Pkw-Reifen mit Innerliner-Beschichtung haben bereits Historie. Keine besonders lange, aber dafür eine besonders intensive. Zunächst, das war in den 2000er Jahren, kamen Reifen mit angeblich selbst reparierender Schicht auf. Selbst reparierend bedeutet hier, dass die Beschichtungsmasse in die Reifenlauffläche eingedrungene Fremdkörper (Nägel, Schrauben etc.) umschließt und die Schadenstelle abdichtet. In der Folge war zwischen den Reifenherstellern und dem Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) strittig, ob es sich hierbei um eine Reparatur im Sinn der den StVZO-Paragrafen 36 ergänzenden Richtlinie für die Instandsetzung von Luftreifen vom 8. Februar 2001 handelt. Die Reifenhersteller bejahten, während der BRV vom Gegenteil überzeugt war. "Reifenreparatur ist die dauerhafte Beseitigung des Schadens an einem Reifen mittels geeigneter Reparaturmaterialien und Verfahren", besagt die Richtlinie und meint damit eine handwerkliche Reparatur: "Generell ist der Schadenskanal mit Rohgummi, das mittels Heiß- oder Warmvulkanisation zu vulkanisieren ist, zu füllen und an der Reifeninnenseite ein Reparaturpflaster einzusetzen. Für die Lochkanalfüllung von Stichverletzungen im Laufflächenbereich kann auch ein vorvulkanisierter Gummikörper in Verbindung mit einem Reparaturpflaster Verwendung finden. [...] Im Laufflächenbereich sind Reparaturen von Stichverletzungen bis höchstens 6 mm Schadensausdehnung mittels Kombireparaturmittel zulässig. Im Bereich der Wulstzone sind Gummireparaturen nur zulässig, wenn die Festigkeitsträger nicht davon berührt sind."
Das setzt vor der Reparatur eine Schadenbeurteilung voraus, wofür übrigens eine zweite Richtlinie existiert, die ebenfalls am 8. Februar 2001 verabschiedete Richtlinie für die Beurteilung von Reifenschäden an Luftreifen. Das Problem: Ein Schaden, der nicht erkannt wurde, kann auch nicht beurteilt werden.
Die Differenzen zwischen den Reifenherstellern und dem BRV scheinen ausgeräumt, denn Reifenhersteller Continental und das Stahlgruber-Tochterunternehmen Rema Tip Top erarbeiteten gemeinsam eine Reparaturanleitung für solche Reifen. Die Reparaturanleitung bezieht sich auf Reifen mit "Conti Seal" genannter Beschichtung sowie auf das von Rema Tip Top entwickelte, produzierte und vertriebene Reparaturmaterial "Minicombi" und differenziert die Beschichtung nach dem Grad ihrer Klebrigkeit: "Ist das Sealant (die Beschichtung; Anm. d. Red.) im Bereich des Minicombi-Tellers sauber und hat eine starke Eigenklebrigkeit,
kann auf dem Sealant repariert werden. [...] Ansonsten muss das Sealant im Bereich der Reparatur entfernt werden." Was auf diese Weise erfolgen soll (Zitat aus der Reparaturanleitung): "Das Sealant in der Größe des Minicombi-Tellers vollständig vom Innerliner zur Seite schaben. Von der Schadensstelle das Sealant zur Seite ziehen und um die Fläche des Minicombitellers zu einem Wulst zusammenschieben, indem man das zur Seite geschabte Sealant auf den Rand hebt." Die eigentliche Reifenreparatur unterscheidet sich nicht von bekannten Verfahren.
Geräuschdämmende Beschichtung
Seit 2013 existiert zudem eine geräuschdämmende Beschichtung des Innerliners ohne gleichzeitige Dichtfunktion. Entwickelt von Continental als "Conti Silent" und Pirelli als "Noise Cancelling System", erfolgte der Ersteinsatz bei Erstausrüstungsreifen für Audi RS6 und RS7, also mit der Seitenwandkennzeichnung RO1 und in den Größen 285/30 ZR21 bzw.
275/30 ZR21. Pirelli zufolge beträgt die Geräuschminderung zwei bis drei Dezibel. Auch für diese Art der Innerliner-Beschichtung erarbeiteten Continental und Rema Tip Top eine Reparaturanleitung. Sie beinhaltet ebenfalls eine Differenzierung nach dem Grad der Eigenklebrigkeit der Beschichtung. Wörtlich: "Conti Silent-Schaumstoff im Bereich der Reparatur entfernen. Hierfür z. B. mit dem Cuttermesser vorsichtig einen ca. 10 cm Streifen über die gesamte Breite entfernen. [...] Durchtrennten Schaumstoffring vorsichtig von der Klebeschicht abziehen. [...] Ist die Klebeschicht im Bereich des Minicombi-Tellers sauber und hat eine starke Eigenklebrigkeit, kann auf der Klebeschicht repariert werden. Ansonsten muss die Klebeschicht im Bereich der Reparatur entfernt werden." Diese Entfernung wird im weiteren Wortlaut der Reparaturanleitung als Schaben bezeichnet: "Die Klebeschicht in der Größe des Minicombi-Tellers vollständig vom Innerliner zur Seite schaben. Von der Schadensstelle die Klebeschicht zur Seite ziehen und um die Fläche des Minicombitellers zu einem Wulst zusammenschieben, indem man die zur Seite geschabte Klebeschicht auf den Rand hebt." Beide Reparaturanleitungen können sowohl von Rema Tip Top als auch von Continental bezogen werden.
Trichlorethen-Verbot
21. April 2016
Ab diesem Tag gilt in den Ländern der Europäischen Union ein Verarbeitungsverbot für Trichlorethen-Produkte. Das auch als Trichlorethylen, Trichlor oder Tri bezeichnete Lösungsmittel ist u. a. in Reinigern und Klebern enthalten. Für Werkstätten und Autohäuser bringt das die Notwendigkeit mit sich, Werkstatt und Lager nach entsprechenden Produkten zu durchsuchen und diese bis zum genannten Datum aufzubrauchen oder zu entsorgen. Identifizierung: Tri riecht nach Chloroform und ist entzündlich. Diese Pflicht beruht auf der REACH-Verordnung EG 1907/2006 des Europäischen Parlaments und der Verordnung EU 348/2013 der EU- Kommission zur Änderung von Anhang XIV der REACH-Verordnung. Letztere datiert auf den 17. April 2013; an dem Tag wurde Trichlorethen in den Anhang XIV aufgenommen und somit ein Anwendungsverbot ab dem 21. April 2016 verhängt. REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals, übersetzt als Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Die REACH-Verordnung trat am 1. Juni 2007 in Kraft. Alternativprodukte sind bereits heute lieferbar. Weitere Informationen enthält die von Rema Tip Top erarbeitete Internetseite www.rtt-tri-free.eu/de.
- Ausgabe 06/2015 Seite 22 (493.1 KB, PDF)
Hans-Dieter Gabler