Nach jahrelangen Diskussionen über zu schmutzige Luft in deutschen Städten sollen Einwohner und Millionen Diesel-Besitzer Klarheit über neue Gegenmaßnahmen bekommen. Vor einem Treffen der Spitzen von Union und SPD am Montagabend in Berlin wurde unter hohem Einigungsdruck weiter über einen Kompromiss gerungen.
Im Kern zeichnen sich neue Kaufanreize von mehreren Tausend Euro ab, damit mehr Besitzer ältere Diesel durch sauberere Wagen ersetzen. Außerdem geht es um umstrittene Umbauten an Motoren älterer Diesel, auf die vor allem die SPD in der Bundesregierung dringt. Die Koalition will ein Maßnahmen-Paket schnüren, mit dem Diesel-Fahrverbote abgewendet werden sollen.
Bei den Verhandlungen in der Regierung gab es nach wie vor offene Punkte. Ungeklärt waren bei technischen Nachrüstungen nach Angaben aus Koalitionskreisen etwa Haftungsfragen und eine volle Übernahme der Kosten durch die Autobauer, die die Bundesregierung verlangt.
Seehofer will Fahrzeughalter nicht belasten
CSU-Chef Horst Seehofer betonte in München, er lege großen Wert darauf, "dass die Fahrzeughalter finanziell nicht belastet werden". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: "Wir werden die Dieselfahrer nicht belasten und wollen keine Fahrverbote."
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte dem SWR, sie gehe davon aus, dass die Koalition zu einer Lösung komme. Allerdings werde es ohne Hardware-Nachrüstungen nicht gehen. Diese seien besonders wichtig, nur so könne die Luft in Städten wirklich sauberer werden. Außerdem gehörten auch Umtauschprämien zum Lösungspaket, da sich eine Umrüstung alter Fahrzeuge nicht immer lohne. Alle Maßnahmen sollten auf Kosten der Industrie gehen. "Die hat uns das eingebrockt, die Automobilindustrie, und die muss das auch bezahlen."
Die Betriebsratschefs von VW, Daimler und BMW sprachen sich gegen pauschale Hardware-Nachrüstungen aus. "Wir sind gegen eine Lösung, die einseitig deutsche Hersteller benachteiligen und Arbeitsplätze gefährden würde", warnten Bernd Osterloh (VW), Michael Brecht (Daimler) und Manfred Schoch (BMW) in der "Bild"-Zeitung (Montag). Sie favorisierten Umtauschprämieren, um alte Diesel von der Straße zu holen. Hintergrund ist, dass ausländische Marken, die beim Diesel einen Marktanteil von gut einem Viertel (26,5 Prozent) haben, vorerst nicht zu technischen Nachrüstungen beitragen wollen.
Scheuer favorisiert Umtauschprämien
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) setzt vorrangig auf neue Anreize, damit mehr Besitzer Diesel der Klassen Euro 4 und Euro 5 in sauberere Euro-6-Autos tauschen - Benziner oder Diesel, neue oder gebrauchte. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht dies als "Hauptelement" des neuen Konzepts. Nach dem Dieselgipfel 2017 hatten die deutschen Hersteller schon Prämien gestartet. Diese nahmen mehr als 200.000 Kunden in Anspruch, wie es im Juli hieß. Generell können Kunden beim Autokauf mit Rabatten von einigen Tausend Euro rechnen.
Offen war zunächst, in welchen Regionen besondere Prämien angeboten werden könnten. Neben den 14 Städten, in denen die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) 2017 mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft betrug, werden für andere betroffene Städte spezielle Lösungen angestrebt - unter anderem für die Pendlermetropole Frankfurt am Main, wo nach einem Gerichtsurteil 2019 Fahrverbote kommen sollen. In Hessen wird am 28. Oktober ein neuer Landtag gewählt.
Der Deutsche Städtetag verlangte ein umfassendes Konzept. "Es darf jetzt keine halbherzigen Lösungen mehr geben, die in Kürze wieder ergänzt werden müssen", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur. Menschen an belasteten Straßen, die Städte und die Dieselfahrer bräuchten eine Perspektive, die trage. Nach quälend langen Diskussionen und mehreren Gerichtsurteilen müsse ein Paket kommen, das die Stickoxid-Belastung reduziere und die Industrie in die Pflicht nehme. Dazu gehörten Hardware-Nachrüstungen für Euro-5-Diesel auf Kosten der Hersteller, attraktivere Umtauschprämien und ein Konzept nicht nur für wenige besonders belastete Städte.
Beim Treffen im Kanzleramt sollten je nach Fortschritt beim Hauptthema Diesel auch noch weitere Themen angesprochen werden - etwa die Zuwanderung von Fachkräften und bezahlbare Wohnungen. (dpa)