Glaubt man eingefleischten Elektromobilisten, kann ganz Deutschland elektrisch fahren. Denn überall gibt es (freie) Ladesäulen, kein Mensch fährt länger als 250 Kilometer am Stück und mehr als 800 am Tag und günstiger ist das Stromfahren ja allemal. Ach ja, die Fahrzeugauswahl ist mittlerweile groß. All das stimmt. Oft. Aber nicht immer.
Hyundai Staria Signature AWD
BildergalerieNach unseren Erfahrungen gelingt E-Mobilität pauschal beantwortet bei Jahresfahrleistungen von bis zu 35.000 Kilometern (da gibt es noch ein Delta nach oben und unten). Problemlos gelingt E-Mobilität bei der passenden Ladeinfrastruktur im Büro und/oder zuhause. Problemlos gelingt E-Mobilität beim Pendeln ins Büro (mit wohl jedem E-Auto). Problemlos gelingt E-Mobilität mit einem BMW i4, Tesla, Mercedes EQE und ähnlichen Fahrzeugen mit genügend Akkukapazität und hoher Ladeleistung, dann gelingt das theoretisch auch auf der Langstrecke (fängt bei uns ab 400 Kilometer an). Problemlos gelingt E-Mobilität, wenn man sich auf der Autobahn mit einem Tempo unterhalb von 130 km/h arrangieren kann. Problemlos gelingt E-Mobilität, wenn man keinen (Zeit-)Druck hat, um alle 300 Kilometer einen Stopp von etwa 30 Minuten einzulegen. Problemlos gelingt E-Mobilität, wenn die Platzbedürfnisse eher gewöhnlich sind.
Und damit kommen wir langsam zu unserem „heutigen“ Fahrzeug, dem Hyundai Staria – einem echten Transporter. Denn nicht jedes Fahrzeug ist prädestiniert, elektrisch angetrieben zu werden. Oder allgemeiner: Nicht jedes Fahrzeugsegment. Die Transporterklasse ist für viele die eierlegende Wollmilchsau. Frei nach dem Motto: Lieber etwas mehr Platz haben, den man nicht braucht, als den zu vermissen, den man benötigen könnte. Man kann es auch das SUV-Prinzip nennen. In ein Hochdachfahrzeug bekommt man Familie plus großen Hund und Gepäck unter, kann auf der Autobahn komfortabel Kilometer machen, Sportfreaks packen Fahrräder, Kite-Equipment oder Campingzeug einfach hinten rein – zumindest ein Mal im Jahr für drei Wochen.
Rein beruflich betrachtet, fungieren die "Busse" eher als Shuttle fürs Hotel oder ebensolcher für Handwerker, die sonntags zur Baustelle rollen und donnerstags wieder in Richtung Heimat – oft auch mal 1.000 Kilometer entfernt – egal, ob Nutzfahrzeug- oder Pkw-Version. Und all das soll möglichst nahtlos, also ohne Zwangsstopps passieren. Idealerweise. Klappt elektrisch nicht sonderlich gut.
Der Hyundai Staria will sich in der Lifestyle-Nische breit machen – und hat gute Chancen, dem VW T7 und der Mercedes V-Klasse ein paar Kunden abzuknapsen. Das versuchen die Koreaner vornehmlich mit einem mehr als nur progressiv gezeichneten Design, das polarisiert und bei den meisten Passanten zur Annahme führt, es handele sich beim Staria um einen E-Transporter. Offensichtlich suchen viele Menschen nach einem E-Bus. Kurz an dieser Stelle als Info: Schauen Sie bei Stellantis und Toyota, da gibt es fünf Mal das Gleiche, rein elektrisch, wir haben hier über die Nutzfahrzeug-Version berichtet. Oder schauen Sie bei VW nach dem ID.Buzz oder bei Ford nach dem E-Tourneo oder bei Mercedes nach dem EQV oder bei wem auch immer, es gibt einige.
Doch Obacht: Elektromobilität und "Alltagsbus" schließen sich oftmals aus. Ein Transporter ist breit und hoch, hat somit keine gelungene Aerodynamik, dafür aber eine riesige Stirnfläche, die ebenfalls für den Verbrauch relevant ist. Das ist zwar irrelevant, solange man langsam fährt (deswegen funktionieren Elektrofahrzeuge in der Paketzustellung so gut), auf der Autobahn oberhalb von Tempo 100 wird das aber zum Windfang und somit zum Verbrauchstreiber. Daher müssten für halbwegs vernünftige Reichweiten große Akkupacks in den Unterboden – ab 80 kWh fängt groß an – und beim Tempo beschränkt man sich am besten dennoch unterhalb der 110er-Marke, bei den Stellantis-Derivaten ist eh bei 130 km/h Schluss.
Zurück zum 5,25 Meter langen Staria. Ihn gibt es wahlweise als 7-Sitzer in der Ausstattungslinie Signature mit Lounge-Charakter (Testwagen) oder als flexibler 9-Sitzer in der Basis-Ausstattung Trend ab 48.100 Euro (brutto). "Der Günstige" ist unsere Empfehlung, denn es ist alles drin, was benötigt wird und spart mal eben 10.000 Euro. Signature bedeutet feines Leder auf sieben Sitzplätzen, wobei die in der zweiten Reihe die komfortabelsten sind. Sie bieten nicht nur elektrisch Verstellung, sondern auch Sitzheizung und -belüftung. Man kann diese sogar zum Liegestuhl mit Beinauflage umgestalten – auf Knopfdruck. Dass dabei die Haxen idealerweise nicht zu lang sein sollten, ist kaum verwunderlich. Da die Gurtführung im Sitz integriert ist, kann das auch während der Fahrt passieren. Die mittlere Sitzreihe ist um 200 Millimeter, die dritte Sitzreihe gar um 400 Millimeter in Längsrichtung verschiebbar – was zu mehr Beinfreiheit und kaum noch Kofferraum führt – oder anders herum.
Klimatisiert wird im Signature hinten separat. Entweder per Klimaautomatik (Bedienteil oben in der B-Säule) oder manuell im wahrsten Sinne des Wortes über aufschiebbare Fenster und ganz hinten durchs Ausstellen der Scheiben. Das heißt bei all dem Hightech auch: Der Fahrer kann von vorn keinen Einfluss drauf nehmen. Ganz vorne lassen sich die Fenster übrigens nicht vollends versenken. Dafür sind sie dick und mindern das ohnehin akzeptable Geräuschniveau.
Den Überblick behalten Vornesitzende dafür stets auf dem Monitor und man sieht, wer sich hinten wo und wie lümmelt. Eine Kamera im Fond überträgt ein scharfes Bild. Doch besser, der Fahrer schaut nach vorn. Zwar sind auch in diesem Bus alle erdenklichen Assistenten an Bord, doch der Fahrerfokus sollte stets auf der Straße liegen. Bei Hyundai hat man die Bedienlogik vergleichsweise gut gelöst und viele Einstellungen gelingen recht einfach.
Hyundai Staria mit sauberer Verarbeitung
Die Verarbeitung und Materialien sind für einen Transporter gut – selbst in der 60.000-Euro-Preisklasse. So fühlt sich beispielsweise der Dachhimmel nach Alcantarastoff an. Unverständlich jedoch, dass Hyundai das Armaturenbrett hinter dem stehenden Digitaltacho aufschäumt, im Griffbereich hingegen Hartplastik verwendet. Das spiegelt sich übrigens oft in die riesige Windschutzscheibe. Diese wiederum wird im Beifahrerbereich nicht wirklich großzügig vom Scheibenwischer gereinigt. Da darf mal nachgearbeitet werden. Mit Scheibenwischern hat es Hyundai offensichtlich nicht so, dieser fehlt im Ioniq 5 komplett – zumindest am Heck. Wenn wir schon beim Lästern sind, da gibt es beim Hyundai Staria nicht so viele Punkte. Ein weiterer ist jedoch das Abblendlicht. Die Insekten-Scheinwerfer suggerieren Matrixlicht, was rauskommt ist jedoch eher Taschenlampe. Im Vorfeld ziemlich streifig, hintenraus zu kurz und eine manuelle Leuchtweitenregulierung sind Lowtech. Wie sooft, ist hier ein guter Halogenscheinwerfer (zumindest bei Trockenheit) nicht schlechter – bei Ersatz jedoch um das etwa Hundertfache günstiger. Die LED-Funzeln können also nicht viel, auch nicht im Fernlicht-Modus und sie schauen nicht mal in Kurven „hinein“.
Dabei animiert die Lenkung fast zum Kurvenräubern. Sie ist für Transporter-Verhältnisse akkurat und dennoch komfortabel ruhig abgestimmt und passt in die Stadt (Wendekreis 12 Meter) und auch auf die Autobahn (ruhig) im Zusammenspiel mit dem komfortorientierten Fahrwerk. Eine harmonische Abstimmung und sehr passend für einen Van.
Kommen wir zum Elektroantrieb. Pardon: Zum Diesel. Es gibt in Deutschland genau diesen einen Motor. 2,2 Liter, vier Zylinder, annähernd 180 PS. Im Heimatmarkt Korea und beispielsweise in den USA bietet Hyundai noch einen 3,5-Liter-V6-Benziner mit satten 272 PS an. Der würde bei uns jedoch in der Luft zerrissen werden – nicht nur von den E-Mobilisten: daher Diesel. Dieser klingt rauchig aber nicht unsympathisch. Er ist nicht leise aber auch nicht störend und harmoniert mit der Achtgang-Automatik, solange man es ruhig angehen lässt. Geduld braucht es jedoch an der Ampel. Es dauert gefühlt ewig und gemessene zwei Sekunden, bis sich der Wagen nach dem Loslassen der Bremse endlich in Bewegung setzt.
Das Besondere: Hyundai bietet im Staria für günstige 2.050 Euro extra auch Allrad an. Nur zum Vergleich: Bei der Mercedes V-Klasse kostet der „4x4-Spaß“ 4.730 Euro, bei VW, Ford und all den anderen gibt es gar keinen Allradler (mehr). Der Lamellen-Kraft-Verteiler samt Gelenkwelle nach hinten wiegt im Koreaner 75 Kilogramm extra (2,5 Tonnen der Staria in Gänze), ist mit seiner Kraftverteilung nicht der schnellste und lähmt die Längsdynamik (er braucht bis Tempo 100 gut eine Sekunde mehr als der Fronttriebler). Dafür ist er auf Knopfdruck (bis 60 km/h) mit einer 50:50-Verteilung sperrbar und somit für spezielle Einsatzzwecke gut geeignet. Tacho 200 entsprechen in etwa 180 Echten und ist ein Tempo, das dieser Hyundai nicht mag. Es brummt und vibriert und man fährt freiwillig wieder langsamer, aber dennoch deutlich schneller (wenn man will) als mit einem E-Modell. Wer eher im E-Tempo unterwegs ist, schafft es auf unter sieben Liter Verbrauch. Die Vollgasfraktion zahlt Express-Zuschlag – elf Liter sind spielend machbar. Dank 75-Liter-Tank sind lange Etappen dennoch sein Metier. Sofern man seine Blase nicht durchs Elektroautofahren umerzogen hat.
Zugreifen kann man hier also nur schreiben, solange es solche Fahrzeuge noch gibt. Übertrieben? Nein. Es wird eng für Dienstwagenberechtigte, die mehrere Kinder haben oder aus anderen Gründen viel Platz möchten und weder elektrisch fahren können oder wollen noch auf die hemdsärmeligen Nutzfahrzeug-Versionen umsteigen möchten. Wer genau sucht, findet dann auf einmal vielleicht auch in einem Land Rover Defender 130 (s)einen Familienfreund. Der ist neu, 5,36 Meter lang und bietet verständlicherweise viel (Sitz-)Platz für bis zu acht Personen – eine davon sollte aber mindestens 87.300 Euro übrighaben.