Gut zehn Monate, nachdem bei Fiat und Iveco eine Diesel-Razzia durchgeführt wurde, haben viele Fahrzeugbesitzer Anzeige gegen die beiden Hersteller erstattet. Rund 300 lägen inzwischen vor, regelmäßig gingen zudem weitere ein, teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main der Deutschen Presse-Agentur mit. In etwa 90 Prozent der Fälle gehe es um Wohnmobile. Die Ermittlungen betreffen den Verdacht auf Betrug mit sogenannten Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung, die sich etwa 20 Sekunden nach dem Start deaktiviert. Im Juli 2020 hatten Ermittler den Sitz von FCA Deutschland in Frankfurt am Main, Iveco in Ulm sowie weitere Unternehmenszentralen in Italien und der Schweiz durchsucht.
Die Ermittler hatten Käufer von Fahrzeugen mit möglicherweise manipulierten Motoren aufgerufen, sich bei der Polizei zu melden und Verträge und Bescheinigungen vorzulegen. Unter Verdacht stehen die Dieselmotoren 1,3 Liter Multijet, 1,3 Liter 16V Multijet, 1,6 Liter Multijet, 1,6 Liter, 2,0 Liter Multijet, 2,0 Liter, 2,2 Liter Multijet II, 2,3 Liter, 2,3 Liter Multijet, 3,0 Liter aus den Jahren 2014 bis 2019. Die beiden Konzerne haben betont, mit den Behörden zu kooperieren. Geschehen ist bisher jedoch nichts.
Alfa Romeo und Jeep betroffen – aber auch viele Wohnmobile
Neben den Fahrzeugen von Fiat und Iveco geht es auch um Modelle von Alfa Romeo und Jeep. Nach Angaben der Ermittler sind in Deutschland insgesamt mehr als 200.000 Fahrzeuge betroffen, darunter viele Sonderformen wie eben Wohnmobile. In allen soll – wie bei anderen Herstellern auch – eine Technik stecken, die dafür sorgt, dass die Grenzwerte für den Ausstoß von Stickstoffdioxid nur auf dem Prüfstand in einem begrenzten Zeitfenster eingehalten werden. Danach, so berichtet unter anderem der 'Spiegel', überschreiten sie die entsprechenden Grenzwerte um das bis zu 20fache. "Fahrzeuge mit einer derartigen Abschalteinrichtung sind auf dem gemeinsamen Markt nicht genehmigungsfähig, weswegen Kunden Fahrverbote oder Stilllegungen drohen", hatte die Staatsanwaltschaft damals erläutert.
EU-Recht erfordert keine zusätzliche, nationale Prüfung
Die italienischen Behörden hatten die Typzulassung der betroffenen Fahrzeuge genehmigt, nach EU-Recht genügt dies dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt, die Genehmigung ohne weitere Prüfung auch hierzulande anzuwenden. Ob es dennoch zu Stilllegungen und Fahrverboten für die modifizierten Fahrzeuge kommt, ist zurzeit noch unklar. Auf sozialen Medien hat sich in Folge eine Werbewelle von Anwaltskanzleien aufgebaut, die um Mandanten buhlen, die Schadenersatzforderungen stellen wollen. Handlungsbedarf besteht jedoch vorerst nur bei Fahrzeugen, deren Zwei-Jahres-Garantie abläuft. Da es sich vor allem um Modelle mit EU 5- und EU 6-Einstufungen handelt, sind das die Jahrgänge 2014 bis 2019. Motoren mit Euro 6d-Klassifizierung mit Adblue-Einspritzung sind nicht betroffen. Wer vor Ablauf der Garantie Klage einreicht, hat aufgrund der bestehenden Sachmängelhaftung gute Chancen auf eine Entschädigung.
Nachrüstung möglich, vorerst keine Fahrverbote
Bei älteren Fahrzeugen beginnt die 36 Monate dauernde Verjährungsfrist mit Bekanntwerden des Mangels. Sie wird daher erst zum 31.12.2023 enden. Eine Stilllegung müssen betroffene Fahrzeugbesitzer vorerst nicht befürchten. Der Verlust der Betriebserlaubnis könnte erst dann eintreten, wenn der Hersteller einen verpflichtenden Rückruf veröffentlicht, um Änderungen am Fahrzeug vorzunehmen und dessen Besitzer dieser Aufforderung nicht nachkommt. Bisher ist dies jedoch noch nicht geschehen. Unabhängige Anbieter haben bereits erste Nachrüstlösungen angekündigt. Sie sollen mit etwa 7.000 Euro zu Buche schlagen. Allerdings müssten die vor allem bei neueren Fahrzeugen im Einklang mit der Gewährleistung von Fiat Chrysler stehen, die sonst erlöschen würde.
Unterdessen sind ähnliche Mängel auch beim VW T5 bekannt geworden (wir berichteten). Bei diesem Modell hat der Hersteller nach Informationen des 'Spiegel' jedoch nur die Umrüstung von Fahrzeugen finanziell unterstützt, die als Pkw zugelassen sind. Wohnmobile wie der VW California aus den Jahrgängen 2009 bis 2015 blieben bislang davon ausgenommen. Nun signalisiert VW Bereitschaft, diese Kunden mit bis zu 3.000 Euro zu unterstützen. Auch hier sind die Nachrüstungen mit einem SCR-Katalysator und Harnstoffeinspritzung im Gespräch.
Peter Ziegler