Die Diagnose ist nach wie vor einer der wichtigsten Bausteine im Reparaturprozess, auch wenn dringlichere Themen wie die HU-Scheinwerfer-Prüfung oder Dauerbrenner wie die Abgasuntersuchung ihr in letzter Zeit die Show stehlen. Dabei sind spannende Entwicklungen zu beobachten, wie unsere Umfrage bei Herstellern von Diagnosegeräten zeigt. Denn auch hier haben Themen wie Digitalisierung und Vernetzung immer größere Auswirkungen. Beispielsweise erhält Big Data eine zunehmende Bedeutung. Online-Datenbanken mit herstellerspezifischen Bezeichnungen wie geführte Fehlersuche, erfahrungsbasierte Reparatur, WTI-live oder Google basierte Suche sind für Diagnosesysteme unabdingbar, um die Komplexität der Fahrzeuge abbilden zu können und den Anwender bei der Fehlersuche zu unterstützen.
Noch nicht im Alltag angekommen
Immer mehr Hersteller haben auch das so genannte PassThru-Verfahren im Angebot, auch wenn dieses bislang gerade in freien Werkstätten noch keine große Rolle spielt. Doch die Bedeutung könnte steigen, da "immer mehr Baugruppen im Fahrzeug ohne entsprechendes Lernverfahren vonseiten des Herstellers nicht mehr austauschbar sind", ist Frank Lehmann vom Produktmanagement bei der Actia I+ME GmbH überzeugt. Bei Bosch sieht man darin neue Geschäftsmöglichkeiten für freie Werkstätten. Denn durch das PassThru-Verfahren erhalte die freie Werkstatt Zugriff auf die Originaldaten der Automobilhersteller. So könnten Kundenaufträge, die bislang an Vertragswerkstätten weiter verwiesen wurden, selbst durchgeführt werden.
Auch DoIP (Diagnostic over Internet Protocol) wird sich nach Ansicht der meisten befragten Diagnosegeräte-Hersteller mehr und mehr verbreiten. In den ersten Fahrzeugen wie dem Volvo XC90 ist es bereits verbaut. Einige Diagnosetools weisen daher schon entsprechende Module auf oder lassen sich bei Bedarf erweitern. DoIP zeichnet sich durch einen wesentlich schnelleren Datentransfer aus, ein wichtiger Vorteil. Denn zukünftige Fahrzeuggenerationen werden im ständigen Datenaustausch mit anderen Fahrzeugen, Servicegeräten oder der Infrastruktur stehen.
Bei Bosch verfügen die neuesten Diagnosegeräte, das KTS 560 und 590 sowie das All-in-One-Gerät KTS 350, bereits über eine integrierte Ethernet-Schnittstelle für DoIP. Denn das Unternehmen sieht einen klaren Trend hin zu DoIP bzw. der Kommunikation per Ethernet-Schnittstelle. Die neue Gerätegeneration ist zudem mit einer PassThru-Schnittstelle ausgestattet. Denn in 2017 erwarte man eine deutliche Nachfrage nach Online-Services wie Pass-Thru sowie auf die Online-Werkstattsoftware Esitronic Web. Dank der Web-Nutzung der Software seien keine Updates oder Installationen mehr erforderlich, der Anwender greife immer auf die neuesten Inhalte zu. Auch die Wissensdatenbank "Erfahrungsbasierte Reparatur" (EBR) biete dem Mechaniker professionell aufbereitete Reparaturanleitungen online direkt an seinem Arbeitsplatz. Eine Herausforderung stelle aber teilweise die notwendige Infrastruktur zur Nutzung der Online-Services dar. Denn viele Werkstätten verfügten zwar über Internet in den Büroräumen, aber noch nicht direkt an der Hebebühne.
Auch bei Hella Gutmann Solutions werden Rückmeldungen von Werkstätten erfasst und fließen etwa in Form statistischer Fehlerhäufigkeiten in das Repair-Konzept mit ein. Um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, sind die Diagnosegeräte der mega macs Reihe modular aufgebaut. So sind etwa das mega macs 56 sowie die anderen aktuellen Geräte der mega macs-Palette bereits mit PassThru-Fähigkeit ausgestattet. Anwender müssten daher bei Bedarf nicht zwingend in ein weiteres, neues Gerät investieren. Daneben bietet HGS mit mega macs PC x-Change aber eine kostengünstige Stand-Alone-Lösung für ein zusätzliches PassThru-Notebook oder -Tablet an. Das gibt Werkstätten mehr Flexibilität, da das Flashen häufig viel Zeit in Anspruch nimmt und das vorhandene Diagnosegerät in der Zeit nicht für andere Arbeiten nutzbar ist. Neben PassThru sieht man bei HGS auch die wachsende Bedeutung von DoIP. "Die ersten Fahrzeuge mit diesem zukunftsweisenden Konzept rollen bereits auf den Straßen", so Ralf Gutekunst, Produktmanager bei Hella Gutmann Solutions. Auch hier können vorhandene Diagnosegeräte von HGS auf aktuellen Softwarestand über den neuen Stecker-Adapter "DIVA" DoIP-fähig werden. Und Ralf Gutekunst ist sich sicher: "Mit den zukünftigen Fahrzeuggenerationen, die im permanenten Datenaustausch mit anderen Fahrzeugen sowie mit Portalen stehen, wird sich die Diagnosewelt weiter verändern."
Daten sind wichtig
Bei AVL Ditest nutzt man die so genannte Feedback-Funktion, um wichtige Daten und Informationen zurückzuspielen und zu nutzen. Denn "wer die Daten hat, beherrscht die Welt", weiß Harald Hahn, Geschäftsführer von AVL Ditest um deren Wichtigkeit. Die Nachfrage auf dem Diagnosemarkt bewege sich insgesamt auf einem sehr hohen Niveau, da sich Werkstätten heute durch die rasante Zunahme elektronischer Funktionen an jedem Arbeitsplatz mit einem Diagnosegerät ausstatten müssten. Mit dem neuesten Diagnosegerät MDS 185 NF, der Kommunikationsschnittstelle VCI 1000 sowie der Diagnose-Software XDS ist man bei AVL gut aufgestellt und erwartet auch für 2017 "Verkäufe auf einem hohen Niveau".
In Italien bei Brainbee sieht man ebenfalls den Trend, dem Anwender auch die notwendigen Infos zur Fehlererkennung und Instandsetzung zur Verfügung zu stellen, am besten direkt im Tool abgebildet. Dies wird bei den eigenen Diagnosegeräten über die so genannte geführte Fehlersuche in mehreren Variantentiefen realisiert. Zudem sind die Italiener überzeugt, dass die Software in Zukunft auch im Bereich Diagnose eine immer größere Rolle spielen und in weitere Servicefunktionen integriert wird. Nach dem Expert 3000 und dem Expert XL arbeitet man aktuell an einem neuen Diagnosegerät. Die Neuentwicklung, vielleicht ja ein Expert 4000, soll noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.
Eigentlich auf den Reifenhandel konzentriert, hat auch Rema Tip Top mit dem Profiler Axone S Plus ein Diagnosetool im Portfolio, das durch Softwareupdates vom TPMS zum vollwertigen Diagnosegerät umrüstbar ist. Dies sei eine Notwendigkeit geworden, da selbst bei einfachsten Tätigkeiten die Fahrzeugdiagnose immer wichtiger werde. Die Herausforderung laute: "Diagnoselösungen so zu gestalten, dass sie auch für Marktteilnehmer verwendbar sind, für die der Werkstattservice nicht im Mittelpunkt des Geschäfts steht", heißt es von Rema Tip Top.
Auch bei der Würth Online World (WOW) setzt man auf erfahrungsbasiertes Wissen. In WTI live werden Community-Erfahrung und professionelles Diagnosewissen kombiniert. Denn die statistische Fehlerhäufigkeit gewinne an Bedeutung. Durch die Rückmeldemöglichkeit in der WOW Diagnosesoftware werden entsprechende Daten für die statistische Fehlerhäufigkeit erhoben und können dem Anwender so wertvolle Zeit bei der Fehlersuche ersparen, so das Unternehmen. Eine Herausforderung sieht man bei WOW im Bereich Konnektivität, im Mittelpunkt dabei: die Kundenbindung zwischen Werkstatt und Autofahrer. Denn Hersteller würden Kunden mit der gezielten Aufforderung zum Werkstattbesuch an ihre Händler binden. Hier seien Lösungen für Mehrmarkenwerkstätten gefragt. Man habe bereits technische Voraussetzungen für entsprechende Connectivity-Lösungen geschaffen, heißt es von WOW dazu.
Flexible Zusatzmodule
Mit dem Axone Nemo hat Texa ein neues Diagnosegerät auf den Markt gebracht, das zukunftsweisende Techniken aufweist und wie sein Namensgeber aus "Findet Nemo" schwimmen kann. Das Gerät zeichnet sich neben seinem robusten Gehäuse, dem Display aus Gorilla-Glas und der verbesserten IDC5 Software vor allem durch die Möglichkeit aus, zusätzliche externe Module per Magnetfläche anzuschließen. Etwa das thermodynamische Modul, mit dem Abfragen und Tests an Elektro- und Hybridfahrzeugen vorgenommen werden können. Auch die Diagnose an modernen Fahrzeugen mit ISO Standard 13400 (DoIP) ist mit dem entsprechenden Texa Modul möglich. Der Blick geht also in die Zukunft. Denn die Diagnose im Aftermarket folge immer mit ein paar Jahren Verzug den Entwicklungen bei den Fahrzeugherstellern, weiß man bei dem italienischen Diagnosespezialisten. "Wir werden uns also zukünftig mehr und mehr zum Beispiel um Fahrerassistenzsysteme kümmern und die dafür notwendige Technik zur Verfügung stellen müssen. Elektro- und Hybridfahrzeuge werden immer größere Bedeutung gewinnen, auch da muss die entsprechende Diagnose- und Messtechnik vorhanden sein.
DoIP ist ebenfalls eine Herausforderung", erklärt Werner Arpogaus, Geschäftsführer von Texa Deutschland, und ist überzeugt: "Die Diagnose ist also auch zukünftig fundamental in der Werkstatt, auch wenn aktuell aufgrund vieler gesetzlicher Vorgaben andere Werkstattausstattung mehr im Fokus steht."
Zukunft Remote Diagnose?
Der französische Hersteller Actia hat schon früh auf PassThru gesetzt und auf der Automechanika 2016 sein neues Mehrmarken-Diagnose-Tool MultiDiag 360 vorgestellt. "Damit haben wir die klassische Diagnose um Teileinformation, technische Daten, Fehlersuchhilfen und Fall-Datenbank erweitert. Natürlich unter Verwendung unserer PassThru-Schnittstelle", erklärt Frank Lehmann, Produktmanager Actia. Denn die Fahrzeuge und ihre Fehler würden immer spezifischer und seien somit oft ohne Hilfe des Herstellers nicht mehr reparabel. Neben dem PassThru-Verfahren werde auch die Bedeutung von DoIP in den nächsten Jahren stark anwachsen. "Die meisten Hersteller arbeiten bereits damit, da es langfristig die Kommunikation des Fahrzeuges mit dem Servicebetrieb oder direkt mit dem Hersteller sehr stark vereinfacht", weiß Frank Lehmann. Generell sieht er einen Trend in Richtung Remote Diagnose: "Mit Hilfe von DoIP und entsprechender Datenübertragung werden die Fahrzeugdaten (Fehler/Service) via UMTS/LTE usw. direkt an den Hersteller gesendet. Dem Fahrer werden somit Termine in der Fachwerkstatt vermittelt oder die nächstgelegene Werkstatt zur Fehlerbehebung mitgeteilt."
Kurzfassung
Die Umfrage bei Diagnosegeräteherstellern stellt aktuelle Geräte vor und geht auf Trends und Entwicklungen wie PassThru, DoIP (Diagnostic over Internet Protocol) oder integrierte statistische Fehlerhäufigkeiten ein.
- Ausgabe 01/2017 Seite 20 (480.1 KB, PDF)