Von Benjamin Bessinger/SP-X
Bislang kennt man Polaris vor allem aus Schnee und Schlamm. Doch jetzt will der amerikanische Hersteller von Snowmobilen und All Terrain Vehicles auch auf die Sonnenseite des Lebens und bringt dafür sein erstes Cabrio in den Handel: Den Slingshot. In den USA schon seit einem Jahr auf dem Markt und rund 9.000-mal verkauft, gibt es den offenen Zweisitzer bei etwa einem Dutzend Händlern ab Januar für mindestens 29.990 Euro auch in Deutschland.
Von vorn betrachtet wirkt der Slingshot noch vergleichsweise normal. Zwar ist er ein bisschen frecher als andere Autos, etwas flacher und ein wenig freizügiger. Doch würde statt der stilisierten Zwille, die dem Modell seinen Namen gegeben hat, ein – sagen wir mal – Stier auf der Haube prangen, könnte er auch als eine der vielen Sonderserien durchgehen, die Lamborghini in den letzten Jahren auf die Messen gestellt hat. Die messerscharfen Knopfaugen und die freistehenden Räder jedenfalls würden einem Supersportwagen gar nicht schlecht stehen.
Aber die Breitseite im Rückspiegel täuscht. Denn der Slingshot ist kein Flachmann wie jeder andre, sondern eine Kreuzung uns Auto und Motorrad. Nur dass er anders als herkömmliche Trikes das einzelne Rad hinten hat. Während die komplett offene Karosserie ohne Türen und nennenswerte Scheiben im Profil deutlich ansteigt, verjüngt sich der Slingshot deshalb nach hinten und wirkt in der Draufsicht wie ein kolossaler Keil und von hinten wie ein rasender Einbaum.
Tanzen wie ein Samba-König im Karneval
Diese Konstruktion, mit der Polaris auf die Fahrzeugklasse L5e zielt und Kunden mit einem Führerschein vor 2013 die Motorradprüfung erspart, garantiert dem Slingshot nicht nur einen spektakulären Auftritt. Auch das Fahrverhalten ist mit keinem anderen Sportwagen zu vergleichen. Denn während sich die überraschend weit auseinandergerückten 18-Zöller auf der Vorderachse gierig im Asphalt verbeißen und der extrem niedrige Schwerpunkt den Slingshot tief auf die Straße drückt, entwickelt das mit einem Karbonriemen angetriebene 20-Zoll-Rad im Heck ein laszives Eigenleben. Wer sich geschickt anstellt, der tänzelt damit so elegant und lustvoll durch die Kurven wie eine Samba-Königin durch den Karneval von Rio. Wer es allerdings übertreibt oder mit dem beinahe einzigen Schalter im Cockpit die Stabilitätskontrolle ausschaltet, der kann sich auch mit einem einzigen Gasstoß ins Aus schießen und wird schmerzlich daran erinnert, dass man "Slingshot" eben auch mit "Schleuder" übersetzen kann.
Dazu noch die offene Konstruktion mit einer Frontscheibe aus Plexiglas, die allerdings nicht viel mehr leistet, als die Mücken daran zu hindern, einem in den breit grinsenden Mund zu fliegen – nur um sie dafür mit voller Wucht gegen die Stirn zu leiten, das brettharte Fahrwerk und eine extrem direkt abgestimmte Lenkung – fertig ist der womöglich radikalste Roadster, den man für Geld und gute Worte kaufen kann.
Zwischen Mad Max und Sebastian Vettel
So spektakulär der Slingshot aussieht, und so sensationell das Fahrgefühl irgendwo zwischen Mad Max und Sebastian Vettel auch sein mag, so simpel ist die Konstruktion des Zweisitzers. Denn in einem mit banalem Kunststoff verkleideten Gitterrohrrahmen aus Stahl steckt hinten die Schwinge eines Motorrades und vorn ein 2,4 Liter großer Vierzylinder, den Polaris samt der manuellen Fünfgang-Schaltung bei General Motors eingekauft hat. Zwar müssen Sportwagenfahrer bei 173 PS und 227 Nm nur müde gähnen, genau wie Biker, wenn sie die ganze Zeit im Drehzahlkeller gefangen werden und selten mal über 3.000 Touren kommen. Und wenn Polaris statt eines direkten Auslasses im Fußraum vor dem Sozius einen richtigen Auspuff eingebaut hätte, würde der Slingshot vielleicht auch ein bisschen kerniger klingen.
Doch weil der Slingshot keine 800 Kilo wiegt, ist der Antrieb bei allen Einschränkungen trotzdem über jeden Zweifel erhaben. Mit einem Sprintwert von 5,7 Sekunden jedenfalls lässt der Polaris manchen ausgeleierten Porsche stehen und wenn man bei Vollgas tatsächlich mal 220 Sachen auf der Uhr hat, fühlt sich das schneller und spektakulärer an als die 300 km/h in einem offenen Lamborghini.
Vorne Sportwagen, hinten Superbike, exklusiver Exot mit Technik aus der Großserie und durch die Hintertür in die Zulassung gebracht, so fällt der Slingshot überall aus dem Raster und fährt zwischen den Stühlen. Das gilt übrigens auch für den Preis. Den Soundsystem hin und Rückfahrkamera her – einerseits sind 30.000 Euro ziemlich viel Geld für so wenig Auto. Aber andererseits ist es auch verdammt wenig, für so viel Spaß.