Der Simulation gehört die Zukunft. Neue Technologien vollständig zu durchdenken, das gelingt inzwischen mit Hilfe der digitalisierten Simulation weitaus besser, schneller und effizienter als durch Millionen real gefahrener Testkilometer, befanden Experten der Autoindustrie jüngst auf dem diesjährigen Digitalkongress zur Simulation.
"Die Simulation übernimmt heute 99 Prozent des Aufwands, wenn autonome Fahrzeuge getestet werden", sagte Andras Kemeny, Präsident der Europäischen Fahrsimulationsvereinigung DSA und Direktor für Immersive Simulation und Virtuelle Realität bei Renault. Die virtuelle Erprobung ersetzt die traditionelle Absicherung auf der Straße fast vollständig. Der Straße obliegen nur noch allerletzte Überprüfungen, etwa, wie sich das Fahrgefühl im jeweiligen Auto für einen Fahrer oder Passagier real darstellt – obwohl auch dieser Schritt durch "Driver in the Loop"-Simulationen (DiL) gründlich voruntersucht wird.
Für die Simulation spricht ihre unschlagbare Schnelligkeit und Treffsicherheit bei der Überprüfung komplexer Steuerungsalgorithmen. "Die wirklich relevanten kritischen Situationen treten bei ausgereiften automatisierten Systemen nur noch durch das Zusammentreffen mehrerer seltener Ereignisse auf. Bei realen Erprobungsfahrten liegen dazwischen Unmengen an Fahrzeiten ohne signifikanten Erkenntnisgewinn", unterstrich Hans-Peter Schöner, Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der DSA und bis 2018 bei Daimler für Fahrsimulation und Erprobungsmethoden zuständig.
Software-Umfang wird deutlich zunehmen
Inzwischen erkennen die Experten, dass das von der Software bestimmte Auto mit immer weniger elektronischen Einzellösungen auskommen muss. Dazu bedürfe es zunehmender Kooperationen, erklärte Emmanuel Chevrier, CEO von AV Simulation. Auf der Basis von Prognosen von Bosch und McKinsey sagte er eine durchgreifende Veränderung der elektronischen Architektur der Fahrzeuge voraus: weniger Steuergeräte, aber eine deutliche Zunahme des Software-Umfangs.
Die Akteure müssten die Digitalisierung beim Automobil kontinuierlich weitertreiben, und dürfen dabei den Aspekt der Cybersicherheit nicht aus den Augen verlieren, forderte Chevrier. "Die Autos vernetzen sich und vernetzte Autos werden attackiert." Es werde immer irgendwo ein Loch im System geben, weil der hohe Grad der Komplexität die Software im Auto leicht angreifbar mache, warnte Fulup le Fol von IoT.bzh. Sein Appell: Fragen der Sicherheit gehören nicht in die Hände von Funktionsentwicklern, sondern müssen in die Gesamtarchitektur der Fahrzeuge integriert werden. Man müsse zukünftig eine Architektur vorhalten, die häufige Sicherheits-Updates ermöglicht, weshalb eine schnelle simulative Überprüfung der Funktionen unerlässlich ist. Hier bestehe in der Automobilindustrie noch großer Nachholbedarf, wenn hochautomatisierte Fahrzeuge von einer Zentrale aus gesteuert oder beeinflusst werden sollen.
BMW-Fahrsimulationszentrum
BildergalerieTestzeit verkürzen, Einsparungen realisieren
Gekonnte Simulation bedeutet Effizienzgewinn - Sicherheit bedeutet Simulation, heißt die Gleichung, der sich die Automobilindustrie verschrieben hat. Auch bei Renault möchte man mit der Simulation die Testzeit drastisch verkürzen und Einsparungen realisieren. Die Validierungskosten sollen sich auf die Hälfte reduzieren lassen, so die Erwartungen, wenn für jedes Testszenario die passende Simulation angewendet wird. Eine Stunde digitale EuroNCAP-Simulation ersetze zwei Wochen Realtests, betonte Sabine Calvo, globale Direktorin Entwicklungsabteilung im Renault-Konzern.
BMW hat sich vor drei Jahren für den Bau einer komplett neuen Simulationssystemwelt entschieden. Damit sehen sich die Bayern für die Herausforderungen des Fahrzeugbaus gerüstet. Fahrten in realitätsgetreuen virtuellen Welten mithilfe von Künstlicher Intelligenz sind elementar, nicht nur für das automatisierte Fahren, sondern auch, wenn es darum geht, Autofahrer in ein Fahrzeug zu setzen, das in einem sogenannten High Fidelity Simulator steht und den Eindruck realen Fahrgeschehens widerspiegeln und die Reaktionen der Fahrer austesten kann.
Dabei, so Martin Peller, Leiter des neuen BMW-Fahrsimulationszentrums, habe man stets den Kunden im Blick gehabt und letztlich mehr als fünfzig Anwendungsfälle definiert und daraus abgeleitet, wie viele Simulatoren man brauche. Herausgekommen ist die erkleckliche Zahl von insgesamt 14 unterschiedlichen Simulatoren. Hundert Millionen Euro hat der Autohersteller in den Bau mit neuesten Technologien investiert und damit die vielseitigste Anlage ihrer Art in der Automobilindustrie geschaffen. So will man die Entwicklungskosten trotz steigender Komplexität ohne Qualitätseinbußen in Schach halten und damit auch den Endpreis des Fahrzeugs für den Kunden.
Die Simulatoren sind jeweils unterschiedlich konfiguriert. Jeder Simulator ist so konzipiert, dass eine einzelne Person in der Lage ist, ihn zu betreiben. Hinzu kommt ein Höchstmaß an Kompatibilität, denn jede Attrappe eines Fahrzeugs passt auf alle Simulatoren. Somit können die Modelle alle notwendigen Simulationsstufen durchlaufen, bis sie kurz vor Serie im Erdgeschoss auf Herz und Nieren geprüft werden.