Am 4. September startet in München die IAA Mobility. Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) blickt optimistisch auf die Messe, sieht aber Handlungsbedarf in der Politik.
Nun also die zweite IAA in München. Was wird sie besser machen als die erste Veranstaltung vor zwei Jahren?
H. Müller: Die IAA Mobility ist die führende Plattform für Mobilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Dieses Konzept ging mit über 400.000 Besuchern aus 95 Ländern bereits 2021 gut auf. Und das trotz der coronabedingten Reisebeschränkungen. Wir haben das Konzept noch weiter verbessert. Dieses Jahr werden wir erstmals eine klare Fokussierung der beiden Veranstaltungsorte haben. Für den interessierten Besucher bieten wir den Open Space in der Münchner Innenstadt an, der kostenfrei zugänglich ist. Hier können Besucher kostenlose Testfahrten sowie Konzerte und Kulturangebote erleben. Der IAA Summit auf dem Münchner Messegelände wird das Fachpublikum ansprechen. Über 500 Rednerinnen und Redner werden dort über die Mobilität der Zukunft diskutieren.
Mit Ausnahme der deutschen und chinesischen Hersteller sind kaum OEMs auf der IAA MOBILITY vertreten? Wie wollen Sie Hyundai, Peugeot, Toyota und Co. wieder zurückholen?
H. Müller: Mit Ford, Renault und Tesla sind weitere weltweit führende Unternehmen aus anderen Ländern als Aussteller auf der IAA Mobility vertreten. Mit Lucid aus den USA und Rimac aus Kroatien stellen weitere spannende Unternehmen aus, die ihren Fokus auf nachhaltige Mobilität legen. Zudem sind unter anderem Fiat, Hyundai oder Nissan mit Testfahrzeugen vertreten, die im Rahmen der Aktion "Firmenwagen des Jahres" getestet werden können. Mit AWS, Qualcomm, Riese & Müller und vielen mehr haben wir zudem die weltweit größten Unternehmen aus den Bereichen Tech, Fahrrad und Mikromobilität. Zudem freue ich mich, dass Opel nach längerer Auszeit wieder auf der IAA MOBILITY vertreten ist. Ich bin mir sicher, dass auch manche Hersteller, die diesmal nicht dabei sind, vom Konzept begeistert sein werden - und für das nächste Mal umdenken.
Als Präsidentin des VDA vertreten Sie die deutsche Automobilindustrie. Wie steht die in der Transformation aktuell im internationalen Vergleich da?
H. Müller: Die deutsche Automobilindustrie steht hinter den Pariser Klimazielen und treibt die Transformation mit Innovationen und Investitionen voran: Von 2023 bis 2027 investiert sie weltweit mehr als 250 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Der Fokus der Investitionen liegt insbesondere auf der Elektromobilität - inklusive Batterietechnik, autonomem Fahren sowie Digitalisierung. Zu diesen Investitionen kommen von 2023 bis 2027 weitere rund 130 Milliarden Euro, die weltweit von der deutschen Automobilindustrie unter anderem in den Aufbau neuer Fabriken sowie in den Umbau von Werken und deren Ausstattung fließen. Dies zeigt deutlich, dass die deutschen Unternehmen die Transformation konsequent umsetzen werden. Gefragt ist jetzt die Politik - denn die Rahmenbedingungen entscheiden darüber, wo die Investitionen getätigt werden.
In Deutschland steigern E-Autos kontinuierlich ihren Marktanteil. Aber ist das Tempo schnell genug, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen und müssen wir beim Infrastrukturausbau nicht sehr viel schneller werden?
H. Müller: Das Vertrauen der Menschen in die E-Mobilität hängt im hohen Maße auch davon ab, dass sie überall und zu jeder Zeit laden können. Wir brauchen nicht nur mehr Ladesäulen, sondern auch entsprechend ausgebaute Stromnetze. Hier hinkt Deutschland massiv hinter dem eigenen Zeitplan hinterher. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge ist daher eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für Deutschland, der viel entschlossener angegangen werden muss. Um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, braucht es ein strategisches Konzept und regelmäßige Überprüfungen.
Europa ist bei der Transformation zur E-Mobilität gespalten. Während die skandinavischen Länder, Deutschland, Frankreich, Benelux und die Schweiz recht weit scheinen, sind vor allem die östlichen und südlichen Länder noch weit von elektrischer Mobilität entfernt. Von außereuropäischen Ländern gar nicht zu reden. Wie können die Hersteller den schwierigen und aufwendigen Spagat zwischen den unterschiedlichen Marktansprüchen bewältigen?
Unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Voraussetzungen brauchen entsprechend passende Strategien. Hier liegt die Verantwortung auch in Brüssel: Gute Absichten und Ziele sind noch keine gute Politik. Es gibt kein Monitoring der Zielerreichung in den einzelnen Mitgliedsstaaten mit entsprechenden Möglichkeiten zum Nachbessern. Das ist fahrlässig.
Natürlich ist die Situation für die Unternehmen der Autoindustrie herausfordernd. Ich kann Ihnen versichern: Diese Branche stellt sich dem Wandel mit all ihrer Innovationskraft und Verantwortung für die Beschäftigten. Doch zur Wahrheit gehört auch: Das allein reicht nicht. Während der internationale Standortwettbewerb immer intensiver geführt wird, fehlt es in Berlin und Brüssel zu oft an Geschwindigkeit und praxisnahen Konzepten. Die Politik verliert sich in immer mehr Regeln, mehr Auflagen und wenn es Hilfen gibt, dann leider oftmals mit maximalem bürokratischen Aufwand.
Die Bundesregierung und die EU sind aufgerufen, schnellstmöglich die Rahmenbedingungen für den deutschen und europäischen Standort, zu verbessern. Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuer- und Abgabensystem und einfachere und schnelle Genehmigungsverfahren. Zudem muss unsere Energie- und Rohstoffversorgung mit internationalen Partnerschaften abgesichert werden, um Deutschland und Europa unabhängiger und Lieferketten resilienter zu machen.
Betrachtet man das Angebot an E-Autos, fällt auf, dass es kaum mehr Basismodelle unter 40.000 Euro gibt. Wie wollen sie die bisherigen Käufer klassischer Kleinwagen so zum Umsteigen bewegen?
H. Müller: Wenn ich mir die Daten ansehe, dann ist das Angebot der deutschen Automobilhersteller bereits sehr gut. Hierzulande bieten die deutschen Hersteller derzeit über alle Segment etwa 90 E-Modelle an, weltweit sind es 130. Bis Ende 2024 werden es weltweit rund 170 Modelle sein. Das E-Auto wird schrittweise und durch den zunehmenden Umbau von Werken zum Massenprodukt. Dazu werden dann weitere Technologiesprünge und Skaleneffekte kommen, sodass die Kosten für ein E-Auto sicher weiter sinken werden. Aber ich verstehe die Sorgen der Menschen, die gerade unter der schwachen Konjunktur und den hohen Inflationsraten leiden.
Übrigens - bereits jetzt sind unsere Unternehmen in diesem Feld gut aufgestellt: Die deutschen Hersteller haben mit vier Modellen in Deutschland bei den E-Kleinwagen den größten Marktanteil. Alle vier Modelle sind für unter 40.000 Euro erhältlich.
Auch normale Kleinwagen unter 15.000 Euro gibt es kaum noch. Ist es nicht ein Fehler, die Einstiegsversionen unter den Tisch fallen zu lassen?
H. Müller: Hier muss man differenziert betrachten: In China sind beispielsweise ernstzunehmende Wettbewerber entstanden, die sowohl auf dem heimischen als auch auf anderen Märkten Anteile gewinnen wollen. Diese chinesische Autoindustrie wird industriepolitisch massiv durch den Staat unterstützt, während sich bei uns die Produktionskosten immer weiter außerhalb der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bewegen. Das sind schwierige Bedingungen. Umso mehr brauchen wir einen wettbewerbsfähigen Heimatstandort.