Wer erleben möchte, wie der Wandel in der automobilen Welt sich an manchen Standorten auswirkt, der sollte mal auf der Autobahn A70 die Ausfahrt Hallstadt nehmen und dort - am Rande Bambergs - in die Michelinstraße einbiegen. Viel Industrie, Gewerbe und Handel ist da angesiedelt - meist schmucklosen Hallen. Nur vom Namensgeber der Straße ist nichts mehr zu sehen.
Ende 2020 haben die Franzosen nach fast 50 Jahren in Franken das dortige Reifenwerk geschlossen. Nach mehr als 250 Millionen produzierter Reifen, meist solche der Größe 16 Zoll. Und genau die sind ein Opfer des Wandels in der Mobilität, meint Maria Röttger.
Die Chefin der Michelin Region Nordeuropa weiß, dass Neufahrzeuge wegen immer mehr Gewicht, Größe und PS den klassischen 16-Zöller zum Ladenhüter machen. Und auch die Kundschaft selbst hat größere Wünsche. Rollte etwa der erste Golf noch auf Pneus zwischen 13 und maximal 16 Zoll, so geht es inzwischen erst bei 15 Zoll los – und bis in die Größenordnung 20 Zoll. Bei SUV und Elektroautos ist der Drang zum großen Durchmesser noch stärker ausgeprägt. Und bei Gebrauchtfahrzeugen oder im Ersatzmarkt machen Billiganbieter aus Fernost die Produktion kleinerer Reifen "Made in Germany" fast unmöglich. Die Produkte der Zukunft drehen ein anderes Rad: autonomes Fahren, vernetzte Mobilität oder emissionsfreie Antriebe.
"Der Region etwas zurückgeben"
Das Ende der Reifenfertigung soll aber keine verbrannte Erde hinterlassen, so Röttger. "Das passt weder zu unserer Verantwortung als Hersteller noch zum Nachhaltigkeitsanspruch – und schon gar nicht zum Ziel, die Zukunft der Mobilität zu gestalten." Was also tun mit den Hallen, die immerhin eine Fläche von acht Fußballfeldern einnehmen? Und vor allem mit den Menschen, die dort beschäftigt sind?
Röttger, gelernte Personal-Managerin, hat natürlich erst einmal die ganze Klaviatur des Personalabbaus mit sozialem Anspruch bespielt; also Umschulung per Transfergesellschaft, Frührente, interne Weiterbeschäftigung anderswo und ein Sozialplan. Doch die individuelle Zukunft für bisherige Mitarbeitende ist noch nicht gleichbedeutend mit einer Zukunft für den Autoindustrie-Standort Hallstadt.
Darum hat der Reifen-Riese früh die Kooperation mit der Stadt, dem Landkreis und dem Freistaat gesucht – mit dem Angebot, "der Region etwas zurückzugeben und nicht einfach zu verschwinden", sagt Röttger. Auf dem Gelände entsteht jetzt ein Innovationsnetzwerk aus Forschungseinrichtungen, Produktion und Testmöglichkeiten: Gerade erst haben die Partner den Startschuss für ihren sogenannten Cleantech Innovation Park gegeben.
Hinter dem schillernden Namen steckt eine zentrale Herausforderung für den Mobilitätsstandort Deutschland mit seinen vielen mittelständischen Zulieferern: Oft haben die Firmen schlicht keinen Platz, zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten und es fehlen Verbindungen zu Forschungs- und Testzentren, um etwa Ideen für autonomes Fahren, für Elektroautos oder digital vernetzte Fertigung auszuprobieren, so Peter Keller. Er leitet jetzt den neuen "Park".
Von dem ist allerdings noch nicht wirklich viel zu sehen. Die Abrissbirne regiert noch auf Monate das Gelände, auf dem im nächsten Jahr schon das gläserne Entwicklungszentrum stehen soll. In manchen Alt-Hallen drumherum werden die noch überall sichtbaren Michelin-Männchen, aber auch die gähnende Leere und die Totenstille bald weichen. Logistikfirmen haben den Platz gemietet, zumindest, bis die Zukunftsfirmen der neuen Mobilität diesen benötigen.
Ein Förderpaket von bis zu 20 Millionen Euro des Freistaats Bayern soll Forscher in den Cleantech Innovation Park locken. Röttger freut sich denn auch, dass die Universität Bamberg dort neue Forschungsthemen rund um das Thema KI erschließen will und auch weitere Forschungsinstitute, Start-ups und Unternehmen haben schon Interesse angemeldet, in Hallstadt an Mobilitätskonzepten, Antriebssystemen und grünen Technologien zu arbeiten.
Labors, Konferenz- und Büroräume, Platz für die Produktion von Werkzeugen oder Prototypen für die Forschungsstätten sind in Planung. Auf dem Wunschzettel steht zudem auch eine Teststrecke mit der Möglichkeit, über Induktionsschleifen in der Fahrbahn kontaktlos während der Fahrt zu laden.
Offener Ort für alle Interessenten
An emissionsfreien Antriebsverfahren arbeiten schließlich auch die Franzosen selbst; schon in acht Jahren sollen sie ein Drittel zum Umsatz beitragen. Michelin engagiert sich dazu verstärkt in der Brennstoffzellen-Entwicklung, bei per RFID-Technik vernetzten Reifen oder 3-D-Druckverfahren. Vielleicht bald auch schon in Hallstadt. "Aber wir wollen bewusst nicht, dass dies als Michelin-Park erscheint – es soll ein offener Ort für alle Interessenten sein", so Röttger. Darum ist der Betreiber auch eine eigenständige Gesellschaft, die sich nicht im Besitz von Michelin befindet.
Eine Blaupause für so einen Umbau Richtung Zukunftstechnologien gibt es für die Franzosen schon: Das Werk im schottischen Dundee stand vor ein paar Jahren vor dem gleichen Dilemma – Michelin hat es dann zum Scotland Innovation Parc umgewidmet. Die bisherige Bilanz: Fast jeder der früher 846 dort Beschäftigten hat einen anderen Job gefunden, so er nicht in Vorruhestand gegangen ist. Und auf dem Gelände planen aktuell 66 Unternehmen, sich niederzulassen und an der mobilen Zukunft zu arbeiten.
An solche Strahlkraft glaubt Maria Röttger auch für ihr Projekt in Hallstadt. Über konkrete Ansiedlungen darf zwar erst gesprochen werden, wenn die zentralen Forschungsinstitute die staatlichen Zusagen für ihre Projekte erhalten haben – erst dann steigen die Unternehmen in die Entwicklungen ein. Und auch das Michelin-Männchen hätte dann wieder eine Heimat in Hallstadt; als Untermieter im Zukunfts-Park.