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Secure Gateways müssen weg

23.07.2024 08:25 Uhr | Lesezeit: 5 min
Carglass Kristina Heistermann
Kristina Heistermann von Carglass im Interview.
© Foto: Carglass

Das Landgericht Köln hat mit seinem Urteil vom 15. Mai 2024 ein wegweisendes Urteil zu "Secure Gateways" aufgestellt. Der ungehinderte Zugang zu Fahrzeugdaten muss auch für Dritte gewährleistet sein. Was das in der Praxis bedeutet, erklärt Kristina Heistermann von Carglass.

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asp: Welche Forderung an die Automobilhersteller knüpft Carglass an das Urteil?

K. Heistermann: Mit seinem Urteil bestätigt das Landgericht Köln, dass "Secure Gateways", die unabhängige Kfz-Serviceanbieter am Zugriff auf notwendige Fahrzeugdaten hindern, gemäß EU-Verordnung beseitigt werden müssen. Wir erwarten daher, dass die Fahrzeughersteller jetzt die rechtlichen Grundlagen respektieren und alle Beschränkungen des Zugriffs auf den OBD-Anschluss sofort beseitigen, damit die Vorteile eines fairen Wettbewerbs so schnell wie möglich zum Tragen kommen.

asp: Bei welchen Arbeiten ist Carglass von den Secure Gateways konkret betroffen?

K. Heistermann: Immer mehr moderne Fahrzeuge sind mit Fahrerassistenz-Systemen wie dem Notbremsassistenten ausgestattet, und ab 2024 werden diese Systeme sogar in allen Neuwagen in der EU Pflicht. Die Funktionsfähigkeit dieser Systeme hängt von der Frontkamera des Fahrzeugs und weiteren Sensoren ab. Nach dem Austausch der Windschutzscheibe muss die Frontkamera neu kalibriert werden. Dieser Vorgang erfolgt elektronisch über eine Verbindung zum Bordcomputer des Fahrzeugs und stellt sicher, dass die Fahrerassistenz-Systeme so funktionieren wie vor dem Austausch der Windschutzscheibe, wofür der Zugang zum Datenstrom des Fahrzeugs über den OBD-Anschluss erforderlich ist.

Kurzfassung
Das Landgericht Köln folgt dem EuGH und hat klargestellt, dass Fahrzeughersteller den OBD-Zugang nicht beschränken dürfen. Aus Sicht der Klägerin Carglass ein wichtiger Meilenstein.

asp: Diagnoseanbieter haben Wege gefunden, trotz Secure Gateways Reparaturen durchführen zu können. Welche Kosten entstehen bei Carglass dadurch?

K. Heistermann: Ganz genau, das erfolgt über ein spezielles Internetmodul und es bedarf zusätzlicher Schritte am Diagnosegerät, um Zugang zum Steuergerät des Fahrzeugs zu erhalten. Wir haben daher seit Einführung der Datenzugangs-­Beschränkungen eng mit Technologiepartnern für die Rekalibrierung von Fahrerassistenz-Systemen zusammengearbeitet, um den Umgang mit Datenzugängen aus betrieblicher Sicht optimal zu gestalten. Wir verfügen über viel Know-how im Umgang mit entsprechenden Technologien und können eine nahezu lückenlose, markenübergreifende Modellabdeckung gewährleisten. Dennoch vertreten wir die Auffassung, dass der ungehinderte Zugang zu den Fahrzeugdaten eine unabdingbare Voraussetzung für faire und ausgeglichene Wettbewerbsbedingungen ist. Denn die Einführung von Secure Gateways schränkt die Möglichkeiten der freien Werkstätten zur Durchführung der notwendigen Diagnose- und Reparaturvorgänge ein. Dies wiederum schränkt die Fähigkeit der Werkstätten ein, auf effiziente und kostengünstige Weise mit den Fahrzeugherstellern und ihren Händlern zu konkurrieren.

asp: Was war die Begründung für die Carglass-Klage?

K. Heistermann: "Secure Gateways" sind nach der Verordnung, die den Fahrzeugherstellern einen ungehinderten Zugang zum Fahrzeugdatenstrom vorschreibt, nicht zulässig. Denn sie behindern den betrieblichen Ablauf in allen unabhängigen Werkstätten, einschließlich unserer Service-Center, und beeinträchtigen damit den fairen und ausgeglichenen Wettbewerb auf dem Kfz-Servicemarkt. Aus diesem Grund haben wir eine Klage beim Landgericht Köln in einem Musterverfahren gegen Stellantis Europe S.p.A. (ehemals FCA Italy S.p.A.) eingebracht. Im April 2022 wurden die entscheidungserheblichen Fragen vom Landgericht Köln an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Herstellerseitig wurde argumentiert, dass die Beschränkung des Zugangs aus Gründen der Cybersicherheit gerechtfertigt sei - und der Zugang zum Fahrzeugdatenstrom aus Sicherheitsgründen kontrolliert werden müsse. Selbstverständlich hat Datensicherheit auch für uns oberste Priorität. Aber sie ist gesetzlich auf besonders sensible Bereiche beschränkt - wie etwa diebstahlrelevante Informationen - und lässt sich auch mit anderen Technologien gewährleisten. Secure Gateways bringen erhebliche Einschränkungen bei notwendigen On-Board-Diagnose- und -Reparaturarbeiten für freie Serviceanbieter mit sich.

asp: Welche konkreten Auswirkungen erwarten Sie von der jetzigen Gerichtsentscheidung in der Praxis?

K. Heistermann: Am 5. Oktober 2023 hat der EuGH klargestellt, dass Fahrzeughersteller den Zugang für unabhängige Wirtschaftsakteure zum OBD-Anschluss nicht beschränken dürfen, auch nicht aus Gründen der Cybersicherheit. Damit wurde ein wichtiger Meilenstein für die Beseitigung wettbewerbswidriger Hindernisse erreicht. Der Gerichtshof sieht die Gefahr, dass die Anzahl unabhängiger Werkstätten mit Zugang zu diesen Informationen abnimmt, was zu einem Rückgang des Wettbewerbs auf dem Markt für Fahrzeugreparatur- und Fahrzeugwartungs-Informationsdienste und somit zu einem verringerten Angebot für Verbraucherinnen und Verbraucher führen könnte. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde die Angelegenheit nach der Entscheidung des EuGH an das Landgericht Köln zurückverwiesen, das über den konkreten Rechtsstreit zwischen ATU/Carglass und Stellantis Europe zu entscheiden hatte. Am 15. Mai 2024 urteilten die Kölner Richter, dass die oben genannten herstellerseitigen Bedingungen in der jetzigen Form nicht mit geltendem Recht vereinbar sind. Sie forderten Stellantis Europe auf, ihr "Secure Gateway" abzuschalten und den Datenzugriff frei zu machen.

asp: Gibt es schon Reaktionen aus der Automobilindustrie?

K. Heistermann: Von der Entscheidung des Kölner Landgerichts geht ein starkes Signal in Richtung aller Fahrzeughersteller aus, den Datenzugang so zu ermöglichen. Die Reaktionen der Industrie sind sehr verhalten, wir gehen jedoch davon aus, dass Wege für die Umsetzung und Anpassung der Systeme gesucht werden. Wir sind bereit, mit allen Interessengruppen, einschließlich der Fahrzeughersteller und der Europäischen Kommission, weiter daran zu arbeiten, ohne die grundlegenden Prinzipien eines fairen Wettbewerbs durch gleiche Wettbewerbsbedingungen für unabhängige Werkstätten zu gefährden.

asp: Welche Umsetzung wünscht sich Carglass?

K. Heistermann: Die Einführung von Secure Gateways, welche nicht zulässig sind, schränkt die Fähigkeit der unabhängigen Kfz-Serviceanbieter ein, notwendige Diagnosen und Reparaturen durchzuführen. Carglass und unsere Muttergesellschaft Belron engagieren sich für einen kontinuierlichen Dialog mit allen relevanten Interessengruppen zu diesem Thema, einschließlich der Fahrzeughersteller und der Europäischen Kommission, um herauszufinden, wie man in dieser Angelegenheit am besten vorankommt, um einerseits den Anforderungen an die Fahrzeughersteller gerecht zu werden, ohne jedoch andererseits die grundlegenden Prinzipien der Förderung des Wettbewerbs durch gleiche Wettbewerbsbedingungen für unabhängige Kfz-Serviceanbieter zu gefährden.

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