Im Musterprozess um mögliche Entschädigungen für Hunderttausende Dieselfahrer verhandeln Volkswagen und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) über einen Vergleich. Das teilten VW und der vzbv am Donnerstag gemeinsam mit. Damit dürfen die teilnehmenden Kläger in dem bundesweit ersten Musterverfahren am Braunschweiger Oberlandesgericht auf Schadenersatz wegen des Wertverlusts ihrer Autos im Abgasskandal hoffen.
"Gemeinsames Ziel von vzbv und Volkswagen ist eine pragmatische Lösung im Sinne der Kunden", hieß es in der kurzen Mitteilung. Die Gespräche seien in einem sehr frühen Stadium. "Ob es zu einem Vergleich kommt, ist offen."
Lange hatte VW einen möglichen Vergleich skeptisch gesehen. Am ersten Verhandlungstag der Musterfeststellungsklage Ende September nannte der Autobauer Vergleichsverhandlungen "einfach nicht praktikabel", da unklar sei, wer sich mit welchen Ansprüchen gemeldet habe. Auch Mitte November noch bezeichnete VW einen Vergleich als "kaum vorstellbar".
vzbv begrüßt Gespräche
Der Chef des vzbv, Klaus Müller, begrüßte daher jetzt die Gespräche. "Wir bewerten das Gesprächsangebot als positives Signal", sagte Müller der 'Rheinischen Post' (Freitag). "Auch wenn keineswegs sicher ist, dass am Ende ein Vergleich erreicht wird, freuen wir uns, dass mehr als vier Jahre nach Beginn des Dieselskandals nun neue Bewegung in die Sache kommt."
Der vzbv vertritt in dem gebündelten Verfahren die Interessen vieler Dieselfahrer, die sich nach dem Auffliegen der Abgasmanipulationen im Herbst 2015 von Volkswagen getäuscht sehen. In vielen Fällen fordern sie Schadenersatz wegen des gesunkenen Wiederverkaufswertes ihrer Fahrzeuge. Neben dem Musterverfahren in Braunschweig laufen an Gerichten bundesweit weitere separate Prozesse. Mancherorts sprachen Richter den Verbrauchern Entschädigungen oder den kompletten Ersatz des Kaufpreises des Autos zu - oft wurden Ansprüche jedoch abgelehnt. Die meisten Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Der Automobilclub ADAC teilte mit, dass die Verhandlungen das Verfahren deutlich beschleunigen könnten. "Ein Prozess hätte sich über gut zwei Jahre hinziehen können, ein Vergleich kann aber noch in der ersten Jahreshälfte 2020 geschlossen werden", sagte ADAC-Chefjurist Markus Schäpe. VW müsse aber "ein faires Angebot vorlegen und keine Symbolpolitik betreiben".
Faires Angebot von VW erwünscht
Ähnlich äußerte sich der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. "VW sollte jetzt nicht lange taktieren, sondern den betroffenen Verbrauchern schnell ein faires Angebot machen", sagte Fechner dem 'Handelsblatt'. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte sagte dem Blatt hingegen, eine Schattenseite dieses Vorgehens sei, dass bei einem Vergleich "die Hintergründe des Vorgehens der Automobilindustrie möglicherweise nie geklärt werden".
Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig, Michael Neef, hatte bereits bei den ersten Sitzungen zur Musterfeststellungsklage für Verhandlungen zwischen VW und den Verbraucherschützern geworben. Im November forderte er den Autokonzern auf, ernsthaft über Vergleichsverhandlungen nachzudenken.
Dauer der Gespräche "völllig offen"
Mit Blick auf mögliche Entschädigungen für Hunderttausende Dieselkunden von Volkswagen hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil die Verhandlungen über einen Vergleich begrüßt. Zum Zeitplan äußerte sich der SPD-Politiker, der als Ministerpräsident seit 2013 auch im Aufsichtsrat von VW sitzt, aber zurückhaltend. "Die Gespräche beginnen gerade erst, noch ist völlig offen, wie lange sie dauern werden und zu welchem Ergebnis sie kommen", sagte Weil am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. "Wir warten nun zunächst den weiteren Verlauf der Gespräche ab."
Die genaue Zahl der für die Klage registrierten Verbraucher ist allerdings strittig. Laut VW gab es rund 470.000 Anmeldungen, aber auch 77.000 Abmeldungen, die das Bundesamt für Justiz noch nicht vollständig verarbeitet habe. Zudem könnte es Doppeleinträge und Anmeldungen geben, hinter denen mehrere Dieselfahrer stehen.
Im September 2015 hatte Volkswagen nach Prüfungen von Behörden und Recherchen von Forschern in den USA Manipulationen an den Abgaswerten von Dieselautos zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestellt, dass im tatsächlichen Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als in Tests. (dpa)