Insolvenzverwalter sehen mit dem Elektroauto eine Pleitewelle auf die deutsche Zulieferindustrie zurollen. Dabei dürften mehr als 100.000 Arbeitsplätze verloren gehen, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltverein, Martin Prager, am Mittwoch in München.
Vom Kolben über das Getriebe bis zum Auspuff werden viele Teile beim E-Motor überflüssig. Das stelle hoch spezialisierte Zulieferer vor existenzielle Herausforderungen, vom Mittelständler bis zum Konzern. "Viele werden die Anpassung nicht schaffen", sagte Prager. Jedes neunte Unternehmen in einer strategischen Krise sei nicht mehr zu retten, das zeige eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger. In der Autoindustrie hängt heute rund eine Million Arbeitsplätze am Benzin- oder Dieselmotor. Dass gut 100.000 davon letztlich verloren gehen werden, sei eine realistische Annahme, sagte Prager.
Heute sind in Deutschland erst 26.000 E-Autos und 130.000 Hybride zugelassen - 45 Millionen Autos fahren mit Benzin- oder Dieselmotor. Aber VW, Mercedes und BMW wollen in den nächsten Jahren Dutzende elektrifizierte Automodelle auf den Markt bringen. Die Autoindustrie erwartet, dass das E-Auto in 15 Jahren auf Augenhöhe mit den Verbrennern ist. Prager sagte, für die Insolvenzanwälte werde das E-Auto erst auf längere Sicht ein Thema. Aber "das kommt sichtbar auf uns zu".
Im Moment haben es die Insolvenzverwalter aber vor allem mit Einzelhandels- und Modeunternehmen zu tun, deren Kunden im Internet bestellen - Butler oder Wöhrl sind prominente Beispiele. In der boomenden Autobranche dagegen gab es im vergangenen Jahr bis Oktober nur 28 Insolvenzverfahren - nicht einmal halb so viel wie im Vorjahr. Insgesamt sei die Zahl der Firmen- wie der Privatinsolvenzen rückläufig. "Unser Geschäft ist antizyklisch. Wenn's draußen gut läuft, geht's uns nicht so gut", sagte Prager.
Im Bundesdurchschnitt sind zehn Prozent der Bürger überschuldet - in Bremen sogar 14 Prozent, in Bayern nur 7,3 Prozent, wie der Dortmunder Insolvenzanwalt Kai Henning erklärte. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung sowie wirtschaftliche Unvernunft seien häufig Gründe - aber es treffe nicht nur Einkommensschwache, sondern auch Unternehmer und ehemalige Topmanager. (dpa)
NRT