Jährlich fallen etwa 600.000 Tonnen Altreifen in Deutschland an. Das sind nicht nur Pkw-, Llkw- und Lkw-Reifen, sondern auch Motorrad-, Vollgummi- und Ackerschlepper- sowie Erdbewegungsmaschinen-Reifen. Damit Altreifen keine Belastung für die Umwelt werden, ist ihre Entsorgung gesetzlich geregelt und überwachungsbedürftig. Bei der Verwertung von Altreifen werden heute verschiedene Wege gegangen. Eine bewährte Methode ist das Verbrennen von Altreifen zur Energiegewinnung in Zement-, Zellstoff- oder Kraftwerken.
Besser ist jedoch die Pyrolyse. Hier wird der Reifen unter Ausschluss von Sauerstoff unter anderem zu Industrieruß (engl. Carbon Black) oder Pyrolyseöl verarbeitet, die sich wieder für die Herstellung von Reifen beziehungsweise Treibstoffen verwenden lassen. Eine weitere stoffliche Verwertung ist das Schreddern und Zerkleinern von Altreifen zu Granulat oder Gummimehl. Dies lässt sich für Dichtmaterialien und Bodenbeläge verwenden. Eine relativ neue Methode ist die Devulkanisation. Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit, Altreifen nicht nur als Sekundärrohstoff zu verarbeiten, sondern ohne Qualitätseinbußen erneut als Ausgangsmaterial wiederzuverwenden - etwa wieder bei der Herstellung von Reifen.
Königsweg Runderneuerung
Im europäischen "Green Deal" und im Kreislaufwirtschaftsgesetz stehen jedoch "Re-Use" und "Repair" in der Priorität klar vor "Recycling". Aus diesem Grund werden noch gebrauchsfähige Altreifen zum Export in Drittländer freigegeben.
"Die Reifenrunderneuerung ist jedoch klar die vornehmlich anzustrebende Verwertungslösung, bevor, nachgelagert, das Recycling kommt", sagt Michael Schwämmlein, Geschäftsführer Technik beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) in Bonn. Dieser Ansicht ist auch der BIPAVER (europäischer Verband der Runderneuerer), der in der Runderneuerung ein Paradebeispiel für Kreislaufwirtschaft sieht.
Die Vorteile der Runderneuerung in Richtung Material- und Energieeinsparung und Müllvermeidung sind hinlänglich bekannt. "Oft werden aber auch sozioökonomische Aspekte vergessen", weiß Schwämmlein. Eine Meinung, die er mit Mark Hinghaus-Kaul, Geschäftsführer der Reifen Hinghaus GmbH, teilt, der unter dem Label "King Meiler" als einziger deutscher Reifenhersteller runderneuerte Pkw-Reifen in Deutschland herstellt. "Runderneuerungsbetriebe sind in der Regel mittelständische Betriebe, die regional Arbeitsplätze schaffen und auch Kunden aus dem regionalen Umfeld bedienen. Hier werden also auch ganz klar Transport- und Logistikaufwendungen eingespart, mit allen ökologischen Auswirkungen", so Schwämmlein.
Die "Grundlage" für jede Runderneuerung ist die Reifenkarkasse des abgefahrenen Neureifens. Sie muss herstellerseitig mit einem Potenzial für ein Zweitleben ausgestattet sein (z.B. Michelin "Y-Karkassen"). Dies ist leider nur bei wenigen europäischen Neureifenherstellern der Fall. Hinzu kommt noch, dass die meisten Importreifen mit minderer Qualität nicht runderneuert werden können. "Die oft zitierte Aussage, dass alle Produkte aus Asien schlecht oder nicht runderneuerungsfähig sind, ist aber nicht zutreffend", weiß Michael Schwämmlein.
In Hinblick auf die "Extended Producer Responsibility" wünschen sich Reifen-Verbände wie AZuR (Allianz Zukunft Reifen), ZARE (Zertifizierte Altreifen Entsorger), der BRV und Hersteller wie die Reifen Hinghaus GmbH von der Neureifenindustrie eine "Karkassengarantie", also eine Garantie, dass die Karkassen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch runderneuerungsfähig sind. Vorbild ist der Lkw-Bereich.
Viele Herausforderungen
Doch gibt es gerade im Pkw-Bereich sehr viel mehr Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Ein Problem stellt tatsächlich die Dimensions- und Variantenvielfalt dar, die zudem auch noch stetig zunimmt. Mark Hinghaus-Kaul: "Da die Runderneuerung von Pkw-Reifen immer eine "Vollform-Heißerneuerung" ist (im Gegensatz zur "Kalterneuerung" mit vorvulkanisierten Profillaufstreifen), stellt dies seitens der Werkzeuge einen immensen Investitionsbedarf dar, um eine repräsentative Produktpalette abbilden zu können." Hinzu kommt dann noch, dass die Runderneuerungsfähigkeit der Pkw-Reifen oft kein Bestandteil des Lastenheftes bei der Neureifen-Entwicklung ist. Runderneuerer müssen daher oftmals die passenden Karkassen selbst finden.
Weitere Probleme sehen Verbände und Hersteller für Runderneuerte auch im Preisdruck durch Neureifen. So ist die Produktion von runderneuerten Reifen immer noch durch viele manuelle und handwerkliche Tätigkeiten geprägt. Die macht eine wirtschaftliche Kalkulation oft schwierig. Hinzu kommt dann noch, dass vor allem im Pkw-Bereich die Kundenakzeptanz und das "Image" des runderneuerten Reifens nicht sehr hoch sind. "Technologisch gesehen, können in Bezug auf Mischungs- und Fertigungstechnik runderneuerte Reifen durchaus mit qualitativ hochwertigen Neureifen mithalten", sagt Michael Immler, Obermeister der Landesinnung des bayerischen und sächsischen Vulkaniseur- und Reifenmechanikerhandwerks und Sachverständiger für Räder und Reifen. "Hier konnten leistungsfähige Laufflächenmischungen und Profildesign viel bewirken."
Immler sieht als Grund für die geringe Marktdurchdringung unter anderem das Fehlen eines Reifenlabels. Vor allem Reifenservicebetriebe und Kfz-Werkstätten ließen sich dann eher von Runderneuerten überzeugen, zumal auch Endkunden laut einer Befragung des Automobil-Club Verkehr e.V. (ACV) durchaus runderneuerte Reifen kaufen würden. Auch von politischer Seite sollte daher endlich der Einsatz und die Verwendung von runderneuerten Reifen befördert und "belohnt" werden.
- Ausgabe 04/2022 S.18 (151.2 KB, PDF)