Von Jan-Henrik Petermann und Valentin Frimmer, dpa
Wo verläuft die Grenze zwischen Tricksen und Betrügen? Und ist alles, was legal ist, auch umweltpolitisch vertretbar? Autos stoßen auf der Straße oft deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) aus als in den Katalogen der Hersteller angegeben - das zeigen auch die von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordneten Nachmessungen bei mehr als 50 Modellen. Aber auch die nötigen Abgastests sorgen über den VW-Skandal hinaus für Zündstoff.
Wer prüft bisher, ob neue Modelle gesetzliche Vorgaben einhalten?
Zuständig ist das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg. Unter seiner Kontrolle testen Prüfinstitute, ob neue Automodelle unter anderem Umwelt- und Abgasvorschriften erfüllen. Ist alles in Ordnung, erteilt das KBA eine EU-weit gültige Typgenehmigung. Der Behörde wurde von Umweltverbänden aber wiederholt vorgeworfen, bei der Aufsicht über die Standards zu unkritisch zu sein oder sogar mit den mächtigen Konzernen zu mauscheln. "Mit ihren gut geölten Beziehungen hat die Autoindustrie dafür gesorgt, dass Grenzwerte weiterhin nur auf dem Papier gelten", meinte Tobias Austrup von Greenpeace. Zu den Organisationen, die in Deutschland im KBA-Auftrag einzelne Modelle untersuchen, gehören die TÜVs und die Dekra.
Sind die Prüfinstitute wirklich unabhängig von der Autoindustrie?
Sie schreiben sich das jedenfalls auf die Fahnen. "Neutralität, Sachverstand und Unabhängigkeit bilden das Fundament unseres Handelns", heißt es bei der Dekra. Der TÜV Rheinland betont, sein Image als verlässlicher Dienstleister nun stärker hervorheben zu wollen. "Wir stellen alle Prozesse auf den Prüfstand, die einer hohen Qualität und Effektivität entgegenstehen", sagte Vorstandschef Michael Fübi. Doch am Ende bleiben die Prüfer Auftragnehmer von Kunden aus der Autobranche. Die EU-Kommission schlägt daher vor, dass sie künftig nicht mehr direkt von den Herstellern bezahlt werden.
Welche Kritik gibt es an den bisherigen Zuständigkeiten?
Umweltschützer sähen es angesichts des VW-Skandals lieber, wenn nicht das KBA, sondern das Umweltbundesamt in Zukunft für die Autozulassung zuständig wäre. Auch die EU-Kommission versucht, mehr Kompetenzen in der Aufsicht an sich zu ziehen. Laut dem Autoexperten Stefan Bratzel muss sich beim KBA wenigstens "ein Kulturwandel einstellen" - wie generell in Zulassungsfragen: "Es ist nicht gut, wenn der Eindruck entsteht, man mache mit der Automobilindustrie gemeinsame Sache."
Das Verkehrsministerium reagierte auf einige Punkte. Ein Vorschlag: Um Abhängigkeiten zu vermeiden, sollen die Prüfer bei den Herstellern rotieren. Außerdem sollen staatliche Prüfstände für Nachmessungen entstehen und Hersteller die Software der Motorsteuerung offenlegen.
Wie laufen Abgastests für eine Typgenehmigung bislang ab?
Auf einem Rollenprüfstand wird das Auto nach bestimmten Vorgaben gefahren - aktuell gilt dafür noch der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ). Nach einem Kaltstart steht etwa für die erste Viertelstunde das simulierte Fahren im Stadtverkehr auf dem Programm. Der Autobauer darf den Wagen erst auf den Markt bringen, wenn die gesetzlichen Abgas-Anforderungen erfüllt sind. Die Messwerte haben auch Einfluss auf die Höhe der Kfz-Steuer oder den Erhalt von Umweltplaketten.
Was waren bislang Schwachpunkte der Tests?
Moderne Autos können erkennen, wenn sie auf einem Prüfstand und nicht auf der Straße fahren. Das kann gute Gründe haben: Sonst könnte die Testsituation elektronische Helfer wie Anti-Schleuder-Schutz (ESP) oder Anti-Blockier-System (ABS) verrückt spielen lassen. Illegal wird es erst dann, wenn Programme - wie im Fall VW - in die Motorsteuerung eingreifen, um Werte gezielt zu senken. Die Abgasreinigung wird dann nur im Testbetrieb voll hochgefahren, während auf der Straße deutlich mehr Schadstoffe in die Luft geblasen werden. Die Sorge, dies könne auch bei weiteren Marken so sein, führte zu Dobrindts Nachprüfungen.
Was soll sich bei den Testmethoden nun ändern?
Der Flurschaden der VW-Affäre führte mit dazu, dass das Thema in ganz Europa wieder auf die Agenda kam. Ab September 2017 will die EU schrittweise den Standard "Real Driving Emissions" (RDE) einführen. Er soll die laborgestützten Verfahren ergänzen, auf der Straße sollen dann echte Fahrmanöver zur Grundlage für realistischere Daten werden.
Was wird an den neuen Verfahren kritisiert?
Der Autoverband VDA sieht Probleme mit Vergleichen. Geschäftsführer Kay Lindemann sagte der dpa: "Es kann nicht überraschen, dass ein sportlicher Fahrer in den bayerischen Bergen andere Verbrauchswerte hat als ein defensiver Fahrer in der niedersächsischen Tiefebene." Kritik gibt es auch daran, dass Übergangszeiten bis 2020 vorgesehen sind, in denen Dieselwagen noch über doppelt so viel Abgase ausstoßen dürfen wie im Labor. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) räumte ein: "Eine strengere Regelung wäre auch mir lieb gewesen."