Mit der Einführung des "Neuen Europäischen Fahrzyklus" NEFZ in den 1990er-Jahren sollte eine genormte Vergleichbarkeit der Verbrauchsdaten und des Schadstoffausstoßes aller Fahrzeugtypen und -modelle ermöglicht werden. Von Anfang an kritisierten Umwelt- und Verbraucherverbände, dass die so ermittelten Werte in der Praxis - sprich im Fahrbetrieb - nicht zu erreichen sind. Vor allem die aus dem NEFZ abgeleiteten Verbrauchsangaben gaben immer wieder Anlass zu Diskussionen und führten in dem ein oder anderen Fall sogar zur Wandlung neuer Fahrzeuge. Schon lange hallt deshalb der Ruf nach einem realistischeren Prüfzyklus und stärkerer Kontrolle der von den Herstellern im Rahmen der Typprüfung ermittelten Verbrauchs- und Abgaswerte.
Mit der Einführung der neuen Schadstoffklasse Euro 6c in 2017 soll nun voraussichtlich ab September 2017 auch ein neuer Prüfzyklus, der WLTP (Worldwide harmonized Light duty Test Procedure), praxisorientierte Verbrauchs- und Abgaswerte liefern. Dazu werden im WLTP die Dauer des Prüfstandlaufes deutlich verlängert, die Stoppzeiten reduziert, die Distanz mehr als verdoppelt sowie die Geschwindigkeit spürbar gesteigert. Die neue Fahrkurve und die Messprozedur sind gesetzlich in der "New GTR 15" (Global Technical Regulations) geregelt, diese ersetzt die bisher für den NEFZ gültigen ECE-Regelungen.
Unabhängig messen
Bisher sollen durch sogenannte "Conformity-of-Production"-Prüfungen die Hersteller nachweisen, dass die produzierten Fahrzeuge dem typgenehmigten Modell entsprechen. Doch die Ereignisse rund um den VW-Abgasskandal lassen den Ruf nach mehr unabhängiger Kontrolle lauter werden. So ist geplant, die Ergebnisse aus dem WLTP zusätzlich durch RDE-Fahrten zu verifizieren. RDE (Real Driving Emissions) ist eine reale Straßenfahrt im Rahmen vorgegebener Randbedingungen bezüglich Umgebung, Fahrzeugzustand und Streckenprofil.
In der Phase 1 vermutlich ab September 2017 werden die so gemessenen CO- und Stickoxid (NOx)-Werte mit einem derzeit noch in der Diskussion stehenden Konformitätsfaktor (CF) beaufschlagt, d. h. der Messwert aus der RDE-Fahrt darf die Herstellerangabe aus der Typprüfung maximal um diesen Faktor übersteigen. In der ab 2020 geplanten Phase 2 wird zusätzlich der Partikelausstoß gemessen, der CF soll gleichzeitig gesenkt werden. Um unabhängige Ergebnisse sicherzustellen, sollen die RDE-Fahrten vor allem durch Behörden wie das KBA oder Technische Dienste durchgeführt werden.
Von der Straße auf den Prüfstand
Dazu kommen sogenannte PEMS (Portable Emission Measurement System) zum Einsatz, also mobile Messsysteme, die an jedem Fahrzeug angebracht werden können und die Emissionen während der Fahrt analysieren und aufzeichnen. Hersteller AVL, in Werkstätten bekannt durch Motortester und Diagnosegeräte, hat mit M.O.V.E iS eine Komplettlösung für ein PEMS entwickelt, die von der einfachen Anbringung am Fahrzeug über die Testausführung und Datenauswertung bis zum Datenaustausch alle Schritte unterstützt.
Eine zentrale Kontrolleinheit steuert den Testablauf, zeichnet Daten auf und visualisiert sie. Eine grafische Oberfläche führt den Anwender Schritt für Schritt durch die gesetzlich geregelte Testprozedur. Das System ist speziell für die Anbringung auf einer Standard-Anhängerkupplung entwickelt und kann dort in weniger als fünf Minuten montiert werden. Um Einflüsse auf das Testergebnis zu vermeiden, ist das Messgerät leicht, kompakt und aerodynamisch gestaltet.
Zu den Emissionsmessungen kommen bei der Testfahrt noch die mittels M.O.V.E erfassten geografischen und klimatischen Daten sowie präzise Informationen zur jeweiligen Fahrsituation hinzu. Alle gemessenen Daten können anschließend strukturiert abgelegt und mit dem Tool Concerto M.O.V.E analysiert und statistisch ausgewertet werden. Von großem Wert wird künftig auch die Analyse dieser Daten bei Fahrzeug-Neuentwicklungen sein, da mit der statistischen Auswertung der Summe der Daten Vorhersagen über das Abgasverhalten einer Motorenfamilie in einem bestimmten Fahrzeugtyp getroffen werden können. Mit dem virtuellen Prüfstand XIL.Station bietet AVL eine weitere ideale Entwicklungsumgebung, in der eine modellbasierte RDE-Entwicklung in Bezug auf den Motor und die Abgasnachbehandlung effizient und kostengünstig durchgeführt werden kann.
Reproduzierbare Straßenfahrt
Um eine Straßenfahrt auf einem "realen" Prüfstand zu reproduzieren, werden die mittels M.O.V.E auf der Straße ermittelten Daten konvertiert, um sie anschließend in die Prüfstandsautomatisierung einspielen zu können. Mit den AVL-Rollenprüfständen können derartige Prüffahrten sehr effizient realisiert werden. Es ist somit möglich das Fahrzeug nach einer Straßenmessung mit M.O.V.E auf dem Rollenprüfstand im selben Kennfeldpunkt zu betreiben, um hier weiterhin die erweiterten Analysemöglichkeiten der Prüfstandsumgebung zu nutzen.
Letztendlich wird RDE dazu führen, dass die Fahrzeughersteller das Kennfeld ihrer Motoren im gesamten Bereich optimieren müssen und nicht nur für einen Testzyklus. Dies wird langfristig zu deutlichen Absenkungen der Realemissionen von Stickoxid und Partikeln führen. Manipulationen zur Abgasoptimierung auf dem Prüfstand werden dank RDE in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Kurzfassung
Zur Verifizierung der Abgaswerte aus Prüfstandsläufen sollen diese zukünftig durch Realfahrten ergänzt werden. Auch die gezielte Messung einzelner Fahrzeuge im fließenden Verkehr wäre technisch machbar.
Abgasüberwachung im fliessenden Verkehr
Fahrzeugkontrollen im laufenden Verkehr sind heute alltäglich, wenn es um Sicherheitsaspekte geht. Eine Kontrolle bezüglich des Abgasverhaltens ist so noch nicht möglich, außer ein Fahrzeug fällt etwa durch starke Rußbildung auf.Viele Experten fordern als Ergänzung zu Typgenehmigung und Abgasuntersuchung eine Überwachung im fließenden Verkehr. Möglich wäre dies mit sogenannten "Remote-Sensing"-Verfahren (RSD), die den Abgasausstoß vorbeifahrender Fahrzeuge messen. Mittels Infrarot- und Ultraviolett-Strahlen messen die Geräte Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide. Fahrzeuge mit auffälligen Abgaswerten könnten so gezielt aufgespürt werden.In den USA schon längst angewendet, scheitert der Einsatz der Geräte in Deutschland derzeit noch an Datenschutzbestimmungen.
- Ausgabe 01/2016 Seite 20 (297.3 KB, PDF)