Kann es Zufall sein, dass gerade jene Ersatzteile besonders teuer sind, die bei einem Auffahrunfall beschädigt werden? Oder wird hier eine monopolartige Marktposition der Automobilhersteller missbraucht? Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beobachtet die Preisentwicklung seit Januar 2013. Seitdem stiegen die Kosten für Ersatzteile deutlich schneller als die Inflationsrate: Während der Verbraucherpreis-Index um 6,9 Prozent stieg, verteuerten sich Pkw-Ersatzteile im selben Zeitraum durchschnittlich um 24 Prozent. Rückleuchten sind seit 2013 um fast 50 Prozent, Kofferraumklappen um über 30 Prozent teurer geworden.
Für ihre Untersuchung haben Statistiker des GDV in der Schadenkalkulations-Datenbank von Audatex jährlich die Ersatzteilpreise für 20 verschiedene Fahrzeugtypen recherchiert. Die Auswahl der Fahrzeuge umfasst Kleinwagen ebenso wie Oberklasse-Modelle sowie Modelle mehrerer Hersteller. Bei den genannten Teilen handelt es sich um sichtbare Ersatzteile, die in Deutschland dem so genannten Designschutz unterliegen. Das heißt konkret: Drittanbieter dürfen die Ersatzteile nicht im freien Markt vertreiben. Der ADAC hat das Thema jüngst wieder einmal auf die Agenda gesetzt und festgestellt: "Der freie Ersatzteilemarkt für sichtbare Kfz-Ersatzteile funktioniert in Deutschland nicht." Anders als in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Belgien, Polen oder Italien. Diese Länder haben eine "Reparaturklausel" eingeführt. Laut europäischem Recht dürfen EU-Mitgliedstaaten Ausnahmen im Designschutz definieren. In den genannten Ländern zeigt die Öffnung des Wettbewerbs Wirkung: Die Preise für viele Karosserieersatzteile sind unabhängig von Marke, Modell und Ersatzteil deutlich niedriger als in Deutschland. Eine Studie der Preise für sichtbare Ersatzteile für sechs Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller hat gezeigt, dass sie in Spanien und in Italien etwa ein Fünftel (19 bzw.18 Prozent) geringer sind, im Nachbarland Niederlande sogar fast ein Drittel (30 Prozent).
Eine Reparaturklausel ist nun auch in Deutschland in greifbare Nähe gerückt. Die Liberalisierung des Ersatzteilemarktes und damit mehr Wahlfreiheit und niedrigere Preise wurden 2018 in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat einen Entwurf für ein Gesetz zur Förderung des fairen Wettbewerbs erarbeitet. Besonders freut sich darüber der Präsident des Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA), Hartmut Röhl, der seit vielen Jahren dafür gekämpft hat. "Wir begrüßen, dass die Verhandler der Großen Koalition in Sachen Designrecht etwas Positives für den Wettbewerb, für die Verbraucher und für den Mittelstand tun möchten", sagte der Verbandspräsident. Laut GVA werden mit sichtbaren Ersatzteilen rund 25 bis 30 Prozent des Gesamtumsatzes im Kfz-Ersatz- und Verschleißteilemarkt erzielt. Der Markt für Ersatz- und Verschleißteile beläuft sich in Deutschland jährlich auf über 12 Milliarden Euro.
Beim Blick in die Statistik der Versicherer wird auch deutlich: Der Aufwand pro Schaden hat in den letzten Jahren ebenfalls deutlich zugelegt. In der Kfz-Haftpflicht lag die durchschnittliche Schadenhöhe zuletzt bei 3.935 Euro. Das bedeutet eine Zunahme um 69 Prozent im Vergleich zu 1990. Für Versicherer ist das ein Problem, denn sie müssen immer mehr für Unfallschäden ausgeben. Andererseits verdienen Versicherer wegen der niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt weniger Geld. Beides wirkt sich negativ auf die Profitabilität aus.
Die Teile werden werthaltiger
Thomas Fischer, Vorstand im Verein Freier Ersatzteilemarkt, in dem 55 marktführende Hersteller von Autoteilen organisiert sind, weist darauf hin, dass viele gängige Ersatzteile immer werthaltiger werden, weil technisch aufwändiger. Dies treffe für Turbolader ebenso zu wie für Lichtmaschinen oder elektronische Komponenten. Aber muss es denn immer das Originalteil sein? Bei der Reparatur von Unfallschäden ist das (noch) die übliche Praxis. Viele Branchenbeobachter glauben allerdings, dass diese Praxis bröckelt. In der Konsequenz würde die strikte Trennung von Herstellerservice und freiem Aftermarket mehr und mehr aufgehoben ( siehe Interview).
Dazu tragen auch die Automobilhersteller selbst bei, die in den letzten Jahren massiv Marktanteile im Service verloren haben. Bestes Beispiel hierfür sei derzeit der französische Konzern PSA Peugeot Citroën, der bereits viele Kanäle außerhalb der angestammten OEM-Welt bedient. Die Franzosen haben 2015 die Teileplattform Mister Auto gekauft und steigen damit direkt in den freien Online-Teilemarkt ein. Das ist ein weiterer Schritt Richtung freier Aftermarket, nachdem PSA schon mit der Mehrmarkenkette Eurorepar Car Service erfolgreich den markenunabhängigen Servicemarkt bedient. In Europa umfasst das Netz immerhin mehr als 3.200 Betriebe, davon mittlerweile 400 in Deutschland. Die Franzosen wollen mit dem Serviceangebot vor allem die Besitzer älterer Fahrzeuge erreichen, die keinen großen Wert auf den Einbau von Originalersatzteilen legen.
Auch Volkswagen hat 2015 eine Servicelinie für ältere Fahrzeuge gestartet. Der Volkswagen Economy Service richtet sich an Halter mit Autos, die älter als vier Jahre alt sind. Die attraktiven Paketpreise sind möglich durch Abstriche bei Standards, Verrechnungssätzen und Teilekosten. Verbaut werden Teile aus der eigenen Economy-Teileschiene von VW, die 30 Prozent günstiger sind. Antti Wolk, Geschäftsführer von Wolk Aftersales Experts, sieht die Grenze zwischen OE-Teilen und Aftermarket zunehmend weniger streng. "Unsere Analysen haben gezeigt, dass sich OE-Teile und IAM-Teile preislich eher angenähert haben. Die Unterschiede sind nicht mehr so gravierend."
Frage nach dem Originalteil
Wenn Wolk von OE-Teil spricht, dann meint er ein Teil, auf dem das Logo des Automobilherstellers prangt. Ganz schnell ist man mitten in der Diskussion, was überhaupt unter dem Begriff "Originalteil" zu verstehen ist. "Die Begrifflichkeiten im Ersatzteilemarkt sind nicht immer trennscharf", erklärt Thomas Fischer vom VREI. "Der Begriff Identteil bezeichnet Ersatzteile einschlägiger Markenhersteller, die die Autobauer beliefern - nur eben ohne Markenstempel des Autoherstellers, aber in der gleichen Qualität." Bildlich gesprochen: Das Teil kommt aus der gleichen Fertigung und geht nicht ans Band des Autoherstellers, sondern in den Aftermarket. "Daneben gibt es einen riesigen Markt für Nachbauteile von Produzenten, die nicht ans Band liefern. Diese Teile werden häufig günstig in Südosteuropa oder Fernost produziert", erklärt Fischer. Die Produzenten konzentrierten sich hierbei oft auf ältere Volumenfahrzeuge und bringen Teile für die zeitwertgerechte Reparatur in den Markt. Fischer: "Diese Teile haben in der Regel nicht die Qualität wie ein OE-Teil und sind konstruktions- oder materialbedingt zum Teil weniger haltbar. Seine Botschaft: "Die im VREI e.V. organisierten Hersteller von Ersatzteilen bieten allesamt gute Qualität. Sie beliefern Fahrzeughersteller und sind im Freien Ersatzteilemarkt unter ihrer eigenen Marke vertreten." In Deutschland stehen die Markenteile für etwa zwei Drittel des Ersatzteilemarktvolumens, schätzt Fischer. Die Initiative "Qualität ist Mehrwert" hat Werkstätten befragt, welche Erfahrung sie mit Nachbauteilen gemacht haben. Von den knapp 700 befragten Teilnehmern gaben 43 Prozent an, dass sie qualitative Probleme sehen, ein Drittel gab an, dass Handling und Umtausch bzw. Reklamation bei diesen Teilen problematisch seien.
Onlineshops spiegeln Vielfalt wider
Die ganze Vielfalt des Angebots findet man im Internet. Die bekannten, führenden Onlineanbieter - ganz gleich ob B2C oder B2B - spiegeln in ihren Katalogen das gesamte Spektrum des Ersatzteilemarktes wider und bieten neben Erstausrüstermarken auch Nachbauteile und oftmals Eigenmarken. Das Marktforschungsinstitut Puls Marktforschung aus Nürnberg hat für asp mittels eines selbst entwickelten Recherchetools die Preise für gängige Ersatzteile in B2C-Onlineshops am Beispiel eines VW Touran 1,6 Liter TDI ermittelt. Die Bandbreite der Preise - und Qualitäten - ist groß ( siehe Grafik S. 14). Eine zentrale Erkenntnis: Die Preise verändern sich in den Onlineshops sehr dynamisch. Teilweise werden im Rahmen von Aktionen Kampfpreise angeboten - dafür verteuert sich ein anderes Produktsegment.
OE-Teile auf dem Vormarsch
Drei Fragen an Antti Wolk, Geschäftsführer Wolk Aftersales Experts
asp: Wie teilt sich der Markt für Ersatzteile auf?
A. Wolk: Die klassische Einteilung in Budget-Teile, Medium- und Top-Qualität, die sich dann auch im Preis widerspiegelt, hat sich zunehmend aufgelöst. Grund ist die Transparenz durch das Internet. Die Regel, dass gute Qualität immer teuer und schlechte Qualität günstig ist, stimmt so nicht mehr. In Onlineshops werden auch Markenprodukte oft sehr günstig im Rahmen von zeitlich begrenzten Aktionen angeboten.
asp: Was ist von günstigen Eigenmarken zu halten?
A. Wolk: Wenn ein Distributeur oder eine Einkaufskooperation eine Marke lanciert, werden diese Teile in der Regel in China produziert. Das heißt aber keineswegs, dass die Qualität schlecht sein muss. Das hängt dann von der eigenen Qualitätssicherung ab.
asp: Die Einteilung Originalteil vom Händler, Nachbauteil im Aftermarket funktioniert so nicht mehr. Warum?
A. Wolk: Es gibt für OE-Teile auch in der freien Werkstatt einen Markt. Kunden vertrauen auf das OE-Teil und entscheiden sich in der Regel für dieses, wenn der Preisunterschied nicht zu groß ist. Das haben die Automobilhersteller erkannt und treiben das Segment voran. Markenunabhängige Werkstätten beziehen 25 bis 30 Prozent ihres Teilebedarfs in Form von OE-Teilen. Die Versorgung der freien Werkstätten erfolgt größtenteils noch über lokale Autohäuser und Niederlassungen der jeweiligen Fahrzeughersteller, welche sich dem Wettbewerb der freien Händler stellen und zunehmend besseren Service anbieten. Daneben gibt es Händler, die sich auf den Handel mit Originalteilen spezialisiert haben und unter anderem sogar Aftermarket-Teile bis hin zu Eigenmarken anbieten.
Ersatzteile-ABC
Originalersatzteile
...sind Ersatzteile, die von gleicher Qualität sind wie die Bauteile, die für die Montage des Neufahrzeugs verwendet wurden. Sie werden exakt nach den Spezifizierungen und Produktionsanforderungen des Automobilherstellers produziert. Teilweise stammen diese Ersatzteile von der gleichen Produktionsanlage wie das OE-Bauteil. Es wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass Ersatzteile Originalersatzteile sind, sofern der Teilehersteller bescheinigt, dass diese Teile von gleicher Qualität sind wie die für die Herstellung des betreffenden Fahrzeugs verwendeten Bauteile und dass sie nach den Spezifizierungen und Produktionsanforderungen des Kraftfahrzeugherstellers hergestellt wurden. Bei Originalersatzteilen, die der Lieferant der Erstausrüstung über den freien Servicemarkt vertreibt, spricht man teilweise immer noch von Identteilen, auch wenn die GVO den Begriff nicht kennt. Die Definition des Begriffes "Originalersatzteil" erfolgt heute auf Grundlage der Teilequalität und nicht der Teileherkunft.
Qualitativ gleichwertige Ersatzteile
Neben "Originalteil" definieren die begleitenden Leitlinien der "Aftermarket-GVO" auch den Begriff "qualitativ gleichwertiges Teil". Darunter versteht man Komponenten, die so hochwertig sein müssen, dass ihre Verwendung das Ansehen des OE-Vertriebsnetzes nicht gefährdet. Sowohl für "Originalteile" als auch "qualitativ gleichwertige Ersatzteile" gilt: Will der Fahrzeughersteller die Verwendung des Teils in der Vertragswerkstatt verhindern, muss er den Beweis erbringen, dass es kein qualitativ gleichwertiges Teil oder Originalteil ist.
Qualitativ unterschiedliche Teile
Solche Teile weisen zum Beispiel eine auf das Alter des Fahrzeugs angepasste Qualität auf. So werden für Gebrauchtfahrzeuge spezielle zeitwertgerechte Ersatzteile entwickelt. Für die zeitwertgerechte Reparatur werden nicht nur Neuteile, sondern auch Austauschteile und Gebrauchtteile verwendet. Qualitativ unterschiedliche Teile können aber auch höherwertiger als die Originalteile sein.
Austauschteile
Austauschteile sind durch Bearbeitung in den Neuzustand versetzte Autoteile, die der Qualität eines Neuteils entsprechen. Austauschteile findet man im freien Kfz-Teilehandel wie im gebundenen Markt.
Gebrauchtteile
Als Gebrauchtteile werden Autoteile bezeichnet, die nach ihrem Ausbau aus einem Alt- oder Unfallwagen nicht weiter bearbeitet wurden, bevor sie wieder in den Verkehr gebracht werden.
- Ausgabe 02/2019 Seite 14 (198.0 KB, PDF)