asp: Seit Februar sind Sie bei TÜV SÜD als Segment Manager für den markenunabhängigen Reparaturmarkt zuständig. Was ist Ihre Aufgabe in der Position?
R. Schulz: Mit der neuen Position intensiviert TÜV SÜD sein Engagement in Richtung unabhängiger Reparaturmarkt noch mal deutlich. Es geht dabei vor allem um die strategische Entwicklung des Bereichs mit neuen Produkten und Dienstleistungen, die speziell auf die Bedürfnisse freier Werkstätten und Werkstattketten zugeschnitten sind. Zu meinen Aufgaben gehört neben dem Produkt- und Portfoliomanagement die stetige Analyse der Marktanforderungen. Es kommt darauf an, das Ohr nah am Markt zu haben. Letztlich geht es immer um die Frage, wie kann TÜV SÜD die Kunden unterstützen, ihr Geschäft noch besser und effizienter zu gestalten.
asp: Welchen Stellenwert hat der Independent Aftermarket (IAM) für TÜV SÜD?
R. Schulz: Der Independent Aftermarket macht einen erheblichen Anteil unseres Kernumsatzes aus und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Deshalb ist es wichtig, interne Synergien zu bündeln und daraus ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln. Mit dem neuen Team, das sich derzeit im Aufbau befindet, bündeln wir Ideen im Unternehmen und entwickeln daraus neue Dienstleistungen von TÜV SÜD. Damit stellen wir sicher, den Ansprüchen und Anforderungen des Marktes gerecht zu werden und weiter zu wachsen. Perspektivisch möchte TÜV SÜD seine starke Position als lösungsorientierter Partner der Freien Werkstätten weiter ausbauen.
asp: Wie entwickelt sich der IAM aktuell - ist das ein Wachstumsmarkt?
R. Schulz: Die Entwicklung ist für die Freien Werkstätten derzeit sehr positiv. Die Betriebe sind sehr gut ausgelastet. Wir stellen das auch an gestiegenen HU-Zahlen im amtlichen Bereich fest. Das Fahrzeugalter steigt weiter, die Fahrzeuge müssen gewartet und repariert werden - das spielt dem IAM in die Karten. Die Fahrzeughersteller dünnen ihre Servicenetze eher aus. Aktuell besteht im IAM kein Kundenmangel, sondern ein Mitarbeitermangel.
asp: Derzeit freuen sich Werkstätten über hohe Auslastungen - aber ist das nicht eine trügerische Sicherheit angesichts des technologischen Wandels hin zur aufkommenden E-Mobilität?
R. Schulz: Das weiter steigende Fahrzeugalter garantiert in den nächsten Jahren eine hohe Auslastung. Der Übergang zur E-Mobilität wird nicht plötzlich geschehen. Die Werkstätten haben noch genügend Zeit, sich mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen. Bislang hat der freie Markt immer Antworten auf technologische Neuerungen gefunden. Ich bin sicher, dass dies auch bei neuen Antriebstechnologien so sein wird. Im Übrigen müssen auch Elektrofahrzeuge gewartet und repariert werden.
asp: Wie wirkt sich die E-Mobilität jetzt schon auf den IAM aus?
R. Schulz: In Deutschland ist das aufgrund der geringen Zulassungszahlen aktuell noch nicht verlässlich bewertbar. Deshalb lohnt sich der Blick in Länder mit deutlich höheren Anteilen bei E-Fahrzeugen. In Norwegen beispielsweise verzeichnen die Werkstätten keine Umsatzverluste, da beim E-Fahrzeug auf der einen Seite zwar Verschleißteile wegfallen, aber auf der anderen Seite Reparaturen und Ersatzteile teurer sind. Die oft gehörte Annahme, dass im Service ein Drittel der Umsätze wegfallen könnte, bewahrheitet sich dort aktuell nicht.
asp: Wie finden Freie Betriebe einen Einstieg in die E-Mobilität?
R. Schulz: Bei vielen Werkstätten gibt es noch viel Informationsbedarf rund um die E-Mobilität. Betroffen sind Bereiche wie Unfallreparatur, Diagnose oder Gestaltung des Arbeitsplatzes. Hier bieten die Experten von TÜV SÜD jederzeit gerne ihre Unterstützung an. Wir sehen im Markt, dass der Einstieg häufig über Standarddienstleistungen wie beispielsweise Reifenwechsel oder Inspektion funktioniert. Derzeit sind die meisten E-Fahrzeuge allerdings noch im Garantiezeitraum und daher für den IAM noch nicht relevant.
- Ausgabe 03/2025 Seite 042 (341.0 KB, PDF)
"Die Annahme, dass ein Drittel der Umsätze wegfallen könnte, bewahrheitet sich nicht."
René Schulz, TÜV SÜD
asp: Wie kann eine Werkstatt eigene "Elektro-Kompetenz" aufbauen?
R. Schulz: Ich sehe hier eher ein Schulungsthema für die Mitarbeiter. Das ist in vielen Betrieben aber bereits in der Umsetzung. Bei den Reparaturen selbst ist vieles sehr ähnlich wie beim Verbrenner. E-Fahrzeuge haben sogar einen höheren Verschleiß bei Fahrwerksteilen, Lenkung und Bremse, aber diese Systeme sind den Werkstätten schon heute bestens vertraut. Ein spezieller Bereich, der auch besonderes Werkzeug erfordert, sind Reparaturen an der offenen Antriebsbatterie. Möglicherweise wird es dafür spezialisierte Betriebe geben. Man muss aber sehen, dass sich die Antriebsbatterie derzeit zum reinen Wechselteil entwickelt. Viele Hersteller versiegeln die Batteriegehäuse, sodass Reparaturen kaum zu bewerkstelligen sind.
asp: Der freie Markt muss aber auch noch andere technische Entwicklungen beherrschen - Stichworte Fahrerassistenzsysteme, softwaredefiniertes Auto und Over-the-Air-Updates.
R. Schulz: Die technische Entwicklung schreitet immer weiter voran. Das liegt in der Natur der Sache. In der Vergangenheit gab es schon immer viele Entwicklungen, die den freien Markt herausgefordert haben. Speziell die Werkstattausrüster, Teilehersteller und Teilegroßhändler haben jederzeit geeignete Lösungen gefunden, die den IAM anschlussfähig machten. Derzeit müssen sich die Betriebe beispielsweise mit der Kalibrierung von Assistenzsystemen befassen und das entsprechende Know-how aufbauen. Teilweise muss dafür auch in neues Equipment investiert werden. Bei den neuen Technologien sehe ich aber nichts, was nicht händelbar wäre.
asp: Bei welchen Themen kann TÜV SÜD die Freie Werkstatt unterstützen?
R. Schulz: Mehr denn je erweist sich die Hauptuntersuchung als wichtiges Kundenbindungsinstrument. Viele Autofahrer sind bereits auf Ganzjahresreifen umgestiegen. Dadurch fällt ein saisonaler Kontaktpunkt für die Werkstatt weg. Die HU/AU ist daher für Kfz-Betriebe unverzichtbar und sollte entsprechend gepflegt werden, beispielsweise durch gezielte HU-Erinnerungen. Ein zunehmend wichtiges Tätigkeitsfeld für TÜV SÜD ist das Thema Schadenabwicklung und Schadenmanagement. TÜV SÜD kann Betriebe über das Schadengutachten hinausgehend vor allem bei der Kommunikation mit dem Versicherer unterstützen. Oftmals wissen Werkstätten nicht, welche rechtlichen Ansprüche sie haben. Hier bietet TÜV SÜD einen optimalen und einfachen Prozess und bringt die Werkstatt auf Augenhöhe mit der Versicherung - ganz unabhängig von der Betriebsgröße.
asp: Woran fehlt es in den Werkstätten?
R. Schulz: Das Schadenmanagement ist zunächst vor allem zeitintensiv und mit den vorhandenen Mitarbeitern oft nicht abzubilden. Daher kann die Zusammenarbeit mit TÜV SÜD die Betriebe enorm entlasten, nicht zuletzt durch den Einsatz der digitalen Schadenakte und durch die Einbindung von spezialisierten Rechtsanwälten. Ein dritter Bereich, wo viele Freie Werkstätten nicht besonders gut aufgestellt sind, sind die Unternehmerpflichten im Zusammenhang mit den gesetzlichen Unfallverhütungsvorschriften. Oftmals fehlt es an Wissen und Zeit, was im Bereich Arbeitssicherheit alles getan werden muss.
asp: Welchen Stellenwert hat das Schadenmanagement für den IAM?
R. Schulz: Mit zunehmendem Alter der Fahrzeuge ist die Freie Werkstatt der erste Ansprechpartner bei einem Unfall. Die geschädigte Partei wendet sich erfahrungsgemäß meistens zuerst an ihre Werkstatt. Auch durch massiv gestiegene Stundenverrechnungssätze in Autohäusern wird die Werkstatt vor Ort ein wichtiger Ansprechpartner. Ein Betrieb, der dem Kunden kompetente Lösungen anbietet und die Hoheit über den Prozess behält, verfügt damit über ein wichtiges Kundenbindungsinstrument. Sehr viele Werkstätten arbeiten bei der Schadenabwicklung mit externen Partnern zusammen und geben die Prozesshoheit ab. Wichtig wäre es, die Abwicklung im eigenen Hause zu behalten zur schnellen und direkten Kommunikation mit dem Kunden.