Von Holger Holzer/SP-X
Das Kutschenrad kommt zurück: Nachdem Pkw-Reifen in den vergangenen Jahren immer breiter geworden sind, geht der Trend nun zu schmalen Laufflächen und extra großen Durchmessern. Sorgten die neuartigen Pneus zunächst bei E-Autos für geringen Stromverbrauch, sollen sie bald auch konventionell motorisierten Pkw beim Sparen helfen.
Besonders konsequent treibt Renault den Trend zum Schmalreifen voran. Wenn im Herbst der neue Kompakt-Van Scénic auf den Markt kommt, wird bereits die Einstiegsversion mit 20-Zoll-Rädern ausgestattet sein. Diese Felgengröße kennt man bislang eher aus den hochpreisigen Regionen der Optionslisten teurer Sportwagen oder SUV. Beim Scénic handelt es sich jedoch nicht um diese auch entsprechend breiten Protz- und Show-Räder, sondern um ganz besonders schmale Pneus in der exotischen Dimension 195/55 R20. Bei knapp 20 Zentimetern Gesamtbreite der Aufstandsfläche sind die Flanken knapp 11 Zentimeter hoch, das komplette Rad misst stolze 72 Zentimeter im Durchmesser. Zum Vergleich: Der aktuelle Scénic trägt Reifen der relativ konventionellen Dimension 205/60 mit 16-Zoll-Felgen – die Räder sind zehn Zentimeter breiter, vom Boden bis zum oberen Ende aber fast zehn Zentimeter niedriger.
Entsprechend gut gefüllt und ansehnlich wirken die Radhäuser des Scénic in der Seitenperspektive. Allerdings geht es bei den Schmalreifen nicht um die Optik, sondern vor allem ums Spritsparen. Reifen mit großem Durchmesser verformen sich beim Abrollen weniger als kleinere Pneus, wodurch der Rollwiderstand und damit der Kraftstoffverbrauch sinkt. Verbrauchswerte für den neuen Scénic nennt Renault zwar noch nicht, der technische Ansatz aber hat sich schon an anderer Stelle bewährt. So sind Reifen von E-Autos bereits seit längerem nach einem ähnlichen Muster konstruiert. Beim BMW i3 etwa sind die Pneus nur knapp 16 Zentimeter breit, aber 70 Zentimeter hoch (155/70 R19). Der Extrem-Sparer VW XL1 steht sogar auf nur knapp 12 Zentimeter breiten Reifen mit einem Gesamtdurchmesser von knapp 57 Zentimetern (115/80 R15).
Neuer Trend ist gewöhnungsbedürftig und teuer
Autofans werden sich an die Entwicklung gewöhnen müssen, kaufen sie ihre Reifen doch in der Regel nach dem Motto "je breiter desto besser". Denn Räder mit raumgreifender Lauffläche, großer Felge und niedriger Reifenflanke sehen am Fahrzeug unbestritten gut aus. Selbst bei Klein- und Kleinstwagen sind daher extra breite Niederquerschnittsreifen heute keine Seltenheit mehr. Allerdings spielen bei dieser Entwicklung nicht ausschließlich modische Gründe eine Rolle. Denn neben den ästhetischen Vorteilen hat auch das seit Jahrzehnten ständig wachsende Fahrzeuggewicht für eine Inflation bei der Reifenbreite gesorgt.
Hohe Tragkraft und gutes Aussehen sind bei breiten Reifen allerdings teuer erkauft. So leidet der Fahrkomfort sowohl unter dem höheren Gewicht der Räder als auch durch die immer dünnere Gummischicht, die Fahrbahnunebenheiten nur noch schlecht dämpfen kann. Dazu kommen ein großer Wendekreis, gesteigerte Aquaplaning-Gefahr und ein erhöhter Verbrauch. Und nicht zuletzt: der hohe Preis.
Allerdings dürften hohe Kosten zunächst auch auf die Käufer von Schmalreifen zukommen. Weil das Format noch relativ exotisch ist, ist ein Satz Pneus etwa doppelt so teuer wie bei konventionellen Größen. Wer etwa vier Exemplare des Goodyear Vector 4 Season in 195/55 R20 für den Scénic kauft, ist schnell rund 900 Euro los. Viel Geld bei einem Familienauto. Auch die wenigen Konkurrenten – wie etwa Continentals Eco Contact 5 oder Winter Contact TS 850P - kosten pro Stück richtig Geld. Ändern dürfte sich das erst, wenn sich Schmalreifen endgültig durchsetzen und der Wettbewerb in diesem Marktsegment wächst.