Von Hannes Breustedt und Andreas Hoenig, dpa
NOx, CO2, CARB und KBA - und immer mittendrin: VW. Eigentlich wollte Europas größter Autokonzern mehr als ein Jahr nach dem Beginn von "Dieselgate" den Blick wieder nach vorne richten. Doch der Abgasskandal holt VW immer wieder ein. Aktuelle Fragen und Antworten.
Es gibt neue Vorwürfe gegen den Konzern - worum geht es?
Die große Frage ist, ob Behörden im Laufe ihrer Ermittlungen zum Dieselskandal eine neue Betrugssoftware gefunden haben. Dabei geht es um den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) und damit um Kraftstoffverbrauchswerte. Bisher handelte es sich beim VW-Abgasskandal um die Manipulation von Werten des gesundheitsschädlichen Stickoxid (NOx). Die "Bild am Sonntag" berichtete unter Berufung auf Erkenntnisse der kalifornischen Umweltbehörde CARB, die VW-Tochter Audi habe bei CO2-Werten für Diesel- und Benzin-Fahrzeuge manipuliert. Die CARB ging darauf bisher nicht näher ein. Die Behörde erklärte nun aber, falls sie neue Betrugssoftware entdecke, werde sie die Untersuchung "aggressiv vorantreiben".
Was genau wird Audi vorgeworfen?
In einigen Audi-Motoren, von denen bislang nicht bekannt war, dass sie im Fokus der Ermittler standen, soll laut Zeitung eine Software zur sogenannten Lenkwinkel-Erkennung eingebaut worden sein. Mit dem Programm erkenne ein Auto, wenn es auf dem Prüfstand steht, oder auf der Straße fährt. Werde das Lenkrad nach dem Start nicht bewegt, aktiviere sich ein Schaltprogramm für das Getriebe, das besonders wenig CO2 produziert. Drehe der Fahrer das Lenkrad dagegen nur um mehr als 15 Grad, laufe das Auto mit einem anderen Schaltprogramm, das mehr Kraftstoff und CO2 verbraucht. So soll nicht nur in den USA, sondern auch in Europa manipuliert worden sein.
Welche Folgen könnte das Ganze haben?
Stimmen die Vorwürfe, wäre dies für den VW-Konzern noch einmal eine neue Dimension im Abgasskandal. Vor allem in Europa sind die CO2-Grenzwerte in den vergangenen Jahren verschärft worden - bei Verletzung der Werte drohen Strafzahlungen. VW war wegen des Themas CO2 bereits einmal in den Schlagzeilen. Vor einem Jahr hatte der Autobauer zunächst mitgeteilt, bei internen Untersuchungen festgestellt zu haben, dass es bei der Bestimmung des CO2-Wertes für die Typzulassung von Fahrzeugen zu "Unregelmäßigkeiten" gekommen sei - es könnten rund 800.000 Fahrzeuge betroffen sein. Später dann kam aus VW-Sicht Entwarnung: Es gehe nur um 36.000 Autos.
Welche Reaktionen gibt es auf die neuen Vorwürfe?
Audi sowie die VW-Konzernzentrale hüllen sich in Schweigen. Ein Audi-Sprecher verwies lediglich auf die laufenden Untersuchungen in den USA.
Branchenexperten sehen einen Rückschlag für den Konzern im Abgasskandal. "Je nachdem, wie viele Fahrzeuge weltweit von Manipulationen betroffen sind, kann das im Hinblick auf Rückrufe und Strafen für Audi sehr teuer werden", sagte der Leiter des Institiuts CAM in Bergisch Gladbach, Stefan Bratzel, am Dienstag. Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen meinte: "Die neuen Vorwürfe sind sehr schädlich für die Marke Audi und den VW-Konzern, aber auch für die deutschen Autobauer insgesamt."
Was unternimmt die Bundesregierung?
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) soll die Berichte über angebliche Täuschungen bei CO2-Werten in Audi-Modellen prüfen - das kündigte am Montag ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) an. Das KBA soll nun zunächst Informationen beschaffen, um diese zu bewerten.
Was macht die Aufarbeitung des Dieselskandals?
Trotz Fortschritten gibt es noch viele Baustellen für den Konzern. Audi rückt auch hier in den Fokus - wegen über 80.000 Dieselautos mit illegaler Abgastechnik. Bei den Fahrzeugen, die mit 3,0-Liter-Motoren unterwegs sind, steht ein Kompromiss mit den Behörden zu einer Absenkung der Stickoxidwerte noch aus. Bei rund 475.000 kleineren Dieselwagen mit manipulierten Stickoxidwerten hatte sich VW mit Zivilklägern in den USA bereits auf einen Milliarden-Vergleich geeinigt.
In Europa dagegen sträubt sich der Konzern gegen vergleichbare Angebote - dies könnte für VW finanziell zu massiven Problemen führen. VW ist der Auffassung, mit sogenannten Abschalteinrichtungen in manipulierten Dieselmotoren nicht gegen europäisches Recht verstoßen zu haben. Dies hatte für massive Kritik gesorgt. Auch das Bundesverkehrsministerium widersprach der Darstellung von VW.
Wie ist generell die Lage bei VW?
Volkswagen kommt nicht zur Ruhe. Ins Visier der Ermittler ist nun auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch geraten. Der frühere Finanzvorstand steht im Verdacht der Marktmanipulation. Es geht darum, dass VW zu Beginn des Skandals die Finanzwelt zu spät über den Abgas-Skandal und dessen finanzielle Risiken informiert hat. Gegen Markenchef Herbert Diess und Ex-Konzernchef Martin Winterkorn gibt es bereits seit längerem entsprechende Ermittlungen der Braunschweiger Behörde. VW weist die Vorwürfe zurück.
Zugleich steht der Autobauer vor wegweisenden Entscheidungen. Wegen der Abgaskrise muss VW milliardenschwere Belastungen verkraften. Zu großen Teilen muss dies die Kernmarke VW mit Modellen wie dem Golf und dem Passat schultern - die aber ohnehin ertragsschwach ist. Die Kosten sollen runter. Verhandlungen zwischen Management und Betriebsrat über einen «Zukunftspakt» befinden sich auf der Zielgeraden. Die Arbeitnehmervertreter wollen Sicherheiten für die Belegschaft.