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Fahrbericht Rimac Nevera: Der perfekte Sturm

04.06.2021 14:46 Uhr | Lesezeit: 6 min
Wer sich auf seine eigenen Talente verlassen will, kann aus mehr als einem halben Dutzend Fahrprogrammen wählen.
© Foto: Rimac

Er kommt aus dem nichts, er hat Kraft ohne Ende und er wirbelt die Welt gehörig durcheinander – was der Nevera für das Wetter an der kroatischen Küste, das verspricht Rimac auch für die Welt der Supersportwagen. Und fast 2.000 PS und mehr als 400 km/h verleihen diesem Versprechen den nötigen Nachdruck.

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Es ist ein Morgen von fast unschuldiger Schönheit auf der kroatischen Insel Pag. Die Luft lau, der Wind sanft und die Sonne hat schon reichlich Kraft. Doch der erste Eindruck täuscht und die Stille ist trügerisch. Denn es ist die Ruhe vor dem Sturm. Nur dass der diesmal nicht über den Bergen losbricht, wie er es seit Jahrtausenden tut, wenn die Einwohner ehrfürchtig und mit bangem Blick zum Himmel vom Wetterphänomen Nevera raunen, sondern auf der Runway des Flughafens Zadar: Dort, wo sonst die Kampfjets der kroatischen Luftwaffe trainieren, steht jetzt flach und breit und blau wie das ruhige Meer ein Sportwagen, der den gleichen Namen trägt und mindestens genauso stürmisch ist: Bahn frei für den Rimac Nevera – das stärkste und schnellste Serienauto der Welt. 

Vor drei Jahren noch unter dem Arbeitstitel C2 als Studie jenseits aller Vorstellungskraft auf dem Genfer Salon präsentiert, markiert die Serienfassung dieses Tieffliegers auf Rädern den vorläufigen Hohepunkt in der atemberaubenden Karriere des gerade einmal 33jährigen Firmenchefs Mate Rimac. Denn in nur zehn Jahren hat er sich vom Nobody zum Hoffnungsträger der PS-Branche aufgeschwungen, hat Firmen wie Porsche, VW oder Hyundai ins Boot geholt und wird mittlerweile sogar als künftiger Eigentümer von Bugatti gehandelt. Denn offenbar versteht sich sonst niemand so gut auf die Elektrifizierung, auf starke E-Motoren, schnelle Elektronik und potente Akkus wie der europäische Elon Musk – und der Nevera ist nicht nur sein Meisterstück, sondern auch das Aushängeschild. "Hier zeigen wir, was alles möglich ist", sagt Rimac und hofft, dass sich möglichst viele Großserienhersteller davon inspirieren lassen. Denn es geht ihm nicht allein um die insgesamt 150 Autos, die er in den nächsten drei Jahren zu einem Stückpreis von netto zwei Millionen Euro verkaufen will. Eigentlich will er seine mittlerweile 1.000 Mitarbeiter mit Aufträgen aus Wolfsburg, Stuttgart oder Seoul beschäftigen und der alten Industrie helfen, mit neuen Herausforderern wie Tesla schrittzuhalten. 

Komplexe Technik von Karbon umhüllt

Entsprechend komplex ist der Nevera konstruiert und entsprechend viel Technik steckt in der Karbonkarosse, die aus einem Stück gebacken – und natürlich die bislang größte ist, die es auf die Straße geschafft hat. Pro Achse treiben ihn zwei Motoren, die individuell angesteuert oder entkoppelt werden können und der Bordcomputer ist zusammen mit einem halben Dutzend Kameras und einem Heer von Sensoren so schlau, dass der Nevera auf der Rennstrecke bald auch autonom fahren kann. Selbst das Infotainment mit drei großen und sechs Kleinen Bildschirmen und sogar den Zündschlüssel hat Rimac alleine entwickelt. Dabei braucht der Nevera gar keinen Schlüssel mehr, weil er das erste Auto ist, das sich auch mit Gesichtserkennung öffnen und starten lässt. 

Aber hier auf dem Airfield will man nichts wissen von Navigation oder Infotainment und wartet sehnsüchtig auf die Freigabe aus dem Tower. "All clear and ready to go!" Jetzt den linken Fuß fest auf die Bremse, den rechten aufs Fahrpedal, dann die Bremse lösen und die Hölle ist los. Und anders als bei jedem anderen Sportwagen geschieht dies ohne jede Vorwarnung, ohne jedes Geräusch, überraschend, unvermittelt und deshalb um so brachialer: Aus dem Nichts rammen sich den Insassen die vereinten 2.300 Nm der vier radnah montierten Motoren wie ein Katapult in den Rücken, und 1.912 PS würden wahrscheinlich selbst einer Marmorstatue die Gesichtszüge entgleiten lasse. Dann schleudert die explosive Kraft der Elektromotoren den 2,2-Tonner dem Horizont entgegen: Die Rippen biegen sich über der eingefallenen Lunge, der Mund öffnet sich zu einem stillen Schrei und schmerzhaft knallt der Schädel gegen die Kopfstütze. Nicht nur die Vorstellungskraft ist überfordert von den weniger als zwei Sekunden für den Sprint auf Tempo 100, sondern auch die Physiognomie. Und der Rausch des Rasens reißt danach nicht ab. Nach weniger als sechs Sekunden flimmert die 200er-Marke über den Bildschirm, und ohne dass der Elan auch nur ein bisschen nachlassen würde, klettert die Zahl weiter und weiter – wenn die Startbahn nicht irgendwann zu Ende wäre, würde der Nevera 412 km/h schaffen – und damit jeden Lamborghini zu einer lahmen Ente stempeln. Selbst der Bugatti Chiron, bislang der Gralshüter der allermeisten Geschwindigkeitsrekorde, sieht dagegen blass aus. 


Rimac Nevera

Rimac Nevera Bildergalerie

Perfekte Kraftverteilung

Neben dem schieren Schub begeistert aber auch die Präzision, mit der sich der Nevera fahren lässt. Wenn jeder Motor einzeln angesteuert die Kraft so perfekt an alle vier Räder verteilt, scheinen die Pfunde nur zu purzeln und die Länge schrumpft auf Westentaschenformat. Ein Porsche Cayman wirkt fast schon sperrig gegen den Nevera, von einem Chiron ganz zu schweigen. 

Und die Regelung geht so schnell, dass sich selbst Profis daran erst gewöhnen müssen. Nicht nur die Beschleunigung ist unerreicht, auch die Zeit, die für die Umsetzung der einzelnen Befehle vergeht. Kein Wunder, dass sich die Schnellfahrer alle auf den Drive Coach freuen, der sie mit virtuellem und autonomem Training zu Königen der Kreisbahn adeln will. 

Wer sich auf seine eigenen Talente verlassen will, kann aus mehr als einem halben Dutzend Fahrprogrammen wählen, mit denen sich der Charakter des Nevera merklich verändert: Es gibt den Race- oder Trackmode für den perfekten Sturm auf der Strecke, es gibt - schließlich hat Firmenchef Mate Rimac seiner Karriere mit qualmenden Reifen begonnen - einen Drift-Mode und es gibt einen Tour-Modus, in dem der Wirbelwind zu einem lauen Lüftchen wird, das handzahm über die kroatischen Landstraßen streift. 

120 kw Batterie verbaut 

Ohne das Brüllen eines Vielzylinders im Nacken gibt er dort den gelassenen Gran Turismo, mit dem man entspannt dahingleiten und auch große Entfernungen überwinden kann. Deshalb gibt’s nicht nur eine bei aller Schlichtheit vergleichsweise vornehme Innenausstattung rund um das vollkommen digitalisierte Cockpit, sondern gleich noch einen weiteren Superlativ: Die aus knapp 7.000 Zellen montierte Batterie ist mit 120 kWh die größte, die bislang in einem Auto verwendet wurde, und soll eine Normreichweite von mehr als 500 Kilometern ermöglichen. Und mit 500 kW geladen, wird der Nevera auch an der Steckdose zum Tempo-König. 

Rasend schnell, von explosiver Kraft und durchaus dazu angetan, die etablierte Welt der eiligen Elite gehörig durcheinander zu wirbeln – bis zu diesem Punkt hat Rimac den Namen für seinen Supersportler wirklich passend gewählt. Nur in einer Hinsicht soll sich der Wagen deutlich vom Wetterphänomen unterscheiden: Während der Sturm genauso schnell vorbei ist, wie er gekommen ist und nach ein paar Stunden wieder die Sonne vom strahlend blauen Himmel lacht, will Firmenchef Mate Rimac einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Wer einmal am Steuer des Nevera gesessen und einmal den rechten Fuß gesenkt hat, wird das nie wieder vergessen. 



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