Motorölspezifikationen für Abarth, Alfa Romeo, Fiat, Fiat Professional und Lancia
Für die Massenmarken des Fiat-Konzerns existieren mittlerweile zehn Motorölspezifikationen. Befragt nach Hintergründen und Einzelheiten, verweigern Fiat und Petronas gleichermaßen Auskünfte. Wettbewerber des Schmierstofflieferanten sprechen von Protektionismus. Leidtragende sind unter anderem Werkstätten und Autohäuser.
Werkstätten und Autohäusern ist, zumindest ab einer gewissen Betriebsgröße und Kundenzahl, die Benennung eines Reifenbeauftragten zu empfehlen. In konzentrierter Form findet das Thema zwar nur zweimal jährlich statt, jedoch haben Reifentechnik und -service inzwischen einen Komplexitätsgrad erreicht, der diese Maßnahme rechtfertigt. Auch das Thema Motoröl ist in-zwischen derart komplex, dass ein Ölbeauftragter sinnvoll erscheint. Nur spricht im Gegensatz zu Reifen niemand davon.
Neue Qualität der Diversifizierung
Die Spezifikationen der Vereinigung der europäischen Fahrzeughersteller ACEA, obwohl kontinuierlich der technischen Entwicklung angepasst, spielen bei zahlreichen Herstellern nur noch eine untergeordnete Rolle, denn es wurden eigene Spezifikationen definiert. Im Pkw-Bereich trifft das auf BMW, Ford, Mercedes-Benz, Opel, Peugeot, Renault sowie die Volkswagen- und Fiat-Gruppe zu. Für die fünf Massenmarken des Fiat-Konzerns, also Alfa Romeo, Fiat, Fiat Professional, Lancia und die wiederbelebte Marke Abarth, sind mittlerweise zehn Spezifikationen gültig. Die Diversifizierung der Motoröle hat so-mit eine neue Qualität erreicht. Selbst auf dem diesbezüglichen Höhepunkt der War-tungsintervallverlängerung, kurz WIV, der Volkswagen-Marken Audi, Skoda und VW zu Beginn der 2000er Jahre kamen zu den fünf bekannten nur vier neue Normen hinzu. Heute werden mit zwei Normen nahezu alle Ansprüche abgedeckt.
Anders bei den Fiat-Marken: Zu den sechs seit geraumer Zeit gültigen kamen kürzlich vier weitere Motorölspezifikationen hinzu. Eine Vereinfachung, wie sie beim Beispiel Volkswagen zu erkennen ist, findet bei Fiat somit nicht statt. Konkret geht es um diese zehn Spezifikationen, die allesamt mit diesem achtstelligen Ziffern- und Zeichenkürzel beginnen: 9.55535-
D2 Standard-Motoröl für Dieselmotoren, SAE 10W-40 oder SAE 15W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall maximal 20.000 Kilometer/ein Jahr
G1 Leichtlauf-Motoröl für Ottomotoren, SAE 0W-30 oder SAE 5W-30, HTHS-Viskosität größer als 2,9 mPas, Wechselintervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
G2 Standard-Motoröl für Ottomo-toren, SAE 10W-40 oder SAE 15W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall maximal 20.000 Kilometer/ein Jahr
H2 Hochleistungs-Motoröl für Ottomotoren mit großen Ölwechselintervallen, nur SAE 5W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall max. 30.000 Kilometer/zwei Jahre
H3 Hochleistungs-Motoröl für Ottomotoren, nur SAE 10W-60, HTHS-Vis-kosität größer als 3,5 mPas, Wechsel-intervall max. 20.000 Kilometer/ein J.
M2 Motoröl für Otto- und Dieselmotoren mit großen Ölwechselintervallen, SAE 0W-40 oder SAE 5W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
N2 Motoröl für turbogeladene Otto- und Dieselmotoren mit großen Ölwechselintervallen, nur SAE 5W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
S1 Motoröl für turbogeladene Otto- und Dieselmotoren mit großen Ölwechselintervallen, nur SAE 5W-30, HTHS-Viskosität größer als 2,9 und kleiner als 3,5 mPas, reduzierte Sulfatasche, Wechselintervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
S2 Motoröl für Ottomotoren mit gro-ßen Ölwechselintervallen, nur SAE 5W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, reduzierte Sulfatasche, Wechsel-intervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
Z2 Hochleistungs-Motoröl für turbogeladene Otto- und Dieselmotoren mit großen Ölwechselintervallen, SAE 0W-40 und SAE 5W-40, HTHS-Viskosität größer als 3,5 mPas, Wechselintervall maximal 30.000 Kilometer/zwei Jahre
Eine ausführliche tabellarische Übersicht zu den werkstattrelevanten Details aller zehn Motorölspezifikationen ist im Internet zum kostenlosen Download hinterlegt. Direktlink: www.autoservicepraxis.de/fiat (vgl. Infokasten auf dieser Seite links).
Warum man bei Abarth, Alfa Romeo, Fiat, Fiat Professional und Lancia zehn verschiedene Motorölspezifikationen be-nötigt und warum deren Zahl steigt statt zu sinken, konnte nicht recherchiert wer-den, weil der deutsche Fiat-Importeur die Unterstützung ablehnte und Petronas, mutmaßlicher Entwicklungspartner von Fiat Powertrain, wiederum auf Fiat ver-wies (vgl. Kommentarkasten „Gefestigte Lieferbeziehung“ links und Infokasten „Zweifaches Schweigen“ unten links).
Wettbewerb fördert Fortschritt
Anzahl und Tendenz der Motorölspezi-fikationen der Fiat-Massenmarken mit technischen Besonderheiten zu begründen, wäre nicht haltbar, denn auch andere Hersteller bieten identische oder vergleichbare Besonderheiten, ohne die Zahl ihrer Motorölspezifikationen zu steigern. Im Gegenteil. Um beim anfänglichen Beispiel Volkswagen zu bleiben: Trotz verlängerter Wechselintervalle, Turbolader an Otto- und Dieselmotoren, Letztere mit Pumpe-Düse-Einspritzung und Ende der 1990er Jahre noch nicht absehbarer Notwendigkeit von auf Sulfatasche sensibel reagierenden Dieselpartikelfiltern konnte die Vielzahl der Volkswagen-Ölnormen ein-schließlich mehrerer Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen auf lediglich zwei Normen mit zwei Ausnahmen reduziert werden. Vergleichbares ist auch von Fiat wünschenswert, doch dazu müsste der Hersteller Wettbewerb unter den Öllieferanten zulassen. Peter Diehl
Hintergurnd
Von FL zu Petronas
Die vormalige Schmierstoffsparte von Fiat wurde seit dem Jahr 2000 viermal verkauft und gehört heute zum malaysischen Ölkonzern Petronas. Hier die wichtigsten Daten der Unternehmensgeschichte:
1912 Gründung von FL (Fiat Lubrificanti) als Schmierstoffsparte von Fiat
1976 FL wird innerhalb von Fiat verselbstständigt und mit ebensolchem Management ausgestattet
1987 Einführung der Marke Selenia
2000 Verkauf von FL an die britische Beteiligungsgesellschaft Doughty Hanson
2000 Übernahme des US-amerikanischen Getriebeöladditiv-Herstellers Viscosity Oil
2003 Verkauf von FL an die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft Vestar Capital Partners
2005 Übernahme der Autopflegemittel-Marke Arexons
2005 Verkauf von FL an die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR)
2007 Verkauf von FL an den malaysischen Ölkonzern Petronas
2008 aus FL Deutschland wird Petronas Lubricants Deutschland, Firmensitz bleibt Heilbronn
Quelle: Unternehmensangaben
Tabelle im Internet
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Um zehn verschiedene Motorölspezifikationen mit all ihren werkstattrelevanten Details darzustellen, bedarf es einer Tabelle, die den Umfang dieses Artikels gesprengt hätte. In den unendlichen Weiten des Internets findet hingegen auch die umfangreichste Tabelle Platz. Werkstattprofis finden alle für sie wichtigen Angaben zu den Motorölspezifikationen der Massenmarken des Fiat-Konzerns mit diesem Direktlink:
www.autoservicepraxis.de/fiat
Kommentar
„Gefestigte Lieferbeziehung“
Werkstattprofis erinnern sich noch mit Verwunderung an die Wartungsintervallverlängerung (WIV) bei den Volkswagen-Marken Audi, Skoda und VW ab dem Modelljahr 2000. Fünf neue Motorölnormen, deren Anwendung gespickt mit Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen. Einzeln betrachtet allesamt nachvollziehbar, in ihrer Gesamtheit aber der GAU. Jetzt, elf Jahre später, setzt der Fiat-Konzern mit zehn unterschiedlichen Motorölnormen noch einen drauf. Doch im Gegensatz zur Situation bei den damals viel gescholtenen Volkswagen-Marken scheint diesmal längst nicht alles nachvollziehbar, was ein Fachmann aus der Schmierstoffbranche, der ungenannt bleiben will, bestätigt: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass Petronas die Anforderungen um die eigenen Motoröle herum gestrickt hat und zumindest der deutsche Fiat-Importeur keine genauen Hintergründe kennt. Dieser Nebel lässt Raum für Protektionismus, weil niemand weiß, was Empfehlung ist und was Vorschrift.“ Ein zweiter, ebenfalls ungenannter Branchenkenner ergänzt: „Tests bei Fiat Powertrain stehen erfahrungsgemäß nur FL, heute also Petronas, offen. Folglich besitzen andere Schmierstoffanbieter kaum Freigaben. Immerhin sind die Spezifikationen inzwischen öffentlich, was zuvor nicht der Fall war.“ Ergänzend und schmunzelnd spricht er von „gefestigter Lieferbeziehung“. Besonders bemerkenswert: Der Schmierstofflieferant gehört seit zehn Jahren nicht mehr zum Fiat-Konzern (vgl. Infokasten Seite 11).
Reaktionen
Zweifaches Schweigen
Der deutsche Fiat-Importeur, von asp Auto Service Praxis um Unterstützung bei der Recherche gebeten, lehnte dies mit Verweis auf seinen Status als Importeur und die damit verbundene, nur begrenzt vorhandene Schmierstoffkompetenz ab. Klaus-Dieter Schorz, Geschäftsführer von Petronas Lubricants Deutschland, verwies wiederum auf Fiat und äußerte sich wie folgt zur Protektionismus-Vermutung: „Zu Ihrem Ausdruck Protektionismus möchte ich mich gar nicht äußern. Wenn ich Produktinformationen seitens unserer Wettbewerber lese, was dort für ein Verwirrspiel gegenüber den Händlern vollzogen wird, was Freigaben, Empfehlungen etc. angeht, müsste ich jeden Tag die Wettbewerbszentrale oder einen Abmahnverein einschalten.“
- Ausgabe 10/2010 Seite 10 (396.9 KB, PDF)