Es war ein schwerer Gang, den General-Motors-Chefin Mary Barra am Donnerstag antreten musste. Vor 1.200 Mitarbeitern im Entwicklungszentrum des Opel-Mutterkonzerns nahe Detroit berichtete sie, was ein Anwalt bei seinen Nachforschungen zum jahrelang verschleppten Zündschloss-Rückruf herausgefunden hat. Der Bericht sei "brutal hart und zutiefst beunruhigend", leitete sie ihre Ansprache ein. Es sei ein "Muster von Inkompetenzen und Versäumnissen" zum Vorschein gekommen.
"Wir haben unseren Job nicht gemacht", stellte Barra fest. "Wir haben die Kunden im Stich gelassen." Wohl selten ist ein Konzernchef so hart mit seiner eigenen Mannschaft ins Gericht gegangen. Gleich 15 Mitarbeiter mussten gehen, gegen fünf weitere wurden disziplinarische Maßnahmen verhängt. Barra baute ganze Abteilungen um. "Ich hasse es, das mit Euch teilen zu müssen, genauso wie ihr es hasst, Euch das anhören zu müssen", sagte sie. "Aber ich will, dass Ihr es hört. Ich will, dass Ihr es niemals vergesst. Das ist nicht einfach eine weitere geschäftliche Krise. Wir können das nicht einfach glattbügeln und dann weitermachen."
Barra wollte an diesem Tag endgültig mit den alten Gepflogenheiten bei General Motors aufräumen - einem Autokonzern, in dem Probleme hin- und hergeschoben wurden bis sich schließlich niemand mehr verantwortlich fühlte und die Sache im bürokratischen Apparat versandete. So war es bei den Zündschlössern, wo ein Schalter im Wert von wenigen Cent zu schwach ausgelegt war. Deshalb konnte der Schlüssel bei voller Fahrt zurückspringen. Das bedeutete: Motor aus, Servolenkung aus, Bremskraftverstärker aus. Viele Fahrer verloren die Kontrolle über ihre Autos und kamen von der Straße ab - ungeschützt, weil auch die Airbags nicht mehr funktionierten.
General Motors zählt 13 Unfalltote, Verbraucherschützer kommen auf mehr als 300. Seit Wochen sind die US-Medien voll von tragischen Geschichten. Schon während der Fahrzeugentwicklung 2001 hatte General Motors Hinweise darauf, dass etwas mit dem Zündschloss nicht stimmte. Auch nach dem Verkaufsstart 2003 gab es immer wieder Berichte über ein Versagen. "Wir haben das Problem von Beginn an falsch eingeordnet", räumte Barra ein. "Erfahrene Ingenieure haben nicht verstanden, dass ein Zurückspringen des Zündschlüssels auch die Airbags abschaltet." Wie das denn möglich sei, wurde sie von einem Journalisten in der anschließenden Pressekonferenz gefragt. "Ich wünschte, ich könnte das beantworten", sagte Barra.
Befreiungsschlag für Barra
Obwohl Fragen offenblieben, dürfte der Bericht ein Befreiungsschlag für Barra sein. Denn der beauftragte Spitzenanwalt Anton Valukas bescheinigte der Firmenveteranin und ihrem obersten Führungszirkel gleichzeitig, nichts von den Problemen gewusst zu haben. So wirkte Barra bei ihrem jetzigen Auftritt wesentlich selbstsicherer und entspannter als unlängst bei zwei Anhörungen des US-Kongresses. Sie sei trotz allem stolz, für General Motors zu arbeiten, sagte die 52-Jährige am Ende ihrer Rede. "Ich weiß, wir haben ein engagiertes und talentiertes Team aus loyalen, ehrlichen Mitarbeitern ... Ich glaube an Euch."
Die zuerst gescholtene und dann wieder versöhnte Belegschaft dankte es ihrer Chefin mit stehendem Applaus. Für GM aber letztlich wichtiger: Die Kunden kaufen trotz der Negativschlagzeilen weiterhin Chevrolets, Buicks oder Cadillacs. Alleine im Mai stieg der Absatz auf dem wichtigen Heimatmarkt USA um satte 13 Prozent. (Daniel Schnettler, dpa)