Mit Allradantrieb vom glatten Straßenasphalt ins Gelände abbiegen, querfeldein über Stock und Stein oder auch mal durch einen Fluss ans andere Ufer waten. Solche Vorzüge eines standhaften Offroaders passen nicht wirklich zu einem E-Auto für den täglichen Einsatz als klimafreundliches Alltagsmobil. Deshalb verwendet Volkswagen nirgendwo den Begriff "Geländewagen" im Zusammenhang mit den Allradlern in der Familie des elektrischen SUV ID.4. Nicht beim zweimotorigen, eher sportlichen Spitzenmodell GTX mit seinen 220 kW / 299 PS. Und nicht bei der neuen Version des Wolfsburger Erfolgsmodells, dem ID.4 Pro 4motion.
Auch der hat wie der GTX zwei Motoren, einen pro Achse. Er ist für all jene Interessenten des SUV gedacht, die zwar die Vorzüge eines Allradantriebs wollen, aber eben vor dem hohen Einstiegspreis von 53.255 Euro zurückschrecken. Mit gut 49.000 Euro ist auch der 4motion alles andere als ein Schnäppchen. Da aber wohl die meisten E-Autos eher geleast als gekauft werden, wird das gesparte Geld beim Preiskampf um die besten Angebote auf dem Markt sicher für attraktivere Monatsraten sorgen.
Durchzugskraft, PS und Reichweite überzeugt
Ist der neueste Spross der ID-Familie ein Verzichtsmobil? Die Vulkaninsel Island im frühen Herbst. Hier vertreibt der stramme Seewind die wärmenden Sonnenstrahlen des Spätsommers, hier sind viele Straßen naturbelassen, hier herrscht ein strenges Tempolimit, überwacht durch Ordnungshüter mit Messgeräten, die schon mal hinter einem Felsen lauern, den vor zigtausend Jahren ein Vulkan durch die Gegend geschleudert hat. Die ideale Biosphäre für ein Auto wie den ID 4 mit Allradantrieb. Auf der urigen Insel fällt es kaum ins Gewicht, dass unserem ID.4 im Vergleich zum GTX 25 kW oder 34 PS fehlen. Aber die gemeinsame Leistung der beiden Motoren von 195 kW / 265 PS ist überzeugend und die Durchzugskraft lässt kaum Wünsche offen. Das gilt auch für die Reichweite von gut 450 Kilometern und bis zu 520 Kilometern in der Stadt.
Spätestens wenn der graue Asphalt endet und von Schotter, tief ausgehöhlten Fahrrillen und Schlaglöchern abgelöst wird, ist der Unterschied zum ID.4 mit Heckantrieb erlebbar. Wenn die Power des rückwärtigen Motors für durchdrehende Räder sorgen könnte und das ESP eher für Entschleunigung sorgen würde, schaltet sich in Bruchteilen von Sekunden der Front-Kollege ins Geschehen ein und sorgt für Stabilität, da dann die vorderen Räder unvermittelt mitziehen. Es geht also bei diesem Allradler nicht um Geländetauglichkeit, sondern um die "Traktion". Das beschreibt die Fähigkeit, eine Kraft auf den jeweiligen Untergrund zu übertragen. Die ausgeklügelte Technik dank blitzschnell reagierender und rechnender Elektronik dürfte auch im isländischen Winter mit Schnee, Eis und Schlamm hilfreich sein. Und glatte Straßen gibt es auch in unseren Breiten.
VW ID.4 Pro 4motion
BildergalerieAuf diesem Geläuf lässt so ein oft als Langweiler titulierter Stromer sogar das Sportlerherz anspringen. Der ID.4 wird zum Drifter, verschiebt seine Staubfahne zur Seite hin, zwingt sogar zum behutsamen Gegenlenken. Der verbliebene Pfützensee des letzten Starkregens aus den bizarren Wolkenkunstwerken Islands kann gefahrlos durchpflügt werden, schließlich ist die 77 kWh-Batterie im Tiefgeschoß der Karosserie gut geschützt. Im richtigen Leben unserer gut ausgebauten Straßen kommt das Plus an Sicherheit, dass der Allradantrieb bietet, sicher nur bedingt zum Tragen. Aber das gute Gefühl von etwas Überlegenheit bleibt.
Lange sorgte die aufwendige Elektronik der ID-Modelle für Frust und Spott bei den ersten Besitzern und auch dem VW-Management. Bei der langen Test-Tour zeigte sich der ID.4 in dieser Disziplin von seiner besten Seite. Viele der zahlreichen Funktionen, die teils serienmäßig oder gegen Aufpreis an Bord sind, müssen allerdings gelernt und vor allem verstanden werden. Bei aktiver Navigation schaut der Bordrechner weit nach vorn. Naht eine Kurve wirft er manchmal recht abrupt den Anker, das Gleiche gilt für einen kommenden Kreisverkehr. Da der VW auch die Verkehrszeichen im Blick hat, wird am Ortseingang auf die erlaubte Geschwindigkeit heruntergebremst. Droht die Power des Akkus zu erlahmen, sucht das Navi selbständig eine freie Ladesäule mit entsprechender Leistung (bis zu 135 kW) und ändert das Ziel. Wird das ignoriert, schaltet das System auf stur, will auch noch nach 40 Kilometern Sparfahrt immer wieder zu genau der Stromquelle umkehren. In den Tiefen der Bedienung kann diese Funktion aber abgeschaltet werden.
Das dicke Paket an Serienausstattung könnte die Entscheidung zur Anschaffung oder zum Mieten erleichtern. So bedient sich das Assistenzsystem auch aus einer Cloud, in der Hunderttausende von anderen VW-Besitzern anonym ihre Erfahrungen speichern. Ob Stau, ein Unfall, Änderungen im Kartenmaterial oder vereiste Straßen, der Bordrechner ist immer bestens informiert. "Schwarmdaten" wird das genannt, der VW kann sie auswerten und nutzen. Die neue Zeit des Autofahrens zeigt sich also nicht nur beim sauberen Antrieb.