Von Holger Holzer/SP-X
Die Coronakrise treibt die Digitalisierung voran. Auch beim Thema Auto. Auch wenn manche virtuellen Erscheinungen im ersten Moment eher skurril erscheint – einige dürften durchaus Zukunft haben.
Erstes Opfer des Coronavirus war aus europäischer Branchensicht der Genfer Automobilsalon. Die traditionsreiche Frühjahrsmesse musste Anfang März relativ kurzfristig aus Angst vor Ansteckung abgesagt werden. Die Aussteller – vor allem Autobauern und Zulieferer – hat das gezwungen, auf andere Weise nach öffentlicher Wahrnehmung für ihre Neuheiten zu suchen. Besonders konsequent war VW. Die Wolfsburger haben kurzerhand eine "virtuelle Motor Show" im Netz geöffnet. Hier können Besucher über den nie in der Realität eröffneten Genf-Messestand schlendern, Fahrzeuge in Augenschein nehmen (vom neuen Golf GTI bis zum Elektroauto ID.3) und sich auf Wunsch Zusatzinformationen direkt anzeigen lassen.
Noch fehlt es dem Nutzererlebnis im Vergleich zum Besuch einer echten Messe deutlich an Detailreichtum und Atmosphäre – doch in Zeiten, in denen die großen Autoshows mit Besucher- und Aussteller-Rückgängen zu kämpfen haben, könnte die virtuelle Ausstellung durchaus ein Zukunftsmodell sein. Dem Besucher erspart sie das Gedränge, dem Hersteller die immensen Kosten. Und natürlich auch die Konkurrenz mit den Wettbewerbern, die wenige Meter weiter auf dem nächsten Messestand um Aufmerksamkeit werben.
Messen und andere Neuheiten-Shows verleiten den Besucher idealerweise zum Kauf eines der ausgestellten Modelle. Aktuell ist das auf dem üblichen Weg über den Besuch im Autohaus nicht möglich. Stattdessen verlagern Händler und Hersteller Beratung, Verhandlung und Kauf soweit es geht ins Internet. Besonders weit geht dabei die koreanische Marke Hyundai, die schon vor der Corona-Krise einen Online-Showroom gestartet hat. In einem Studio in Aschaffenburg stehen vier Modelle und acht Berater bereit, die Interessenten per Video-Chat rund ums Auto führen und für Fragen – nicht nur zu den ausgestellten Fahrzeugen – bereitstehen. Terminvereinbarungen und der Verbindungsaufbau erfolgen über die Hyundai-Webseite.
Aus Herstellersicht ist der Online-Vertrieb schon lange attraktiv, lassen sich so doch die Kosten für ein großes stationäres Händlernetz vermeiden. Einige, vor allem jüngere Marken wie Tesla oder Polestar verzichten daher ganz bewusst auf Vertrags-Autohäuser oder große Niederlassungen. Auch etablierte Marken wie Volvo, Mercedes oder Volkswagen testen längst den Verkauf im Netz. Aus Rücksicht auf die Vertragshändler, die schließlich auch die Werkstattinfrastruktur betreiben, aber in der Regel vorsichtig. Die Coronakrise könnte die Verlagerung des Autokaufs ins Netz nun deutlich beschleunigen und zu einem Massenphänomen machen.
Werksbesichtigung vom Sofa aus
Im ganzheitlichen Autokauf-Erlebnis hat sich zumindest bei einigen Herstellern auch die Werksbesichtigung im Rahmen der Neuwagen-Übergabe etabliert. Vor allem heimischen Marken zeigen Kunden gerne und mit Stolz ihre Produktionsstätten. Weil das aktuell aufgrund des Corona-Shutdowns weder besonders erhellend noch überhaupt möglich ist, hat Audi die Tour durch das Stammwerk in Ingolstadt kurzerhand ins Netz verlegt. Die VW-Tochter speist die Besucher dabei nicht mit einem Werbefilmchen ab, sondern lässt sie individuell von einem ihrer Tour-Guides durch die Fabrik leiten. Dabei lassen sich auf Fragen an die Führer stellen, wahlweise per Sprechverbindung oder über den Chat. Wer sich für eine Tour interessiert, wählt unter www.audi.stream einen der angebotenen Termine und bucht ein entsprechendes Gratis-Ticket.
Ob die Online-Werkstour tatsächlich in Konkurrenz zur Fabrik-Führung in der Realität treten kann, bleibt abzuwarten. Dem Hersteller gibt sie immerhin die Möglichkeit, die Kapazitäten der Rundgänge deutlich zu erweitern. Und für den Neuwagenkunden kann es durchaus interessant sein, vom heimischen Sofa aus zu sehen, wo sein Wagen gebaut wird.