Von Max Friedhoff/SP-X
Mit dem elektrisch angetriebenen Rennwagen "ID.R" hat VW 2018 beim "Pikes Peak"-Bergrennen in den USA und beim "Festival of Speed" im britischen Goodwood bereits neue Bestmarken aufstellen können. Für den Nürburgring haben die Techniker den Wagen umfassend weiterentwickelt. Besonders im Bereich der Aerodynamik wurde die Flunder auf die Ansprüche der Nordschleife abgestimmt: Weniger enge Kehren sondern mehr lange Highspeed-Bereiche geben hier die Marschrichtung vor. Schon die ersten Testfahrten vor einigen Wochen zeigten das enorme Potenzial des E-Renners auf. Auch, wenn die Strecke zu diesem Zeitpunkt noch eifeltypisch feucht war.
Jetzt sind die äußeren Bedingungen schon am frühen Morgen ideal. Das Asphaltband, das sich mit rund 70 Kurven durch die Eifelwälder schlängelt, ist knochentrocken, die angenehmen Außentemperaturen verhindern zudem ein Auskühlen der profillosen Bridgestone-Slicks auf dem ID.R. Kurz vor neun Uhr geht Romain Dumas auf die erste Installationsrunde. Der Porsche-Werksfahrer und viermalige Gewinner des 24-Stunden-Rennens hier am Nürburgring kennt sowohl den Kurs als auch den ID.R bestens – schließlich wurde ihm Letzterer quasi exklusiv auf den Leib geschneidert, um das "Race to the clouds" am Pikes Peak in Colorado zu gewinnen.
Größte Herausforderung ist Batterie-Management
Nun gilt es, den 500 kW / 680 PS starken Elektro-Rennwagen möglichst schnell und gleichzeitig effizient über die Nordschleife zu bewegen. "Die größte Herausforderung für mich als Fahrer und auch für unsere Ingenieure ist das Batterie-Management, damit wir an den wichtigsten Stellen der Strecke möglichst viel Leistung abrufen können", gibt Dumas zu Protokoll, als er nach seiner ersten Runde aus dem ID.R klettert. Eine offizielle Zeit für den Umlauf gibt es nicht. So viel sei allerdings verraten: Der alte Rekord des NIO EP9 (6:45 Minuten) fiel bereits in dieser ersten Installationsrunde. Allerdings handelt es sich bei dem chinesischen Stromer zumindest in der Theorie um ein Straßenfahrzeug, während der ID.R ein reinrassiger Rennwagen ist.
Doch wenn es um Rekordfahrten auf der Nordschleife des Nürburgrings geht, hat man ohnehin zwangsläufig auch zwei andere Bestmarken im Kopf. Den "ewigen Rekord" von Stefan Bellof, der 1983 im Porsche 956 eine Fabelzeit von 6:11 Minuten in den Asphalt brannte, die wiederum erst 35 Jahre später von Timo Bernhard im Porsche 919 Evo gebrochen wurde, der mit 5:19 Minuten möglicherweise einen Rekord für die Ewigkeit aufstellte.
VW ID.R
BildergalerieAber zurück zum VW ID.R. An der alten Boxenanlage vor der Tribüne 13 haben die Wolfsburger eine kleine Zeltstadt errichtet, die gleich zwei der gedrungenen Elektro-Rennwagen beheimatet. Die Anwesenheit solcher Spezialisten wie Willy Rampf, der lange Jahre die technischen Geschicke des Sauber-Formel-Eins-Teams sowie der Rallye-Erfolge von VW leitete oder von VW-Motorsport-Guru Francois-Xavier "FX" Demaison bestätigen die Ernsthaftigkeit des Projektes hier an der Nordschleife. Eine ganze Horde hauseigener Mechaniker bereitet den ID.R auf die nächsten Runden vor. Jeder Handgriff sitzt, alle gehen äußerst konzentriert und professionell vor. Man merkt: Bei diesem Rekordversuch geht es für VW nicht nur um eine weitere Bestmarke, sondern auch um die Glaubhaftigkeit der Elektromobilität im Dunstkreis solcher alteingesessenen Motorsport-Mekkas wie Pikes Peak, Goodwood und eben dem Nürburgring.
Szenenwechsel: Vom bestens abgesperrten Start-und-Ziel-Bereich ins "Brünnchen", jenen Streckenabschnitt, den man wegen seiner vielen Unfälle mittlerweile nur noch "Youtube-Corner" nennt. Der Streckenposten hier, nennen wir ihn "Günther", der anonym bleiben möchte, ist kein Fan der E-Mobilität. Zu teuer sei das alles. "Nichts für Jedermann". Als der ID.R auf seiner finalen Runde wie von einem unsichtbaren Band gezogen die schnelle Rechtskurve meistert, ist er dennoch beeindruckt von der hohen Kurvengeschwindigkeit, die sich dank der ausgeklügelten Aerodynamik und des tiefen Schwerpunkts realisieren lässt. Punktsieg für VW.
Mission erfüllt
Kurz nachdem der Hubschrauber für die Übertragung des Live-Bildes unseren Streckenabschnitt passiert hat, rauscht der ID.R über die Ziellinie. 6:05.336 – rund 40 Sekunden unter dem bisherigen Rekord. Mission erfüllt. Und trotzdem fällt es schwer, diese neue Bestmarke einzuordnen. Der – zugegebenermaßen deutlich stärkere – Porsche 919 Evo war weitere 45 Sekunden schneller, aber auch der "Oldtimer" von Stefan Bellof muss sich nur sechs Sekunden hinter dem ID.R einordnen. Und das, obwohl es 1983 weder eine gesperrte Strecke noch die Reifentechnik von heute gab.