Kurzfassung
Der Werkstattausrüster Snap-on verfolgt eine Mehrmarkenstrategie. Am Standort Babenhausen in Hessen haben wir uns das neue ADAS-Kalibriergerät Tru-Point von John Bean im Detail zeigen lassen.
Das in Karosserie- und Lackwerkstätten schon länger Alltag ist, kommt nun auch verstärkt auf Mechanikwerkstätten zu: Die Fahrassistenzsysteme neuerer Fahrzeuge erfordern die sorgfältige Kalibrierung von Sensoren und Kameras nach Reparaturen oder Veränderungen am Fahrzeug. Mittlerweile muss nach vielen Reparaturen eine Kalibrierung durchgeführt werden. Schon länger gewohnte Praxis: Nach dem Wechsel der Frontscheibe muss die Frontkamera kalibriert werden. Wenn die Stoßstange vorne oder hinten getauscht wurde, sind die Sensoren hinter der Verkleidung zu kalibrieren. Wenn Veränderungen am Fahrwerk erfolgen, beispielsweise ein Sportfahrwerk verbaut wurde, muss nicht nur die Spur neu vermessen, sondern auch alle Sensoren und Kameras müssen kalibriert werden. Selbst der getauschte Seitenspiegel macht die Kamerakalibrierung notwendig, da darin eine Kamera verbaut ist, die Bestandteil der 360-Grad-Sicht ist.
Bei Snap-on Equipment haben wir uns am Standort Babenhausen bei Aschaffenburg das Tru-Point ADAS-Kalibriergerät in Aktion angeschaut. Joachim Schneeweiss, Director Sales und Service Region Deutschland bei Snap-on Equipment, sowie Technikexperte Tobias Gehbauer bei Snap-on zeigten die Möglichkeiten des Gerätes in einer Demo-Kalibrierung.
Das System, das erstmalig auf der Automechanika vorgestellt wurde, verbindet die schnelle Kontrolle der Achsgeometrie und die ADAS-Kalibrierung in einem Gerät. Das System basiert auf einer neu entwickelten leistungsstarken Kameratechnik, die sich durch deutlich mehr Bilder pro Zeiteinheit auszeichnet. Zusammen mit der benutzerfreundlichen Software werden vor der Kalibrierung Achs- und Fahrwerkprobleme des zu prüfenden Fahrzeugs schnell erkannt. Das System optimiert durch die grafische Veranschaulichung die Abläufe vom Anfang bis zum Ende unter Verwendung einfacher, interaktiver visueller Anzeigen in Echtzeit - manuelle Messungen von Abständen oder komplizierte Vergleichswerte sind nicht notwendig.
Joachim Schneeweiss erklärt die Vorzüge von Tru-Point: "Das System erzeugt das dreidimensionale Modell eines Fahrzeugs und seiner Umgebung, dadurch kann schnell überprüft werden, ob das Fahrzeug die von den Herstellern geforderten Achs- und Fahrwerkswerte einhält." Alle Herstellervorgaben sind fahrzeugspezifisch hinterlegt. Eine Besonderheit, die das Gerät besonders flexibel im Einsatz macht: Das System ist in der Lage, automatisch Unebenheiten des Werkstattbodens zu kompensieren. Tobias Gehbauer erklärt, wie das technisch funktioniert: "Während andere Kalibriersysteme als Bezug die Höhe des Fahrzeugs zum Werkstattboden verwenden, misst Tru-Point die Höhe der Kalibriertafeln in Bezug zur Reifenaufstandsfläche aller vier Räder. Das heißt, die Kalibrierung kann überall in der Werkstatt durchgeführt werden." Die Kalibrierung muss also nicht auf einem nivellierten Einstellplatz durchgeführt werden. Unebenheiten bis zu vier Grad kann das System rechnerisch kompensieren.
ADAS-Kalibrierung mit Tru-Point von John Bean
Bildergalerie- Ausgabe 5/2023 Seite 028 (940.9 KB, PDF)
Flexibel durch Bodenkompensation
Snap-on hatte bei der Konzeption von Tru-Point den Alltag in der Werkstatt im Auge: "Wenn jemand die Stoßstange abmontiert und den Radarsensor getauscht hat, dann benötigt er dort vor Ort das Kalibriergerät", beschreibt Gehbauer einen typischen Fall. Wenn die Achsgeometrie stimmt, kann direkt an Ort und Stelle kalibriert werden. Die Software führt den Anwender Schritt für Schritt durch den gesamten Prozess. Der nächste Schritt kann erst durchgeführt werden, wenn der vorangegangene Schritt korrekt ausgeführt wurde. Bei der Ausrichtung und Einstellung helfen die farbigen grafischen Darstellungen auf dem Bildschirm. Tru-Point funktioniert unabhängig von einem Diagnosetester, erst bei der eigentlichen Kalibrierung muss ein Diagnosegerät über OBD-Schnittstelle angeschlossen werden.
Ein weiterer Pluspunkt: Nachdem der Fahrzeugtyp ausgewählt worden ist, zeigt das System automatisch den dafür notwendigen Platzbedarf an. "Der unterscheidet sich von Fahrzeughersteller zu Fahrzeughersteller", weiß Gehbauer. Ärgerlich wenn man erst mitten im Prozess feststellt, dass der Platz nicht reicht. Die weiteren vorbereitenden Schritte vor der eigentlichen Kalibrierung gibt das Gerät vor, ein geübter Mitarbeiter kann das in wenigen Minuten bewerkstelligen (siehe Darstellung Ablauf Bildergalerie).
Die Platzierung der Kalibriertafeln erfolgt automatisch zur Symmetrie- oder geometrischen Fahrachse nach Herstellervorgaben für das zu kalibrierende Fahrzeug. Es genügt, wenn zunächst der Rahmen etwa 1,5 Meter vor dem Fahrzeug platziert wird, die Feinjustierung erfolgt erst später. Auch die Positionierung der Radklemmen vorne und hinten ist kinderleicht. Aufkleber zeigen an, welches Target an welche Position kommt. Die Klammern sind so konzipiert, dass sie nicht die Felge berühren. Das voreingestellte Anzugsmoment sorgt dafür, dass alle vier Klemmen gleichermaßen fest angebracht sind. Zusätzlich wird anschließend noch mittels Höhenstands-Targets an der Kotflügelkante der höchste Punkt des Radauschnitts erfasst. Vor dem Anbringen der Kalibriertafeln erfolgt noch die Feinjustage des Kalibrierwagens und dessen Fixierung. "Die exakte Ausrichtung der Tafel vor der Kamera ist essenziell, weil sich kleine Abweichungen der Kamera auf größere Entfernung zu großen Abweichungen summieren", erklärt Gehbauer das genaue Vorgehen. Wir stellen auch die Kalibrierung der 360-Grad-Kamera in den Seitenspiegeln nach. Mit Tru-Point geht das in wenigen Minuten. Hier wird klar: Kalibrierung erfordert je nach Fahrzeugtyp viel Platz. In unserem Fall müssen seitlich die entsprechenden Kalibrierteppiche ausgelegt werden. Joachim Schneeweiss weist darauf hin, dass die Abläufe genau aufgezeichnet und dokumentiert werden - im Hinblick auf Absicherung ein wichtiger Punkt: "Die integrierte Analyse gewährleistet, dass die Kalibrierung korrekt ausgeführt wird. Aus dem Protokoll ist ersichtlich, welche Kalibriertafeln benutzt und welche Schritte durchgeführt wurden." Eine sichere Sache also.
Fragen an ...
asp: Wie wichtig ist die ADAS-Kalibrierung?
Joachim Schneeweiss: Wir benötigen für die Kalibrierung der Kameras und Sensoren mehr und mehr Know-how und entsprechendes Equipment. Speziell im K&L-Bereich ist die Kalibriertafel heute schon ein Standardwerkzeug. Aber auch bei den freien Mechanikwerkstätten spüren wir wachsendes Interesse an diesen Systemen. Oft ist hier das Platzangebot begrenzt - für die Kalibrierung mancher Systeme ist je nach Hersteller ein großzügig ausgelegter Kalibrierplatz notwendig, der vor, hinter und neben dem Fahrzeug Platz bietet.
asp: Ist das nicht teuer in der Anschaffung?
J. Schneeweiss: In Deutschland legen die Werkstätten vor allem Wert auf die Effizienz. Wenn man von einem durchschnittlichen Stundenlohn in der Werkstatt von 80 Euro ausgeht, ist Zeit ein wertvolles Gut. Es ist daher sinnvoll, die Kalibrierung mit möglichst schnellen Systemen durchzuführen. Es muss aber nicht immer die teuerste Lösung sein - wir bieten natürlich auch ein günstigeres Einstiegsgerät.
asp: Was gilt es bei der Auswahl von Equipment zu beachten?
J. Schneeweiss: Mein Augenmerk liegt auf zwei Punkten: Das eine ist Präzision der Geräte und Präzision bei der Handhabung. Wir legen Wert auf Sicherheit, daher geben wir jedem Nutzer eine professionelle Einweisung. Unsere Geräte sind so konzipiert, dass der Nutzer durch das Menü geführt wird und im Grunde wenig falsch machen kann. Das Menü geht erst zum nächsten Punkt, wenn der vorhergehende richtig erledigt wurde. Der Vorteil: Man hat ein klar dokumentiertes Vorgehen, nach jeder Kalibrierung liegt ein exakter Bericht vor.
asp: Wird die Dokumentation der Arbeit wichtiger?
J. Schneeweiss: Die Dokumentation wird noch wichtiger werden, wenn der Grad der Automatisierung in den Autos zunimmt. Derzeit realisieren die Automobilhersteller Fahrassistenzsysteme, die Level zwei oder drei ermöglichen. Unser System ist ein 3-D-Kalibriertool, mit dem das Fahrzeug dreidimensional vermessen wird, dadurch sind wir deutlich präziser.
asp: Welche Markenpolitik verfolgt Snap-on in Deutschland?
J. Schneeweiss: Wir verfolgen die Strategie, dass wir alle Marken weiterführen. Eine Integration unter eine Dachmarke ist nicht geplant. Wir achten auch sehr darauf, dass wir den Markenkern der unterschiedlichen Marken erhalten. In Deutschland haben wir die traditionsreiche, starke Marke Hofmann für das Montieren und Wuchten von Rädern, für Hebebühnen sowie zur Achsvermessung. Daneben steht John Bean als Marke für Montage und Wuchten im Reifenservice, für Achsvermessung und ADAS-Kalibrierung. Des Weiteren haben wir im deutschen Markt noch die Marken Cartec (Bremsprüfstände und Scheinwerfereinstellung), Sun (Abgasmessung, Fahrzeugdiagnose und Klimaservice), Boxer (Montieren und Wuchten schwerpunktmäßig im Nfz-Bereich), Car-O-Liner (Richt- und Messsysteme für Karosseriearbeiten sowie Reparatursysteme für Karosserie) und Blackhawk als Alternative für Car-O-Liner (Schweißen, Richtwerkzeug). Für den Geräteservice verfügen wir über eine eigene Servicemannschaft mit über 20 Leuten in Deutschland; zusätzlich nutzen wir von uns geschulte Servicepartner. Damit können wir den Service flächendeckend anbieten.
asp: Was steckt hinter Total Shop Solutions?
J. Schneeweiss: Das ist der Überbegriff für alles, was wir an Werkstattausrüstung und Software produzieren. In den USA haben wir noch andere Marken und Systeme, die wir in Deutschland nicht haben. Für uns ist es wichtig, dass die einzelnen Marken stark bleiben. Snap-on selbst führt als börsennotiertes Unternehmen in Deutschland verschiedene Geschäftsbereiche. Wir gehören zur Division Repair Solutions. Unser Schwesterunternehmen Snap on Tools ist zuständig für Handwerkzeuge.
asp: Wie heben Sie Synergien innerhalb des Konzerns?
J. Schneeweiss: Wir schauen natürlich, dass wir trotz der unterschiedlichen Marken in der Produktion, Verwaltung und im Einkauf Synergien heben. In der Automobilindustrie spricht man vom Plattformgedanken, so ähnlich läuft das auch bei uns, wir haben unterschiedliche Produkte auf die gleiche technische Plattform gestellt, aber jeweils mit verschiedenen markentypischen Differenzierungen.
asp: Wie wichtig ist die Know-how-Vermittlung?
J. Schneeweiss: Das Wissen über die Technik und über die Werkstattausrüstung gewinnt an Bedeutung. Wir arbeiten an neuen Ansätzen der Wissensvermittlung, vor allem bei der Einweisung in die Geräte. Das wird bei der komplexen Technik immer wichtiger.