Kurzfassung
Ob auch der IAM vom wachsenden Anteil der Flottenfahrzeuge profitieren kann, hängt unter anderem davon ab, wie gut sich Werkstattketten IT-technisch aufstellen. Viele Betriebe haben die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt.
Eine aktuelle Studie von Boston Consulting Group (BCG) zusammen mit dem Europäischen Verband der Automobilzulieferer (Clepa) untersucht, wie sich der Flottenmarkt in Europa bis 2030 entwickelt und welche Auswirkungen das auf Umsätze im Aftermarket hat. Das Papier "Aftermarket 2030 - The Fleet Imperative" unterfüttert kursierende Mythen mit konkreten Zahlen. So ist seit Jahren zu hören, dass das Geschäft mit gesteuerten Fahrzeugen, also solchen, die sich nicht im Privatbesitz des Nutzers befinden, künftig noch viel wichtiger sein werde. Konkrete Zahlen werden dabei oft nicht geliefert.BCG beziffert den Anteil der Flottenfahrzeuge am Gesamtfuhrpark in Europa in den fünf untersuchten Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande und Polen) für das Pkw-Segment auf 15 Prozent im Jahr 2030. Im Vergleichsjahr 2021 lag deren Anteil bei neun Prozent. Sechs Prozent Unterschied klingt erst mal nicht so spektakulär. Aber in absoluten Zahlen und in Relation zum Gesamtfuhrpark auf der Straße bedeutet dies, dass sich die Anzahl der Flottenfahrzeuge verdoppelt. An dem Geschäft kann keine Werkstatt vorbeigehen. Im Transportermarkt, wo der Flottenanteil traditionell höher ist (2021 lag er bei 35 Prozent), rechnen die Autoren mit 41 Prozent im Jahr 2030.
E-Auto-Anteil in Flotten
Besonders spannend: Die Elektrifizierung im Flottenbereich wird laut Studie deutlich schneller voranschreiten als im Gesamtmarkt, was einen erheblichen Effekt auf den Service haben dürfte. Der Anteil an rein elektrisch betriebenen Flottenfahrzeugen werde demnach bei 62 Prozent liegen - im Vergleich zu 16 Prozent im Gesamtmarkt. Außerdem, auch darauf weist die Studie hin, wird das Durchschnittsalter der Flottenfahrzeuge im Pkw-Segment bei nur 2,9 Jahren liegen. Zum Vergleich: Im Gesamtmarkt Pkw wird das Auto im Durchschnitt über acht Jahre auf dem Buckel haben.
Noch immer glauben nicht alle Kfz-Profis daran, dass batterieelektrische Fahrzeuge wirklich die Zukunft sein sollen - das dürfte ein Irrtum sein, glaubt Alexander Brenner, Managing Director & Partner bei BCG: "Technologisch ist das aus meiner Sicht bis auf Weiteres entschieden. Man muss sich nur die Produktpipeline der Fahrzeughersteller ansehen. Die großen deutschen Automobilhersteller setzen durch die Bank auf den E-Antrieb. Das Gleiche gilt für die Importeure."
- Ausgabe 6/2023 Seite 040 (952.1 KB, PDF)
"Getrieben durch den Finanzmarkt gibt es einen Push in Richtung saubere Flotten. "
Alexander Brenner, BCG
Digitale Wüste im IAM
Ob auch der freie Werkstattmarkt vom wachsenden Flottenmarkt partizipieren wird, hängt entscheidend davon ab, ob freie Werkstätten es schaffen, sich IT-technisch neu aufzustellen - was mit erheblichen Investitionen verbunden ist. Aber nur mit zeitgemäßen IT-Systemen werden Serivceanbieter den umfangreichen Anforderungen der Flottenkunden gerecht werden. Dies gelte besonders für Werkstattkonzepte und -ketten. Das sich viele Werkstatt-Besitzer dennoch sträuben, so viel Geld in die Hand zu nehmen, liegt an einer trügerischen Sicherheit. "Die Werkstätten sind heute zu einem hohen Anteil sehr gut ausgelastet, es fehlt der konkrete Leidensdruck. Wenn Sie heute bei der Werkstatt anrufen, bekommen Sie in zwei Wochen einen Termin. Viele IAM-Betriebe sind schlank organisiert, mit einem Minimum an IT und optimiert auf die heutige Klientel, damit sind sie bislang gut gefahren. Aber das ist eine trügerische Sicherheit", sagt Alexander Brenner. "Die Vielzahl von unterschiedlichen IT-Systemen - auch innerhalb derselben Werkstattkette - bleibt eine zentrale Herausforderung", konstatiert die Studie. Duch eine hohe Standardisierung im IT-Backbone könnten Werkstätten ihren Flottenkunden Tools bereitstellen wie automatische Rechnungstellung, Terminvereinbarung, Chat-Tool und die Integration von Fahrzeugen mit einer Datenanbindung.
Wegfall vieler Arbeiten
Der hohe Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge in den Flotten bedeutet den Wegfall vieler mechanischer Reparaturen und einen viel niedrigeren Ersatzteilbedarf. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich dies in der Werkstatt überhaupt kompensieren lässt. Fest steht, dass sich die Anforderungen ändern: "Da die Fahrzeuge immer komplexer werden und der Anteil von Softwarekomponenten noch deutlich zunehmen wird, ist zu erwarten, dass Halter auch zunehmend mit Software-Fehlern konfrontiert sein werden", sagt Alexander Brenner. Die Frage laute jetzt, wer sich auch nach der Garantiezeit um diese Fälle kümmert. Ob das dann die Werkstatt vor Ort ist, eine Werkstattkette oder ob sich vielleicht spezialisierte IT-Center etablieren, könne man heute noch gar nicht sagen. Der Trumpf, den der freie Markt in der Hand hat, sind die deutlich geringeren Kosten und - im Falle von Werkstattketten - ein dichtes Netz an Werkstätten. Das macht den Markt für alle neuen (chinesischen) Automarken interessant, die kein eigenes Vertriebs- und Werkstattnetz haben.
Fragen an ...
asp: Die Studie prognostiziert bis 2030 ein Wachstum des Flottenanteils bei Pkw von 9 auf 15 Prozent. Klingt eigentlich nicht so dramatisch.
Alexander Brenner: Bezogen auf den gesamten Fuhrpark mag die Wachstumszahl der Flottenfahrzeuge auf den ersten Blick gering erscheinen. Wenn wir aber im Segment Pkw eine jährliche Wachstumsrate von vier Prozentpunkten prognostizieren, dann bedeutet das, dass sich die absolute Anzahl der Flottenfahrzeuge bis 2030 verdoppelt.
asp: Dafür schreitet die Elektrifizierung speziell in den Flotten schnell voran. Was sind die Treiber für diese Entwicklung?
A. Brenner: Das ist unter anderem dem Finanzsektor geschuldet und der Regulatorik in der EU zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESG-Rating). Kurz erklärt: Leasingunternehmen müssen ihre Fahrzeuge mit Banken finanzieren. Sie erhalten umso bessere Konditionen, je umweltfreundlicher sie agieren. Die Banken ihrerseits müssen offenlegen, in welche Unternehmen sie investieren. Das heißt konkret: Durch den Finanzmarkt gibt es einen Push Richtung saubere Flotten. Außerdem spielt die öffentliche Meinung eine große Rolle. Aus Imagegründen ist es für Unternehmen positiv, in E-Fahrzeuge zu investieren.
asp: Welche Empfehlung leitet sich aus den gewonnenen Erkenntnissen konkret für den IAM ab?
A. Brenner: Tatsache ist, dass es bei E-Fahrzeugen deutlich weniger Ersatzteilbedarf gibt. Insgesamt gehen die Umsätze für Repair und Maintenance beim E-Fahrzeug deutlich zurück. Es ist daher unvermeidlich, dass die Auslastung früher oder später auch in den freien Betrieben zurückgeht. Das muss irgendwie kompensiert werden. Besonders die Werkstattketten haben das erkannt und bereiten ihre Partnerbetriebe frühzeitig auf E-Fahrzeuge vor. Der IAM will sich auch künftig als starker und verlässlicher Partner präsentieren.
asp: Was müssen Werkstattketten jetzt tun - ist eine konsequente Vorbereitung auf das Elektrofahrzeug und auf Flottenkunden sinnvoll?
A. Brenner: Ja, absolut, das ist eine sehr sinnvolle Strategie und soweit wir sehen, verfolgen alle wichtigen Player genau diesen Ansatz. Wenn man sich die Wertschöpfungskette anschaut, vom Fahrzeughersteller über den Händler bis hin zur Werkstatt, dann muss man sagen, dass die Werkstatt immer noch der Bereich mit der geringsten Digitalisierung ist. Diese "digitale Wüste" ist ein großes Problem, wenn es darum geht, Serviceangebote für große Flottenkunden zu stricken.