Nio, FAW, Great Wall oder Chery haben nicht nur zu den westlichen Vorbildern aufgeschlossen, sondern sind drauf und dran, sich an die Spitze zu setzen und beim Heimspiel der deutschen Autobranche einen Auswärtssieg zu erringen.
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BildergalerieDoch Vorsicht vor vorschnellen Schlüssen. Erstens sind die Gastgeber mittlerweile alarmiert und aufgewacht und steuern so langsam gegen. Und zweitens ist der Eindruck von der vermeintlichen Übermacht der Chinesen eine Binnenperspektive, die nur innerhalb der Branche eingenommen wird. "Beim Endkunden ist das so noch gar nicht angekommen", sagt Jan Burgard vom Strategieberater Berylls in München: "Unsere Studien haben gezeigt, dass die wenigsten Kunden chinesische Hersteller überhaupt kennen. Ausnahmen sind Marken wie Polestar oder MG, die aber ja ein gewisses europäisches Erbe haben." Natürlich ist das nur ein schwacher Trost und mit jedem Messeauftritt, mit jeder Anzeige und vor allem mit jeder Zulassung wird sich das ein wenig ändern. Doch ausgemacht ist der Erfolg der Chinesen deshalb noch lange nicht.
Für einen Durchmarsch in Europa braucht es mehr als konkurrenzfähige Autos mit starken Motoren, dicken Batterien und großen Bildschirmen oder spartanische Kleinwagen zu Dumpingpreisen. „Erfolg setzt Bekanntheit voraus“, sagt Burgard und zitiert dafür noch einmal seine Studien. „Denn kaum haben wir den Probanden die Produkte gezeigt, ist das Interesse schlagartig gestiegen und viele wollen die Chinesen in ihre Kaufentscheidung mit einbeziehen.“
Um eine gewisse Bekanntheit zu erlangen, brauche es aber nicht nur Autos auf der Straße und im digitalen Orbit. So sehr die Bedeutung der Online-Vermarktung auch wachse, führe dafür am Händler kaum ein Weg vorbei, sagt Burgard: "Obwohl die deutschen Kunden im Schnitt nur noch etwa einmal zum Händler gehen, um sich für ein Auto zu entscheiden, ist das immer noch ein wichtiger Meilenstein, gerade bei neuen Marken aus China vielleicht sogar der wichtigste. Und genau da tun sich die Newcomer noch arg schwer“, sagt er mit Blick auf den Vertrieb über Elektronik-Märkte oder kunterbunte Mehrmarken-Betriebe.
Nio EL6 (2023)
BildergalerieWas es laut Burgard noch brauche für den Erfolg, das ist eine nationale Organisation, welche die Eigenheiten der jeweiligen Märkte kennt und entsprechend finanzstark ausgestattet ist. Auch da liege aber noch vieles im Argen: Oft würden die Entscheidungen weiterhin in China getroffen, Europa als nahezu homogen betrachtet und Geld nur begrenzt investiert. „Aber so kann das nichts werden“, sagt Burgard.
Eine wichtige Rolle spielt dabei das After-Sales-Angebot: Wer in Europa erfolgreich sein will, der muss den Service und die Verfügbarkeit von Ersatzteilen sicherstellen, selbst wenn Elektroautos weniger wartungsintensiv sind. Wer beim Service schlampt, der verspielt seine Chancen gleich zum Start. „Das wird man dann so schnell nicht glattbügeln können“, erklärt Burgard und macht das zu einem Schlüsselkriterium: „Ändert sich die Einstellung vieler chinesischer Hersteller hier nicht, wird sich bei den meisten auch kein Erfolg einstellen. Insbesondere dann nicht, wenn die Europäer wieder mehr auf ihre Stärken in Handel, Service und Kundenkontakt schauen.“
An den Produkten selbst wird es dagegen kaum mehr liegen, sind die Experten überzeugt: „Die Chinesen haben die Kunden verstanden, ihre Produkte und ihre digitalen Dienste treffen die Erwartungen“, sagt Burgard und sieht sie bei Design, Antrieb und digitaler Ausstattung zunehmend auf Augenhöhe mit der westlichen Konkurrenz.
Viel wichtiger ist deshalb der Preis. Und selbst wenn die Chinesen tendenziell mehr Auto für weniger Geld böten, sei der in Europa meist lange nicht so niedrig, wie gemein hin angenommen: Daheim könnten die Chinesen mit riesigen Preisvorteilen punkten, doch auf dem Weg nach Europa schmelzen die Unterschiede wegen Zöllen, hoher Logistikaufwendungen und den Kosten für lokale Anpassungen und Homologation dahin, erläutert Burgard.
Produkt, Vertrieb, Service - die größten Chancen räumen Experten jenen chinesischen Marken ein, die bei einem niedrigen Preispunkt und einem guten Händlernetz am besten die Erwartungen an Reichweite und digitalem Erlebnis treffen. Obwohl viele Newcomer aus China den Markt von oben nach unten erobern wollen, fällt die Entscheidung dabei nach Burgards Einschätzung nicht in der Premium-Liga. "Die größten Chancen für die Chinesen liegen im Segment unter 25.000 Euro." Dort gebe es aktuell und auf absehbare Zukunft kaum ein Angebot. Aber diese Preisrange entscheidet über den Erfolg der Elektromobilität in Europa. Wenn sich BYD & Co. in diesem Segment positionieren können und damit auch bei uns Geld verdienen, dann haben sie große Chancen“, ist der Berylls-Berater überzeugt.
Ja, auch wenn auf der IAA in München viele fehlen, sind mit den vielen Chinese plötzlich mehr Spieler auf dem Platz als je zuvor. Doch wird das wohl auf Dauer kaum so bleiben, sagt Accenture-Experte Jürgen Reers: "Es ist bislang völlig offen, welche Marken sich langfristig durchsetzen werden." Sicher ist für ihn nur, dass sich der Wettbewerb neu ordnen und dabei vielfältiger wird als bisher. Doch gleichzeitig werde es eine weitere Konsolidierung geben, der einige Marken zum Opfer fallen dürfte, "und das trifft die Chinesen genauso wie die Europäer."