Der würde auch gut in die Fußball-Nationalmannschaft passen. Das ist so ein Gedanke, der sicher manchem in den Sinn kommt bei der ersten Begegnung mit Steffen Taeterow: Der Neubrandenburger hat die Muskeln dafür und ist wie viele Spitzen-Kicker respektgebietend tätowiert. Aus seinen Augen strahlt Selbstgewissheit, Ruhe und wohl dosierte Angriffskraft. Sieht aus, als könnte er jederzeit den tödlichen Pass aus dem Rückraum spielen.
Nur möchte Taeterow an diesen zwei Tagen im Juni mehr als nur Europas sportliche Spitze. Der 43-Jährige will Weltmeister werden. Als bester Autoglaser unter 30 Mitbewerbern von Neuseeland über die USA bis Südafrika, Slowenien oder Frankreich. Den Wettbewerb dazu ruft der Branchenriese Belron – in Deutschland besser bekannt unter Carglass – seit 2000 alle zwei Jahre unter Zehntausenden seiner Monteure aus. Gerade sind die Besten ihrer Nationen in Lissabons größter Veranstaltungshalle zusammengetroffen. Gleich vorne links steht dabei Taeterows Arbeitsplatz.
Das passende Auto für den Wettbewerb
Denn genauso eine Montage wie in Wanne-Eickel, Sydney oder Kapstadt – sie ist 30-mal identisch in der Meo-Arena aufgebaut. Mit 30 identischen Toyota C-HR. "Es ist gar nicht so einfach, das passende Auto für den Wettbewerb zu finden", sagt Taeterows Trainer René Schmidt, der selbst schon zweimal an den Weltmeisterschaften teilgenommen hat. Der Wagen muss schließlich in allen Märkten präsent sein, sonst hätten einzelne Teilnehmer einen Nachteil. Und es geht ja um einen praxisnahen Vergleich.
Weltmeisterschaft der Autoglaser 2024
BildergalerieDenn was Taeterow und seine Konkurrenten im Wettkampf machen, ist eine exaktes Abbild des Montage-Alltags. So wie in der Halle unter mehr als 1.000 Zuschauern wird idealerweise jedes Kundenauto rund um die Welt behandelt. Einen Steinschlag aus der Scheibe reinigen, auffüllen und wegpolieren, ein eingeschlagenes Seiten- oder Heckglas ersetzen oder gleich die ganze Frontscheibe. "Das machen wir nach einem weltweit standardisierten Verfahren und mit vielen patentierten Techniken jeden Tag", sagt Taeterow. Allein in Deutschland arbeiten mehr als 1.500 Monteure an Tausenden Scheiben im Takt der globalen Vorgaben.
In ihrer Weltmeisterschaft müssen die Teilnehmer genau solche Aufgaben meistern. Die Autos sind dafür zuvor präpariert worden. Eine Jury aus 70 Experten beobachtet und bewertet die Leistungen der Teilnehmer sehr genau.
Qualität der Ausführung: Jury bewertet
Zum einen wird die Qualität der Ausführung bewertet. Die Jury schaut, wie präzise und sorgfältig die einzelnen Arbeitsschritte durchgeführt werden. Saugt die Finnin Emma Tenhunen auch die Türfüllungen und Fußräume penibel aus beim Einsetzen der Seitenscheibe? Wie verklebt Jack Karssemeyer aus Sydney die Heckscheibe? Checkt Michael Fischer aus Österreich auch die Qualität der Scheibenwischer? Den Juroren entgeht es nicht.
Am Ende muss das Ergebnis natürlich optisch perfekt sein. Beim Verschließen eines kleinen Steinschlags darf Taeterow also keinen Lufteinschluss oder gar ein Stäubchen übersehen. Nur ein haardünner Strich im Glas zeigt bei ganz genauer Betrachtung von außen noch, wo der Kiesel hingeflogen war. Beim Polieren des Glases kommt der Monteur ganz schön ins Schwitzen. Mit einem schwarzen Handtuch wischt er sich alle paar Minuten die Tropfen von der Stirn. Es soll ja nichts auf dem glänzenden Glas landen.
Bei jedem Arbeitsschritt schaut Taeterow zudem zu den beiden Juroren auf, die ihn immer im Blick haben. Daumen hoch, Aufgabe erledigt. „Solcher Blickkontakt ist wichtig – beide wissen dann genau, dass etwa die Handschuhe für scharfkantiges Glas gegen die für ätzende Chemikalien ausgewechselt sind”, sagt Schmidt. Mehrmals sind solche Wechsel angesagt; Taeterow wirft die Gummihandschuhe mit den Kleberresten in den passenden Reststoff-Behälter. Umweltschutz ist wichtig, auch im Wettbewerb. Vier Monate hat sein Trainer solche Abläufe mit Taeterow trainiert – an Kundenfahrzeugen, die im Alltag in die Werkstatt kommen.
Zeit begrenzt
Auf einem Videowürfel unter dem Dach der fußballfeldgroßen Halle tickt gut sichtbar immer die Uhr. Jede der fünf Wertungsprüfungen ist mit Zeiten hinterlegt. Bewertet wird, wie schnell der Teilnehmer die gesamte Aufgabe abschließt. Er soll dabei aber auch seine Arbeitsabläufe optimieren, um möglichst viel Zeit zu sparen. Unnötige Verzögerungen müssen vermieden werden. „Wir haben jeden Schritt und Griff immer wieder optimiert”, sagt Taeterow. Bei der Zeit macht dem Deutschen auch niemand etwas vor. Während er am zweiten Nachmittag bereits eine neue Windschutzscheibe ins Fahrzeug hebt und verklebt, hat noch kein einziger Mitbewerber die alte Scheibe entfernt.
Kgomotso Molefe etwa hat allerdings auch einen sichtlichen Nachteil gegenüber dem Hünen Taeterow: Die Südafrikanerin, eine von drei Frauen im Wettbewerb, ist keine 1,70 Meter groß. „Darum brauche ich immer einen Klapphocker, auf den ich steige, um die Mitte der Scheibe zu erreichen”, sagt sie. Vielleicht gibt das aber Extra-Punkte beim Thema Problemlösungskompetenz? Genau wissen das nur die Juroren, die 5.000 Punkte nach solchen Kriterien verteilen.
Ganz genau schauen sie etwa auch darauf, welchen Chemierest Molefe in einen der dafür bereitstehenden Mülleimer wirft oder wo sie im elektronischen Handbuch nachschaut, um einen Abstandhalter beim Ausbau der Scheibe anzusetzen. Das umfassende Verständnis von Fahrzeugtechnologie und -materialien ist ein weiteres wichtiges Kriterium. Die neuesten Reparatur- und Kalibrierungstechniken kennen und das richtige Werkzeug einsetzen, das ist ganz wichtig.
Ausstellung der Lieferanten des Reparatur-Konzerns
Denn die Fahrzeuge entwickeln sich rapide weiter – auch beim Glas. Deswegen gibt es im Rahmen der Meisterschaft auch einen Kongress und eine Ausstellung der Lieferanten des Reparatur-Konzerns. Zum Standardprogramm gehört inzwischen etwa auch eine Rekalibrierung der Frontkameras. „Die sitzen ja unter dem Dach hinter der Frontscheibe – und müssen auf den Bruchteil eines Millimeters nach dem Einbau der Scheibe neu ausgerichtet werden”, sagt Taeterow. Dazu rollt er ein kühlschrankgroßes Messgerät vor die Front des Toyota und richtet es exakt auf die Frontkamera aus. Verbunden über einen PC und eine Verbindung in das Steuergerät im Auto, kann der Monteur nun die Software in Gang bringen, die aus den Werten der Messung das Kamerabild wieder exakt auf die Straße ausrichtet. Drei Millionen solcher Rekalibrierungen machen die Belron-Teams weltweit im Jahr.
Auch bei dieser Maßarbeit sucht Taeterow stets den Blickkontakt zu den Juroren. Denn Kommunikation und Präsentation gibt – oder kostet – auch Punkte. Einer der beiden spielt dabei stets den Kunden, dem der Monteur erklärt, was er tut. Daumen hoch, ein Lächeln, Ruhe und Souveränität ausstrahlen … alles wichtig, um ein Meister zu werden. Zu viel Hektik oder Unruhe ist unerwünscht. "Genau wie in der Werkstatt daheim", sagt ein Juror. Vertrauen ist ja besonders wichtig, wenn der Durchblick gestört ist.
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Wie viele Punkte gibt es für die einzelnen Kategorien? Das bleibt geheim – auch nach der letzten Wertungsprüfung. Denn trotz Sieger-Pokal und einem Jahresgehalt als Prämie für den „Best of Belron 2024“ – die Meisterschaft soll vor allem auch eine Motivation für die Teilnehmer und ihre Fans aus den Ländergesellschaften sein. Und eine Leistungsschau für die Kolleginnen und Kollegen, Kunden und Lieferanten der Autoglaser.
Deswegen sind Taeterow, sein Trainer und die deutsche Delegation zwar etwas enttäuscht, dass es 2024 nach zwei aufregenden Tagen nicht zum Titel reicht. Den holt der Kanadier David Chester. "Aber wir haben auf jeden Fall unser Bestes gegeben", sagt der deutsche Trainer René Schmidt. Und eine echte Kundin wäre mit ihrer reparierten Scheibe sicher glücklich. Das ist die wichtigste Auszeichnung.