Der Skandal um gefälschte Abgas-Messungen bei Volkswagen betrifft nicht nur Diesel-Pkw, sondern auch leichte Nutzfahrzeuge. "Nach unserer aktuellen Kenntnis sind bei Volkswagen neben Pkw auch leichte Nutzfahrzeuge von der unzulässigen Beeinflussung der Emissionen der Diesel-Motoren betroffen", teilte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. Details wurden zunächst nicht genannt. Nach VW-Angaben sind weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge mit eingebauter Manipulations-Software unterwegs - auch in Europa. Ob Deutschland betroffen ist, ist noch unklar. Eine vollständige Liste der fraglichen Modelle liegt bisher nicht vor.
Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass deutschen Verbrauchern aus dem VW-Abgas-Skandal Schadenersatzansprüche entstehen. Wenn eine Kaufsache nicht die vereinbarte Beschaffenheit habe, verletze der Verkäufer seine Pflicht, sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Freitag in Berlin. Das gelte auch, wenn sich der Käufer auf öffentliche Äußerungen des Verkäufers verlassen habe, erläuterte er und fügte hinzu: "Darunter können unter Umständen auch Abgaswerte fallen." Anspruch auf Schadenersatz könne sich immer dann ergeben, wenn das Verhalten des Verkäufers schuldhaft sei. Ob das im Fall der manipulierten Abgaswerte bei VW-Dieselautos der Fall sei, könne man aber noch nicht sagen, die Aufklärung laufe noch. Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte Dobrindt aufgefordert, mit VW einen verbindlichen Rahmen über Entschädigungszahlungen zu vereinbaren.
Die Grünen im Bundestag verlangen von der deutschen Autoindustrie eine umfassende Offenlegung von Verbrauchs- und Abgaswerten. In einem Brief an den Präsidenten des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, fordert Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter angesichts des Abgas-Skandals bei Volkswagen eine "umfassende Transparenzoffensive". Nur Offenheit könne den Schaden für die Branche begrenzen. "Aus diesem Grund müssen die deutschen Autokonzerne dringend sämtliche Informationen zum Stickoxid-Ausstoß der in Deutschland gebauten Diesel-Modelle offenlegen", heißt es in dem am Freitag verbreiteten Brief, über den zuvor bereits die "Neue Osnabrücker Zeitung" berichtet hatte.
Wissmann warnte am Freitag auf der IAA davor, die ganze Branche "wegen des Fehlverhaltens Einzelner" an den Pranger zu stellen: "Pauschalurteile über VW und seine 600.000 Mitarbeiter weltweit, gar über die ganze Automobilindustrie oder über 'Made in Germany' sind unangemessen." Gleichzeitig betonte der Hersteller-Sprecher, dass Fahrzeuge auf der Straße automatisch andere Abgaswerte aufweisen als im Prüfzyklus: "Unterschiede sind physikalisch bedingt, und sie sind rechtmäßig." Auf der Straße herrschten nun mal keine Laborbedingungen. Trotzdem hätten die Unternehmen inzwischen eine moderne Diesel-Technologie entwickelt, die zu "niedrigsten Schadstoffemissionen" führe.
Großbritannien testet Abgaswerte erneut
Das britische Verkehrsministerium hat unterdessen angekündigt, Autos erneut zu testen. "Wo es nötig sei", würden Tests im Labor wiederholt und die Ergebnisse mit tatsächlichen Emissionen verglichen, sagte Verkehrsminister Patrick McLoughlin am Donnerstag in London. Die Regierung nehme die "inakzeptable Vorgehensweise" bei Europas größtem Autobauer "extrem ernst". Großbritannien fordere, europaweit zu untersuchen, welche Autos betroffen seien, sagte McLoughlin. Die britische Zulassungsbehörde arbeite mit Autoherstellern zusammen, um sicherzugehen, dass das Problem nicht branchenweit bestehe.
Auch das litauische Umweltministerium kündigte eine Untersuchung an. Es soll herausgefunden werden, wie viele betroffene Fahrzeuge es in dem baltischen Land gibt und welche Umweltschäden entstanden sind, sagte Umweltminister Kestutis Treciokas am Freitag in Vilnius. Das Ergebnis der Untersuchung soll in spätestens zehn Tagen feststehen. Die Behörden werden auch prüfen, welche Maßnahmen gegen Volkswagen ergriffen werden könnten, sagte Treciokas nach Angaben der Agentur BNS. Der Umweltminister geht allerdings nicht davon aus, dass die Zahl der Autos mit der in die Kritik geratenen Software zur Manipulierung des Schadstoffausstoßes in Litauen besonders groß sein wird. "In Litauen werden nicht viele Neuwagen gekauft, daher sollten es nicht viele sein. Auf jeden Fall aber werden wir versuchen, die Situation aufzuklären", betonte Treciokas. (dpa)