Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) drängt die Autoindustrie wegen hoher Abgaswerte zu einer schnellen Nachrüstung von Diesel-Autos. Die Industrie müsse spätestens im Herbst die Zusage geben, dass sie die Fahrzeuge auf eigene Kosten sauberer mache, sagte Hendricks am Freitag in Bad Saarow. Sonst müsse nach der Bundestagswahl über eine gesetzliche Zwangsmaßnahme diskutiert werden.
Auch neuere Autos haben nach jüngsten Untersuchungen in der Praxis deutlich höhere Stickoxid-Werte als angenommen. "Da sind die Hersteller in der Verantwortung, tatsächlich nachzurüsten", sagte Hendricks. In Bad Saarow östlich von Berlin hatten sich die Umweltminister von Bund und Ländern zu ihrer Frühjahrskonferenz getroffen.
Der Bund solle sich bei den Herstellern "für eine technische Ertüchtigung von Diesel-Fahrzeugen in der gesamten Breite der Flotte" einsetzen, heißt es in einem einstimmig verabschiedeten Beschluss. Die Konferenz schlug zudem vor, einen Entschädigungsfonds zu prüfen. Es könne nicht sein, dass die Verbraucher, die gutgläubig die Autos gekauft hätten, nun auf den Kosten sitzenblieben, sagte Hendricks dazu. Der Fonds soll auch dann aufkommen, wenn ein Verbraucher rechtlich keinen Anspruch gegen den Hersteller durchsetzen kann.
Hendricks machte deutlich, dass die Industrie für die Kosten aufkommen müsse, und nicht der Staat. Gegenüber dem Radiosender WDR 5 hatte die Ministerin am Freitag jedoch gesagt, die Nachrüstung könnte aus der Staatskasse mitfinanziert werden: "Es kann durchaus sein, dass Verkehrspolitiker der Auffassung sind, ok, wir teilen uns mal die Kosten." Die Entscheidung würde nicht mehr vor der Bundestagswahl gefällt, da sich ein Einvernehmen so schnell nicht herstellen lasse.
Die Umweltministerkonferenz bekräftigte zudem ihre früheren Beschlüsse - somit sind nach Angaben von Hendricks auch die "blaue Plakette" für relativ schadstoffarme Autos und Fahrverbote noch nicht völlig vom Tisch, wenn die Industrie nicht einlenkt. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte die Umweltminister zuvor aufgefordert, an der blauen Plakette festzuhalten, weil nur so Bürgermeister die schmutzigsten Diesel aus der Stadt halten könnten.
Im Kampf gegen überhöhte Abgasemissionen an Straßen in rund 80 Städten in Deutschland forderten die Minister zudem vom Bund die Auflage eines Fördertopfes zur Elektrifizierung von Stadtbussen. Dafür sollen kommendes Jahr 50 Millionen Euro und ab 2019 jährlich 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Pro Jahr könnten so 500 E-Busse zusätzlich auf die Straße kommen.
ZDK: Fahrverbote wären Enteignung
Gegen Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge und für die Förderung von Nachrüstlösungen spricht sich der Vorstand des Zentralverbands Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) aus. In seiner Sitzung am 4. Mai in Bonn war sich das Spitzengremium darüber einig, dass die Entwicklung technisch funktionsfähiger Nachrüstlösungen zur Reduzierung des Stickoxid-Ausstoßes bei Euro 5-Dieselfahrzeugen geboten sei. "Hier sind insbesondere Autohersteller und Zulieferer, aber auch die Politik gefordert", betonte ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. Um die Akzeptanz bei den Autofahrern zu erhöhen und damit einen Markt dafür zu schaffen, seien Fördermaßnahmen zur Umrüstung notwendig, wie dies bereits erfolgreich bei Dieselpartikelfiltern geschehen sei. "Das Kraftfahrzeuggewerbe steht bereit für die Umrüstung", betonte Karpinski.
Fahrverbote für Dieselfahrzeuge kämen einer Enteignung der Halter dieser Fahrzeuge gleich. Maßnahmen zur Luftreinhaltung sollten alle Verursacher einbeziehen und nicht nur den Straßenverkehr. Insbesondere die kommunale Verkehrspolitik sei gefordert: "Mit Grüner Welle und einem gleichmäßigen Verkehrsfluss lassen sich Stickoxidemissionen deutlich reduzieren", so der ZDK-Präsident. Darüber hinaus sei es vordringlich, zunächst die permanent in Ballungsräumen verkehrenden Fahrzeuge (Busse, Taxis, kommunale Fuhrparks) auf emissionsarme Antriebe umzustellen. Bei sinkendem Zulassungsanteil von Dieselfahrzeugen seien auch die ab 2020 verschärften Abgas-Grenzwerte für das Treibhausgas CO2 kaum einzuhalten.
Der Autohandel spürt in den vergangenen Monaten bereits die Zurückhaltung der Käufer bei Dieselfahrzeugen. Die Kunden überlegen, ob sie nicht lieber einen Benziner kaufen oder warten erst einmal ab, in welche Richtung sich die Debatte weiterentwickelt. "Die öffentliche Diskussion der letzten Monate über mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verunsichert Autofahrer und Kfz-Händler deutlich. So gingen die Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Dieselaggregaten im April gegenüber 2016 um 19,3 Prozent zurück", sagte der Präsident und Landesinnungsmeister des Kraftfahrzeuggewerbes Bayern Klaus Dieter Breitschwert, in einer Mitteilung am Freitag. "Die kritische Haltung gegenüber dem Dieselmotor ist ein Paradigmenwechsel, denn die Politik hat den Dieselmotor jahrelang gefördert. Ich nenne nur die niedrigeren Steueranteile beim Dieselkraftstoff gegenüber Benzin."
Greenpeace fordert Blaue Plakette
Strengere Maßnahmen will hingegen die Umweltorganisation Greenpeace. Sie forderte die Umweltminister der Länder auf, an der vorgeschlagenen blauen Plakette für schadstoffarme Autos festzuhalten. Nur so könnten Bürgermeister die schmutzigsten Diesel aus der Stadt halten, sagte der Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup der Deutschen Presse-Agentur. Diesel nachzurüsten, um den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide zu reduzieren, sei zwar sinnvoll, werde aber "bei Weitem nicht ausreichen". Es sei "beschämend", dass offensichtlich einige Umweltminister von der Plakette abrückten.
Vor gut einem Jahr hatte die Umweltministerkonferenz die blaue Plakette vorgeschlagen und damit eine heftige Debatte losgetreten. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) war dagegen, das Projekt liegt auf Eis. Am Freitag (12.30 Uhr) wollen die Minister im brandenburgischen Bad Saarow unter anderem Forderungen zum Thema Luftverschmutzung vorlegen. Aus Arbeitspapieren der Konferenz ging hervor, dass über die blaue Plakette keine Einigkeit besteht.
Viele Städte haben mit zu hohen Stickoxid-Werten durch Diesel-Abgase zu kämpfen. Für Stuttgart und Hamburg sind Fahrverbote angekündigt. Zuletzt hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gefordert, Diesel auf Kosten der Autohersteller nachzurüsten, um den Schadstoffausstoß zu senken. (dpa)