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Karosseriebau: Materialpuzzle

09.03.2018 11:00 Uhr
Karosserie BMW 7er
Karosserie BMW 7er
© Foto: BMW

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Ein Blick auf die Straße und in die Schauräume der Autohäuser macht´s deutlich: Das Design der Karosserien moderner Fahrzeuge folgt einem nahezu uniformen Muster. Grund dafür sind die gestiegenen Crashanforderungen in Bezug auf Insassensicherheit und Fußgängerschutz. Fünf Sterne im Euro-NCAP-Verbraucherschutz-Crashtest lautet die Zielvorgabe am Ende jeder Karosserieentwicklung. Darüber hinaus gilt es, den Versicherungscrash zur Typeinstufung mit möglichst niedrigem Schadenaufwand zu bestehen und gleichzeitig so leicht zu werden, dass der CO2-Ausstoß die stetig strenger werdenden Normen erreicht. Sind diese Parameter erfüllt, hat das neue Automobil eine gute Basis-DNA, um bei Flotten- und Endkunden nicht von vornherein durchs Entscheidungsraster zu fallen.

Informationsbedarf

Die anspruchsvollen Ziele im modernen Karosseriebau werden durch einen immer vielseitigeren Materialmix und neue Fertigungs- und Fügetechniken erreicht. Die Verwendung ultrahochfester, veredelter Stähle (Festigkeit bis 2.000 MPa) und Tailored-Blank (unterschiedlich dicke Blechstärken innerhalb eines Bauteils) ist inzwischen Standard, kombiniert mit Druckgussprofilen, Strangpressprofilen und Blechen aus Aluminium sowie faserverstärkten oder thermoplastischen Kunststoffen in der Außenhaut.

Prinzipiell handelt es sich bei modernen Autos um eine Mischbauweise, bei der einzelne Komponenten optimiert werden und anschließend wie ein Puzzle ineinandergreifen. An diesen Aspekten zeigt sich, dass die Werkstatt gängige Methoden der Karosseriereparatur und handwerkliches Geschick nicht mehr ohne Weiteres anwenden kann. Umfangreiche Informationen des Fahrzeugherstellers vor Beginn der Arbeit sind das elementar notwendige Basisrüstzeug jeder fachgerechten Karosseriereparatur.

So kann es zum Beispiel sein, dass sich abhängig vom Material oder der strukturellen Form nicht jedes deformierte Bauteil rückverformen lässt. Das gilt vor allem für Druckgussbauteile, die Längsträger moderner Fahrzeuge oder Aluminiumstrangpressprofile in der tragenden Struktur. In solchen Fällen ist (fahrzeugabhängig) ein Teil- oder der komplette Bauteilersatz notwendig. Deshalb gilt:

- jede Schadendiagnose muss unter Beachtung konstruktiver Aspekte erfolgen

- scharfkantige Verformungen an Strukturteilen dürfen nicht rückgeformt werden

- Druckgussteile und Strangpressprofile dürfen nicht rückgeformt werden

- beim Teilersatz müssen die Schnittvorgaben eingehalten werden

- Fügetechniken in der Produktion und Reparatur können verschieden sein

- kalte Fügeverfahren gewinnen an Bedeutung

- die genaue Beachtung der Herstellervorgaben ist unerlässlich

Werfen wir einen Blick auf aktuelle deutsche Premiumprodukte und schauen mal genauer hinter die Verkleidungen. Bisher überwiegend bei den M-Modellen des Hauses üblich, kombiniert BMW beim 7er (Baureihe G11/G12) in der nicht von außen sichtbaren Struktur der Fahrgastzelle einen carbonfaserverstärkten Kunststoff (CFK) mit Aluminium, Stahl und Kunststoff. Bei diesem von BMW "Carbon Core" genannten Konzept bestehen mehrere innenliegende Verstärkungen aus CFK. Unter anderem der Dachquerträger (vorn, mitte, hinten), die A-, B- und C-Säule, der seitliche Dachrahmen, die Hutablage, Schweller und die Oberseite des Mitteltunnels.

Leichter werden

In der Klasse darunter, beim aktuellen 5er (Baureihe G30/G31) erhöhte BMW hingegen im Vergleich zum Vorgänger den Anteil an Aluminium in der Karosseriestruktur und -außenhaut. Sowohl bei der Limousine als auch beim Touring sind Front- und Heckklappe, Türen sowie die Kotflügel nun in diesem Material ausgeführt. Die Dachaußenhaut besteht nur bei der Limousine aus Aluminium, beim Touring-Modell aus Stahl und bei der M-Version aus CFK. Die Längsträger vorn sind aus Aluminiumblech bzw. -profil, die Federbeindome vorn und hinten sowie ein Teil des Längsträgers hinten Aluminiumdruckgussteile. Die Fahrgastzelle selbst ist weitgehend aus ultrahochfestem (warmumgeformten) Stahl sowie Mehrphasenstahl gefertigt. Innenliegende Teile der A- und B-Säule, des Dachholms, Schwellers, des Mitteltunnels und der Stirnwand bestehen aus warmumgeformtem Stahl.

Audi - seit 1994 bei seinem Modell A8 bis dato Vorreiter bei der Aluminium-Space-Frame-Technologie - zündet bei seinem aktuell frischen Oberklassemodell ebenfalls eine weitere Stufe im Materialmix. So werden Aluminium, Stahl, Magnesium und CFK in der tragenden Karosseriestruktur gezielt kombiniert, um Gewicht zu sparen und die Torsionssteifigkeit zu erhöhen ( siehe Artikel S. 20). In den Genuss diverser neuer Materialien kam schon vor dem A8 das bisherige Dickschiff der Ingolstädter - der neue Q7. Ziel war es, im Vergleich zum Vorgänger deutlich Gewicht abzuspecken und gleichzeitig bei Sicherheit und Fahrdynamik zuzulegen. Das Resultat der Einsparung entspricht nahezu einem halben Golf I: Mit der gängigen 3,0-Liter-TDI-Motorisierung ist der aktuelle Q7 bis zu 325 Kilogramm leichter als der Vorgänger, bei dem die Karosserie aus einer Stahl-Schalenbauweise bestand. Allein das Fahrwerk wurde um circa 100 Kilo erleichtert. Die Seitenwand aus Aluminium (A- bis D-Säule) wird an der B-Säule per Rollfalzen mit der warmumgeformten Verstärkung verbunden und ist über 70 Kilogramm leichter als bei der ersten Q7-Generation. Fast 12 Kilogramm wurden beim Dach gespart, etwa 24 Kilo bei den Türen. Die gesamte Außenhaut der Q7-Karosserie wird aus Aluminiumblechen gefertigt. Darunter liegt - wie beim A8 und auch bei BMW - eine Multimaterialkarosserie (Aluminium, Stahl, Alu-Gussbauteile). Die Rohbaukarosserie besteht aus 36 Prozent Aluminiumblechen, 12 Prozent Aluminiumgussteilen, 4 Prozent Aluminium-Strangprofilen, 10 Prozent hochfesten, warm umgeformten Stahlblechen und zu 38 Prozent aus kaltumgeformten Stahlblechteilen. Ein hoher Anteil warmumgeformter Stahlbleche zeigt sich im Schweller, der B-Säule, am Dachrahmen und in den Bodenlängsprofilen. Beim Tunnel des Autos wurden warmumgeformte Stahlbleche und Aluminiumbleche vereint, um einen eventuellen Frontcrash besser in den Heckbereich abzuleiten. So ließen sich sechs weitere Kilo sparen.

Komplexe Reparatur

Wie komplex sich eine spätere Reparatur gestalten kann, zeigt beispielhaft die B-Säule. Sie ist aus vier Lagen aufgebaut, inklusive einer warmumgeformten Verstärkung. Diese Verstärkung ist allerdings nur in Teilbereichen wärmebehandelt, mit einer "harten" Zone ab dem Dachrahmen nach unten. Etwas oberhalb des Schwellers beginnt die "weiche" Zone, die dann bis nach unten in den Schweller verläuft, sich besser verformen lässt und mehr Crashenergie aufnehmen kann. Solche Spezialbauteile lassen sich nicht reparieren oder rückverformen. Bei einem Seitenschaden sind diese nur komplett ersetzbar, damit die vom Fahrzeughersteller definierten Eigenschaften wiederhergestellt werden.

3D-Druck auf dem Vormarsch

Wie geht's weiter? Vor allem das Laserschweißen wird optimiert und an die zunehmend feuerverzinkten Stahlbleche angepasst, mit der man die elektroverzinkten Bleche ersetzt. Dafür ist die Zinkschicht am Rand der Fügestelle abzutragen. Das erledigt ein Trifokal-Laser, um anschließend eine Laserlötnaht zu erzeugen. Mehr Effizienz verspricht zudem die Doppelpunktschweißtechnik, bei der in einer Position zwei Punkte gleichzeitig gesetzt werden. Darüber hinaus wird das Punktschweißen bei Aluminium kommen. Konstruktiv ist mit additiven Fertigungsverfahren und Bauteilen aus dem 3D-Drucker zu rechnen, mit dem sich spezielle und stabile Formen leichter herstellen lassen. Das wird helfen, Gewicht und somit CO2 zu sparen bzw. die Reichweite von E-Fahrzeugen zu verlängern. Apropos E-Fahrzeug: Die stabilen Gehäuse der Batterien werden als Lastpfade genutzt, um darüber Energie aufzunehmen und in andere Bereiche des Fahrzeugs zu leiten. Die Unfallreparatur in der Werkstatt erweitert sich damit künftig auch um die Beurteilung und den Umgang mit der Batterie nach einem Schaden.

Kurzfassung

In modernen Fahrzeugen kommt ein Mix unterschiedlichster Materialien zum Einsatz, um das Gewicht zu reduzieren. Das macht in der Herstellung neue Verfahren und Fügetechniken notwendig. Auch eine Werkstatt steht bei einer fachgerechten Reparatur vor neuen Herausforderungen.

Fügeverfahren

Neue Werkstoffe, neue Verfahren

Vor 25 Jahren wurden Autokarosserien ausschließlich aus Stahlblechen hergestellt und mit MAG-Schweißen, Widerstandspunktschweißen, Nieten oder Schrauben verbunden. Mit heute bis zu 700 unterschiedlichen Werkstoffkombinationen mussten zwangsläufig neue Verfahren zum sicheren Verbinden gefunden werden. Dabei hilft die computergestützte Konstruktion und Crashsimulation, um das optimale Verbindungsverfahren sowie den idealen Schweißstrom und notwendigen Anpressdruck festzulegen. Beim aktuellen Audi A8 kommen nicht weniger als 14 unterschiedliche Fügeverfahren zum Einsatz. Spektakulär ist das Laserstrahlschweißen am Dachrahmen, bei dem die Seitenwände und die Dachhaut per unsichtbarer Nullfuge verbunden werden. Ein relativ neues Verfahren ist das Friction-Element-Welding (FEW). Dahinter steckt ein Reibelementschweißen, bei dem das Reibelement per Rotation durch das Aluminiumblech in das darunterliegende Stahlblech getrieben wird.Um einen Eindruck von der Gesamtdimension zu bekommen, folgt etwas Statistik aus dem robotergestützten, industriellen und kameraüberwachten Q7-Karosseriebau: 2.911 Punktschweißverbindungen, 3,8 Meter MIG-Schweißnähte, 3,3 Meter MAG-Schweißen, 6 Meter Aluminium- Laserschweißen, 3,1 Meter Stahl-Laserschweißen, 2.600 Stanznieten, 277 SSR-Nieten, 604 FDS-Schrauben, 175 Clinch-Punkte, 28,5 Meter Rollfalzen und 200 Meter Klebstoffauftrag zwischen den Fügestellen verbinden die Karosse. Im Vergleich dazu wirken die Möglichkeiten der Karosseriereparatur doch eher klassisch und bescheiden. Im Regelfall kann die Werkstatt nur auf handwerkliches Schweißen, Nieten, Bördeln und Kleben zurückgreifen. Damit sind nach wie vor Karosseriereparaturen an modernen Fahrzeugen möglich, doch ungemein aufwendig und nur unter genauer Einhaltung der Reparaturrichtlinien der Fahrzeughersteller. Zudem empfiehlt es sich, ein elektronisches Karosseriemesssystem zur Eingangsvermessung und für die Reparaturdokumentation zu benutzen.

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