Die freien Werkstätten kämpfen mit zahlreichen Hürden auf dem Aftermarkt. Wie eine internationale Branchenstudie der Unternehmensberatung Berylls by AlixPartners zeigt, werden beispielsweise Kfz-Ersatzteile dem freien Markt im zunehmenden Maße nicht mehr zugänglich gemacht. Weitere Herausforderungen seien Cybersicherheitsmaßnahmen, der Zugang zu technischen Informationen, erforderliche Software-Updates sowie das Geschäft mit Echtzeit-Fahrzeugdaten.
"Die Verfügbarkeit aller Ersatzteile ist ein wichtiger Einflussfaktor", sagt Paul Kummer von Berylls by AlixPartners. Er verweist auf Berichte von CLEPA (Verband der europäischen Automobilzulieferer) und FIGIEFA (Europäischer Verband freier Kfz-Ersatzteilhändler), wonach immer mehr Teile nur noch über den OEM bezogen werden könnten. Hersteller würden Lizenzen für die Nutzung von Werkzeugen, Design-, Patent- oder Softwarerechten nicht oder nur sehr verzögert an Teileproduzenten erteilen.
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Kummer erklärt weiter: "Mit der Einführung von Maßnahmen zur Cybersicherheit benötigen viele Teile nach dem Einbau eine Freischaltung oder Aktivierung durch den OEM, was die Abhängigkeit aller Werkstätten vom OEM weiter verstärkt." Dies werde in der Praxis oftmals von den Autobauern genutzt, um unabhängigen Marktbeteiligten Gebühren aufzuerlegen, "die sich direkt auf die Kosten der Dienstleistungen auswirken, die sie den Fahrzeughaltern anbieten".
Benefits für OEM
Problematisch bleibt auch der Zugang zu Daten, technischen Informationen und Software-Updates. Da Fahrzeuge zunehmend vernetzt sind, verschaffe der Fernzugriff auf den Wagen und die von ihm erzeugten Echtzeitdaten den Autoherstellern einen erheblichen Benefit. "Dieser ermöglicht einen Wettbewerbsvorteil, für ihre Dienstleistungen zu werben und Fahrzeuge in die eigenen Werkstätten zu leiten", so der Berater. Gleiches gelte für Handhabung technischer Informationen, die die Betriebe für Reparaturdienstleistungen benötigen.
"Wir haben beobachtet, dass die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Daten manchmal schlecht strukturiert sind oder in Formaten weitergegeben werden, die eine einfache Verarbeitung sehr erschweren", erläutert Kummer. Um die für die Wartung und Reparatur benötigten Informationen nutzbar zu machen, müssten die auf Diagnose- und Reparaturinformationen spezialisierten Anbieter nun einen erheblichen Aufwand betreiben. Das treibe wiederum die Kosten für die freien Betriebe in die Höhe und verteuere letztlich die Arbeiten am Fahrzeug unnötig.
Mögliche Szenarien und ihre Auswirkungen
In der Studie zeigt Kummer zwei Szenarien für die Entwicklung des Aftermarket auf. Im Szenario 1, bei dem die Fahrzeughersteller ihren Einfluss weiter ausbauen können, gehen die befragten Experten unisono davon aus, dass sich die Servicekosten für den Endverbraucher spürbar verteuern werden. "Bezahlbare Mobilität mit dem eigenen Auto könnte in diesem Fall nicht mehr für alle Gesellschaftsschichten realisierbar sein", heißt es in der Untersuchung.
Aktuell werden in den in der Studie erfassten sieben Länder 150,2 Milliarden Euro jährlich erwirtschaftet (Teile und Lohn). Die Wirtschaftsleistung werde sich bis zum Jahr 2035 um jährlich 0,7 Prozent auf dann 161,9 Milliarden Euro erhöhen, prognostiziert Kummer. Bei steigendem Einfluss der OEMs erwarte man 2035 allerdings einen Anstieg auf etwa 197,9 Milliarden Euro. Diese Differenz müssten die Endkunden zusätzlich zum erwarteten Betrag aufwenden.
Im Szenario 2 geht der Studienautor von der Annahme einer Liberalisierung des Aftermarket aus. Dann dürften sich die Aufwände für Service und Reparaturen auf etwa 159,8 Milliarden Euro einpendeln. Sie würden damit rund zwei Milliarden Euro unter dem derzeit erwarteten Niveau liegen.
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BildergalerieAgenturmodell ohne Einfluss
Dass aktuell viele Autohäuser ihren Händlerstatus gegen den eines Agenturbetriebs tauschen, hat nach Ansicht von Kummer vorläufig keinen Einfluss auf die Service- und Reparaturkosten. "Auch die Werkstatt einer Agentur muss bis auf Weiteres die hohen Anforderungen erfüllen, die der jeweilige OEM an sie stellt, was seine Berechtigung hat."
Die Autos auf den europäischen Straßen werden immer älter und damit wartungsintensiver. Derzeit liegt das Durchschnittsalter bei 12,2 Jahren, 2035 soll es schon bei 14,6 Jahren liegen. "Der damit verbundene steigende Wartungsbedarf, ist keine Überraschung. Es wäre allerdings sehr wünschenswert, wenn ihn sich auch künftig jeder leisten kann", betont Kummer. Er sieht daher den Gesetzgeber in der Pflicht, für mehr Transparenz und Eindeutigkeit beim Zugang zu Reparatur- und Serviceinformation zu sorgen.
Zusammenfassung
Als Folge der technischen Entwicklung wird der Einfluss der Autobauer im Aftermarket weiter zunehmen. Die Branchenverbände CLEPA und FIGIEFA erachten daher Szenario 1 als sehr reale Option. Die Daten und die Digitalisierung verschiedener After Sales-Angebote gewinnen an Relevanz für das Geschäft der Servicebetriebe, hierzu gehören auch Updates von Fahrzeugsystemen wie beispielsweise Assistenzsysteme oder Firmware. Diese setzen zudem ein Höchstmaß an Sicherheit – Stichwort Cybersecurity – voraus. Diese Sicherheit bedingt ebenfalls einen im Detail geregelten und konfliktfreien Datenaustausch zwischen Herstellern und Werkstätten.