Von Wolfram Nickel/SP-X
Zwei Donnerschläge hatte Audi bereits gesetzt und doch war es erst das dritte Modell, mit dem die Ingolstädter endgültig auf einer Ebene mit anderen Premiummarken wahrgenommen wurden. Im Herbst 1989 präsentierte Audi den seriennahen Prototyp eines eleganten viersitzigen Cabriolets, der zum Überraschungscoup und Publikumsfavoriten auf der Frankfurter IAA avancierte. Diesem "Open-Air-Festival made by Audi", wie es die Werbung nannte, gab der Audi-Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch umgehend grünes Licht für die Serienfertigung. Nach dem Ur-quattro von 1980 und dem Audi V8 von 1988 zielte Piëch nun auf eine Punktlandung im Premiumclub exklusiver Cabriolet-Viersitzer, da wo die Preise, aber auch Renditen hoch sind. Richten sollte es der erste offene Audi der Nachkriegszeit, ein familientauglicher und fein ausgestatteter Frischluftstar in coolen Linien ohne lästigen Verdeckberg oder Überrollbügel, dafür mit soundstarkem Fünfzylinder unter der Haube. Die rundgeschliffene Form des designierten Sonnenkönigs verriet zwar seine Abstammung vom Audi Coupé (Typ 89), aber auf einen Allradantrieb verzichtete der Luftikus ebenso wie auf große Ausstattungsvielfalt, als er Anfang 1991 endlich in den Schauräumen der Händler eintraf. Ein kräftiger 2,3-Liter-Fünfzylinder und eine luxuriöse Serienausstattung, optisch symbolisiert durch die polierte Aluminiumeinfassung der Frontscheibe, sollten das Audi Cabriolet auf Anhieb oberhalb etablierter viersitziger Verdeckträger einordnen wie Saab 900, Chrysler Le Baron und BMW 3er. Schlussendlich durchaus erfolgreich, wie die Bilanz bewies.
Begründer einer ganzen Cabrio-Dynastie
Schon die Audi-Vorgängermarke Auto Union hatte bis Anfang der 1960er Jahre auf das Faszinationspotential formschöner Cabriolets vertraut, um nach vorn zu fahren. Während jedoch Modelle wie Auto Union 1000 SP und DKW F 93 Cabriolet zwar gutes Geld verdienten, aber das Image der Zweitakter nicht wirklich boosten konnten, sollte das Audi Cabriolet zu einem fast zeitlos begehrenswerten Shootingstar avancieren. Bis ins Jahr 2000 blieb das in kaum alternden klaren Linien gehaltene Cabrio in Produktion und überlebte so mehrere Generationen seiner wichtigsten Konkurrenten. Dazu passte, dass der vollverzinkte Frischluftstar frühzeitig den Ruf eines Langzeitautos genoss. Vor allem aber machte das offene Modell im Zeichen der vier Ringe Mode, wie neue Wettbewerber etwa vom Erzrivalen Mercedes zeigten. Kein Wunder, dass der fesche Ingolstädter so zum Begründer einer ganzen Cabrio-Dynastie wurde, die über den 2001 vorgestellten offenen Audi A4 bis zum heutigen Programm reicht, mit gleich fünf Open-Air-Baureihen vom A3 Cabriolet bis zum R8 Spider.
Zeitblende: In den 1980er Jahren war Audi auf mühsamem Weg nach oben, beschleunigt vom erfolgreichen quattro-Allradkonzept, dem als Aerodynamik-Wunder gefeierten Duo Audi 100/200 (Typ C3) und dem 1986 lancierten Audi 80/90 (B3) als Vorboten des ersten A4 sowie einem davon abgeleiteten Coupé (Typ 89), das 1988 debütierte. Obwohl auf der Bodengruppe der 80/90-Baureihe aufgebaut, unterschied sich dieser sportive Zweitürer so deutlich von den Limousinen, dass er vom Publikum als eigenständiges Modell akzeptiert wurde. Warum nicht diesen Erfolg wiederholen mit einem weiteren Ableger, der überdies als exklusives Cabriolet das Potential eines noblen Imageträgers versprach?
Audi Cabriolet 30 Jahre
BildergalerieGerade erst hatte VW-Konzernchef Carl H. Hahn anlässlich der Audi-V8-Vorstellung die leistungsstarken Modelle der feinen Ingolstädter VW-Tochter ob ihrer Gran-Turismo-Qualitäten gelobt: "Mit unseren Autos soll gereist, nicht gerast werden". Da fügte sich ein gut motorisiertes Cabriolet perfekt ins angestrebte Premium-Portfolio. Vor genau 30 Jahren war es soweit: Das offiziell noch "Audi Cabrio-Studie" genannte jüngste Derivat der Baureihe Audi B3 wurde mit weißem Lederinterieur als "Inbegriff für Sommer, Sonne und sportlich-elegante Lebensart seiner Besitzer" präsentiert. Mit ausgewogenen Proportionen und niedriger Bauhöhe sollte das Cabrio "Roadster-Atmosphäre" vermitteln. Genau das gelang dem Viersitzer nicht, zumal die Sitzposition so tief war, dass der Frischluft-Audi viel weniger Wind an seine Besatzung ließ als etwa BMW 3er oder Saab 900. Trotzdem feierte das Audi-Marketing sogar die breite Frontscheibe explizit als "besten Windschutz, der Luftwirbel für die Insassen" ausschließt – bei echten Roadstern undenkbar.
Nach dem von vielen Cabrio-Kunden ungeduldig erwarteten Marktstart im Mai 1991 wurden jedoch genau diese Eigenschaften Erfolgsgaranten, denn Audis windgeschützte Sonnenbank machte auch bei kühler Witterung eine gute Figur. Hinzu kam die aufwändige Verdeckkonstruktion, die durch gute Wintertauglichkeit, geringe Geräuschbelästigung und konkurrenzlos simple manuelle Bedienung auffiel. Dennoch lieferte Audi einige Jahre später den Kundenwünschen folgend ein optionales Hardtop und auch eine elektrohydraulische Verdeckbetätigung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der offene Ingolstädter längst als lukrative Investition der Marke erwiesen, zumal er kein billiges Sonnen-Vergnügen bot. Mit rund 52.000 Mark war der anfangs ausschließlich mit einem 98 kW / 133 PS entwickelnden 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner mit Frontantrieb fast 20 Prozent kostspieliger als der Einstiegstyp ins BMW-Cabrio-Programm.
Sechszylinder spielten in hoher Preisliga
Und auch die 1992 und 1993 nachgelegten 2,8- und 2,6-Liter-Sechszylinder spielten in einer hohen Preisliga. Nur die Mercedes E-Klasse war noch teurer. Aber gerade dieser Kostenfaktor war es, der Audi gleich dreifach nützte: Zum einen ließ er das Cabriolet im Umfeld der Konkurrenten besonders edel und begehrenswert wirken, zum anderen polierten die Preise den Glanz der vier Ringe und schließlich spülten sie reichlich Geld in die gebeutelte Unternehmenskasse. Schließlich forderten die aufwändigen Neuentwicklungen in Ingolstadt – 1990 startete der erste Audi 100 mit V6 und 1994 der Audi A8 mit Aluminiumkarosserie – frisches Geld. Obendrein wurde Audi wie alle anderen von einer anhaltenden weltweiten Rezession getroffen, der auch der kurzzeitige nationale Aufschwung durch die deutsche Wiedervereinigung wenig entgegensetzen konnte.
Jedenfalls erwies sich das Konzept des Audi Cabriolets als so langlebig, dass sanfte Modellpflegen und zusätzliche Motoren genügten, den Spaßmacher zwölf Sommer lang attraktiv zu halten. Verschiedene Vierzylinder boten einen etwas preiswerteren Einstieg, ein elektrisches Kinderauto begeisterte ab 1992 den Nachwuchs und ein 66 kW / 90 PS leistender 1,9-Liter-Turbodiesel wurde 1995 vom VW-Konzern als Weltsensation gefeiert. Das Duo aus Golf und Audi eröffnete mit diesem Kraftstoffknauserer das Selbstzünder-Zeitalter im Verdeck-Segment und immerhin jeder fünfte Cabrio-Käufer störte sich weder am aufdringlichen Diesel-Duft noch an der im Kaltlauf laut nagelnden Soundkulisse.
Insgesamt wurden bis zur Jahrtausendwende rund 72.000 Audi Cabriolet verkauft, kein Rekordergebnis unter den familientauglichen Sonnengleitern, aber für Audi der erhoffte Aufschlag im Premium-Club.