Der Schlag kann einen treffen. Ein Rolls-Royce in Türkis, wenn man mit dieser Kombination nach Deutschland rollt, werden Köpfe geschüttelt und Geschmacksfragen vorab beantwortet. Das geht gar nicht. Es sei denn, man ist auf der guten alten Insel England unterwegs. Da geht das immer.
Ein paar Runden um den Wagen sind Pflicht. Eine Runde macht ungefähr 16 Meter. Frühsport für Rolls-Royce-Fahrer. Die ganzen Klischees über Rolls-Royce und seine Besitzer legen wir im Kofferraum ab. Für eine Kiste Champagner ist noch Platz. Klappe zu.
Der Silver Spirit kam 1980 auf dem Markt und die Unterschiede zum Vorgänger Silver Shadow sind gravierend. Die neue Limousine aus Crewe ist ein Entwurf des Österreichers Fritz Feller und der hat sich bei seinen Ideen auch an Modellen der Marke Mercedes-Benz orientiert. Vor allem die S-Klasse, auch als Baureihe W116 bekannt, inspirierte den Designer nachhaltig. Die 5,27 Meter lange Limousine ist zwar mit den Insignien der Marke Rolls-Royce gesegnet, also der griechische Tempel plus Spirit of Ecstasy oben drauf, aber die Grundform weicht doch erheblich vom Shadow ab. Der Spirit ist wuchtiger, er zeigt mehr Kante, die Front- und Heckleuchten sitzen nun horizontal an der Karosserie.
Die Tür schließt sich, der Mensch im Inneren dieser Limousine fühlt sich wie ein Diamant im Tresor. Bestens geschützt. Und vor seinen Augen wartet eine Schrankwand. Echtes Holz, unzählige Schalter, wuchtige Lüftungsdüsen, silbern glänzend und irgendwie unantastbar. Es ist der Spielzeugladen, in dem man über Nacht eingeschlossen wurde. Und jetzt stellt sich die Frage, wie lange man hier tatenlos sitzen will. Man sitzt da und staunt ob der Opulenz und der zur Schau gestellten Wucht, mit der man in den nächsten Tagen unterwegs sein wird. Ganz rechts, im schwarzen Rund fast unsichtbar versteckt, die Einflugschneise für den Zündschlüssel. Die Lebensgeister des V8 weiter vorn werden geweckt, der 6,75-Liter Riese erwacht. Kein Brüllen oder Geschrei, es vibriert ein wenig, der 2,3 Tonnen schwere Brite steht bereit, die Reise kann beginnen.
Nach einem winzigen Ruck beginnt die Reise
Der kleine, schwarze Hebel rechts am Volant wird nach unten gezogen, einen winzigen Moment später ein kleiner Ruck, der Vorwärtsgang liegt an. Die Feststellbremse wird per linkem Fuß gelöst und der Spirit bewegt sich. Mit geschlossenen Augen, wir haben das probiert, merkt man fast nichts. Wären da nicht die Reifen und der feine Kies unter ihnen. Es knirscht ein wenig und dann erreicht der Wagen festen Boden unter den Pneus. Stille.
Wir starten in Littlehampton, direkt an der Küste. Das Meer grüßt mit frischer Luft inklusive einer Prise Salz. Der Spirit rollt vor sich hin und während die malerische Küstenlandschaft vor uns dahingleitet, verwandelt sich der Innenraum des Rolls-Royce in ein klassisches Kaminzimmer. Der Spirit erzählt vor dem Prasseln des verbrennenden Feuers seine Geschichte.
1972, lange bevor der erste Spirit das Licht der Welt erblickte, wurde bereits geplant und gezeichnet. Der Silver Shadow, ein echtes Erfolgsmodell, sollte einen Nachfolger bekommen. Modern, mit allen klassischen Attributen ausgestattet, die einen Rolls-Royce zum Rolls-Royce machen. Also Kühlermaske inklusive der stolzen Dame weiter oben. Extremer Fahrkomfort, reichlich Raum im Inneren, nur beste Materialien, ausreichend Leistung, ein Design, dass unverwechselbar und dazu noch zeitlos ist. Kurz: Der Silver Spirit sollte der modernste und beste Rolls-Royce werden.
Alternativloser Antrieb
Das Kaminfeuer leuchtet, der Spirit lehnt sich in seinem feinen Ledersessel zurück und erzählt weiter. Bereits 1974 war es soweit, die Entscheidung war gefallen. Produktionszusage. Der bewährte V8 war gesetzt, seine Laufruhe und die eindrucksvolle Leistungsentfaltung war alternativlos. Die "Spirt of Ecstasy" ging auf Tauchstation, eine echte Neuheit. Bei Bedarf konnte sich die Dame hinter die Kühlermaske zurückziehen. Heute ist das selbstverständlich, damals war das eine kleine Sensation. Unter der Karosserie, die ein wenig länger, breiter und flacher als beim Vorgänger wurde, arbeitete die bewährte Bodengruppe des Shadow II. Ein ABS wird seit 1986 mitgeliefert, die Federung wurde auf ein neues Niveau angehoben. Die Hydropneumatik hob und senkte den Spirit je nach Fahrweise und Untergrund automatisch an. Während der Spirit weiter schwärmt, läuft der Wagen wie bestellt über eine wenige fein asphaltierte Straße. Es stimmt, der Spirit kann schlechte Straßen in gute verwandeln. Es wackelt ein wenig, aber die Fahrt bleibt ein Genuss.
Der Spirit will uns unbedingt zeigen, dass er auch sportlich unterwegs sein kann. Die Dreigang-Automatik schaltet vom Dritten in den Zweiten, das passiert, wenn man das Gaspedal deutlich stark nach unten drückt. Der V8 atmet dann tief durch und die uns unbekannte Anzahl an Pferdestärken schickt den Spirit fast hastig nach vorn. Bitte nicht falsch verstehen. Der Silver Spirit ist kein Sprinter in kurzen Hosen, er ist ein Gentleman im Zweireiher, der es ein wenig eilig hat, weil er noch einen Strauß Blumen kaufen möchte, bevor in drei Minuten die Geschäfte schließen.
Der große Ledersessel ist außerordentlich bequem, man möchte darin wohnen. Aber die Kamin-Sitzung mit dem Spirit findet leider ein Ende. Wir waren drei Tage jeweils für zwei Stunden mit dem großen Wagen aus Crewe unterwegs. Es war ungeheuer bequem, sehr lehrreich und auch amüsiert. Ein Rolls-Royce in Türkis ist eine seltsame Paarung. In unseren Augen, der Brite ist da weit entspannter, was auch an der Aura des Silver Spirit liegen mag. Und die ist der deutlichste Beleg dafür, dass man bei Rolls-Royce die Themen Tradition und Moderne sehr souverän unter eine Haube bringen kann.