Karosserie-Höherlegung
Höherlegung von Pkw-Karosserien ist eine Modeerscheinung. Ebenso wie bei Tieferlegung haben sich Tuningteileanbieter und mit dem Einbau beauftragte Werkstätten an geltende Richtlinien zu halten. Geschieht das nicht, erlischt womöglich die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs. So wie in diesem Fall.
Sonntag, 2. Februar 2014, nachmittags 16 Uhr: Per E-Mail trifft eine Information des Tuners Hamann in der Redaktion ein. Es geht um Höherlegung von Pkw-Karosserien über in die Federn einzulegende Schalen, „Spaccer“ genannt. Bis zu 48 Millimeter Höhenunterschied sollen so realisierbar sein.
Stopp! 48 Millimeter? Gibt es, bezogen auf Fußgängerschutz, nicht den Grenzwert 30 Millimeter? Es beginnt eine Recherche, an deren Ende diese Erkenntnis steht: Bei Einbau der Schalen verliert das Fahrzeug seine Betriebserlaubnis.
Von wegen TÜV-Gutachten
„Ein hochfester und eigens für jedes Auto angefertigter Spezial-Aluminiumring wird ober- oder unterhalb der Achsfedern eingesetzt und kann einen Wagen um bis zu 48 Millimeter erhöhen. In den Schritten 12/24/36/48 Millimeter kann Spaccer eingebaut werden“, so ein Zitat aus der Information, in der zudem auf die Seite www.spaccer.de verwiesen wird.
Auf Nachfrage wurde asp das Deckblatt eines angeblichen „TÜV-Prüfgutachtens“ gefaxt, das sich bei genauerer Betrachtung als Prüfbericht eines Dienstleisters über eine Festigkeitsprüfung von Federunterlagen als Grundlage für Fahrzeugabnahmen nach Paragraf 21 bzw. Paragraf 19 (2) StVZO herausstellte.
Jürgen Wolz, Leiter der technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr in Bayern bei der TÜV Süd Auto Service GmbH, stellt die Situation richtig: „Der Prüfbericht ist lediglich eine Arbeitshilfe für den amtlich anerkannten Sachverständigen/Prüfer bei der Einzelbegut-achtung nach Paragraf 19 (2) StVZO, der nur den Aspekt Festigkeit betrachtet. Das ändert nichts daran, dass es sich hier um eine Änderung am Fahrwerk ohne Vorlage eines Teilegutachtens handelt. Aufgrund der zu erwartenden Gefährdung erlischt gemäß Paragraf 19 (2) StVZO die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs. Die Werkstatt muss das Fahrzeug nach dem Einbau auf jeden Fall einem amtlich anerkannten Sachverständigen/Prüfer zur Begutachtung vorstellen. Ist ein solches System verbaut und nicht positiv begutachtet, wird ein HU-Prüfer das als ‚erheblichen Mangel‘ einstufen.“ Nochmalige Nachfrage bei Hamann mit Nennung potenziell kritischer Punkte sowie Bitte um Reaktion bis zum 10. März blieb unbeantwortet. Um die folgenden potenziell kritischen Punkte geht es:
Fahrwerk- und Lenkgeometrie
Belastung der Fahrwerkfedern
Blockmaße/Blockmaßreserven der Fahrwerkfedern
Kolbenwege der Stoßdämpfer
Winkeldifferenz der Gelenk- und Kardanwellen
Länge von Bremsschläuchen, Gestängen und Elektrokabeln
Fahrdynamik
Fußgängerschutz
Die Hintergründe in umgekehrter Reihenfolge: Ursprünglich legte die Richtlinie 2003/102/EWG für mit Fußgängerschutz-Nachweis typgeprüfte Fahrzeuge fest, dass bei Karosserie-Höherlegung ein erneuter, negative Einflüsse auf den Fußgängerschutz ausschließender Nachweis erbracht werden muss. Von diesem Nachweis ausgenommen sind Höherlegungen bis maximal 30 Millimeter. Inzwischen wurde diese Richtlinie durch die Verordnung (EG) 78/2009 ohne Änderung des genannten Sachverhalts abgelöst. „Die Grenze von 30 Millimeter wurde als Erfahrungswert festgesetzt, bis zu dem es hinsichtlich des Fußgängerschutzes zu keinen Problemen kommen wird. Aber das Thema muss der amtlich anerkannte Sachverständige/Prüfer im Rahmen seiner Begutachtung am einzelnen Fahrzeug individuell beurteilen“, so Jürgen Wolz. Betroffen wären hier die Höherlegungsstufen 36 und 48 Millimeter.
Verbindungselemente zu kurz?
Einfluss auf die Fahrdynamik besteht in-sofern, dass mit Einbau der Schalen auch der Fahrzeugschwerpunkt nach oben verschoben wird. Das Fahrzeug nickt und wankt stärker. 48 Millimeter sind diesbezüglich kein Pappenstiel.
Das gilt auch für Bremsschläuche, Gestänge und Elektrokabel zwischen Fahrwerk und Aufbau, zum Beispiel das Gestänge des Bremskraftreglers oder die Kabel der Bremsbelagverschleiß-Sensoren, die nach der Höherlegung der Karosserie vermutlich zu kurz sind.
Auch Gelenk- und Kardanwellen stecken 48 Millimeter Höherlegung nicht einfach so weg. Veränderte Anstellwinkel erzeugen womöglich zuvor nicht vorhandene Schwingungen und führen zu erhöhter Gelenkbeanspruchung.
Mit der Höherlegung verschiebt sich die Ruhestellung der Stoßdämpferkolben aus der Mitte in den oberen Bereich der Dämpferrohre, verbunden mit Verkürzung des Ausfederwegs. Für Dämpfer mit per Bypass realisierter variabler Kenn-linie ist das der sprichwörtliche größte anzunehmende Unfug (GAU).
Jede Fahrwerk-Schraubenfeder besitzt ein Blockmaß – das Maß der vollständig zusammengedrückten Feder. Die Blockmaßreserve der Aufhängung verhindert, dass die Feder „auf Block geht“, was kritische Fahrzustände verursachen kann. Der Einbau der Spaccer-Schalen ver-ändert die Ein- und Ausfederwege und somit auch die Blockmaßreserve der Radaufhängung.
Die veränderten Ein- und Ausfederwege erhöhen zudem die Belastung der Federn, was deren Verschleiß fördert und zu vorzeitigem Ausfall führen kann.
Nicht zuletzt verändert eine Höherlegung der Karosserie auch die Geometrien von Fahrwerk und Lenkung, weil sich die Anstellwinkel der Achslenker und Spurstangen vergrößern. Beide Geometrien sind nachzujustieren – vorausgesetzt, die Spielräume sind groß genug. Vorhandene Stabilisatoren sind ggf. durch entsprechend angepasste Teile zu ersetzen.
Es bleibt also nicht dabei, mal schnell ein paar Schalen über oder unter die Federn zu legen, wie es die Information von Hamann suggerierte und wie es andere Zeitschriften womöglich veröffentlichten. Lässt man sich als Werkstatt auf den Einbau der Spaccer-Schalen ein, müssen dem Kunden der Gesamtaufwand und die resultierenden Kosten erklärt werden. Am besten, man fragt auch als Fachmann vorher bei einem amtlich anerkannten Sachverständigen/Prüfer nach.
Verkennung des Sachverhalts
Wie einem durchaus namhaften Tuner ein solcher Fehler unterlaufen kann, ließ sich durch sein Schweigen bislang nicht klären. Die Betreffzeile der E-Mail vom 2. Februar lässt auf Blauäugigkeit und Verkennung der Sachverhalts schließen: „dank innovativer Pkw-Höherlegung sicher durch den Winter“. Dazu passen die folgenden Aussagen aus der Internetseite www.spaccer.de: „optimaler Einsatz bei Pkw mit häufigem Anhängerbetrieb“, „auch für tiefergelegte Fahrzeuge“ und „Einbau durch ambitionierte Hobbyschrauber möglich“. Peter Diehl
Produkte
Zwei Neuheiten von Eibach
Federnspezialist Eibach aus Finnentrop hat soeben zwei Produktneuheiten vorgestellt: Höherlegungsfedern Pro-Lift-Kit und Fahrwerkmodule Pro-Tronic. Letztere kommen dann zum Einsatz, wenn bei Fahrzeugen mit elektronischer Fahrwerkregelung konventionelle Sportfahrwerke nachgerüstet werden. Damit es aufgrund der mit dem Ori-ginalfahrwerk entfernten Aktoren nicht zu Fehlermeldungen kommt, geben sich die Module als Aktoren aus und überlisten so das Steuergerät. „Das funktioniert nicht nur in Kombination mit Fahrwerkprodukten von Eibach“, erklärt der Anbieter korrekt. Lieferbar sind die Fahrwerkmodule für gängige Volumenmodelle. Einbaupositionen werden in modellspezifischen Montageanleitungen benannt. Zunächst nur für Dacia Duster, Hyundai ix35 und Santa Fé, Kia Sorento und Sportage sowie Renault Captur lieferbar sind die – laut Anbieter richtlinienkonformen – Höherlegungsfedern. Sie erhöhen das Karosserieniveau modellabhängig um maximal 30 Millimeter. pd
- Ausgabe 3/2014 Seite 16 (2.8 MB, PDF)
Andreas
D.buschhorn
D.Buschhorn