Benjamin Bessinger/sp-x
Der Mann ist Entwicklungsvorstand eines europäischen Fahrzeugherstellers und sollte eigentlich der IAA nächsten Monat in Frankfurt entgegenfiebern. Schließlich wird er dort das Tuch von einem nagelneuen Luxusauto ziehen, dass die Geschäfte seines Arbeitgebers beflügeln könnte. Doch seine Vorfreude hält sich in engen Grenzen. Denn Dieselskandal und Feinstaubalarm, Kartellverdacht und die Disruption aus dem Silicon Valley haben ihn die Lust verdorben und den Messeauftritt am Main zu einer leidigen Pflichtübung gemacht. Zu mies ist die Stimmung und zu zerrüttet das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, als dass man mit großer Freude nach Frankfurt fahren könnte.
Vier Wochen vorher im Kalender und zwölf Flugstunden weiter im Westen sieht das ein bisschen anders aus. Denn da ist Concours in Pebble Beach und rund herum feiern sie das Auto. Kritik ist nicht erlaubt. Diesel? Nie gehört! Kartellverdacht? Wie schreibt man das? Und wer zur Hölle ist dieser Elon Musk mit seinen Teslas, von dem überall zu hören ist? Wo man sonst nur noch gute Miene zum bösen Spiel macht, feiert die Car-Kultur jedes Jahr in Kalifornien fröhliche Urständ. Lust und Leistung sind dort wichtiger als Bits, Bytes und Feinstaubpartikel.
Erwachsene Männer stehen wie kleine Kinder mit offenen Mündern in den Hotelauffahrten und kommen angesichts der ganzen Supersportwagen und Luxuslimousinen kaum mehr heraus. Und man kann es ihnen kaum verdenken, wenn auf dem Parkplatz mehr Ferrari als Ford stehen und man morgens auf dem 17-Miles-Drive die gesamte Jahresproduktion von Marken wie Koenigsegg oder Pagani zu sehen bekommt.
Wer glaubt, dass die Freude am Fahren verblasst und das Auto seine Faszinationskraft verliert, der muss nur einmal nach Pebble Beach gehen, sagt Mercedes-Designchef Gorden Wagener und mag gar nicht daran denken, wie die Stimmung nächsten Monat in Frankfurt wird. So geht es vielen von zahlreichen Gästen aus der Automobilindustrie. Sie alle tanken noch einmal jene ungeteilte Begeisterung für Autos aller Arten, die den Concours d'Elegance in Pebble Beach zu einem so unvergleichlichen Ereignis macht.
Dabei gilt die Liebe längst nicht nur den etwa 200 millionenschweren Oldtimern, die sich sonntags auf dem 18. Grün des berühmten Golfplatzes um den Aufstieg in den Klassiker-Olymp bewerben und nach dem Ehrentitel "Best of Show" buhlen. Beim alljährlichen Hochamt der Automobilkultur feiern sie eine knappe Woche lange alles, was Räder hat – egal wie schnell, stark oder selten es ist. Und diese Begeisterung ist nahezu klassenlos: Ferrari-Fahrer freuen sich genauso an alten Ford-Modellen wie umgekehrt – und alle jubeln sie am Ende Bruce McCaw zu, der mit seinem Mercedes S von 1929 im Konfetti-Regen über die Rampe rollt und den 67. Concours d'Elegance von Pebble Beach für sich entscheiden kann.
"Legends of the Autobahn"
Wie bunt das Spektrum der Monterey Car Week, zu der das Concours-Wochenende mittlerweile herangewachsen ist, zeigen die vielen kleinen Concours und Clubtreffen, die dem eigentlichen Schaulaufen vorgeschaltet sind. Auf dem einen Golfplatz treffen sich bei den "Legends of the Autobahn" die ausgefallensten Autos von Audi, BMW und Mercedes, der Porsche-Club bittet genauso zur Parade wie die Ferrari-Freunde und selbst Schrottkarren werden zu Schaustücken, wenn sie mit der nötigen Portion Selbstironie beim "Concours d'Lemons" aufgefahren werden. Und zwischen den Events reiht sich das Edelmetall auf den verschiedenen Valley Roads zum wahrscheinlich teuersten und in Summe stärksten Stau seit Menschengedenken.
Die gelöste Stimmung und die ungebrochene Begeisterung zieht längst nicht nur die Oldtimer-Gemeinde und die Klassik-Abteilungen der Autohersteller an. Immer mehr Marken präsentieren Neuheiten mit etwas weniger Bodenhaftung lieber am Pazifik als vier Wochen später am Main. Denn während sich hier in Kalifornien jeder an einem sechs Meter langen Maybach-Cabrio mit 750 PS freut und viele Auto-Afficionados schon ihr Scheckbuch in der Hoffnung zücken, dass sich Mercedes wenigstens zu einer Kleinserie überreden lässt, hätte in Frankfurt der Verweis auf die vier Elektromotoren und den Akku für mehr als 500 Kilometer auch nichts am Gegenwind geändert, der so einem ebenso überflüssigen wie unvernünftigen Luxusmodell entgegengeschlagen wäre. Auch der Vorbote des nächsten BMW Z4 oder die elektrische Hightech-Seifenkiste Prototyp 9 von Infiniti sind unter der Sonne Kaliforniens besser aufgehoben als im dieselvernebelten Stimmungstief von Frankfurt. Und wo, wenn nicht in Sichtweite der schönsten Surfwellen der Welt, hätte VW-Chef Herbert Diess das Comeback des Microbus als elektrischer ID Buzz verkünden sollen?
Während diese Autos bislang aber alle nur Absichtserklärungen sind oder nicht einmal in Kleinserie gehen, haben Männer wie Wolfgang Dürheimer oder Tobias Moers ständig ihrer Orderbücher greifbar. Der eine ist Chef von Bugatti und Bentley und verkauft an einem Wochenende in Monterey mehr Autos als in manchen Ländern im ganzen Monat. Und der andere leitet die Geschäfte des Mercedes-Ablegers AMG und zeigt den Amerikanern zum ersten Mal den 1.100 PS-Antrieb des kommenden Hypersportwagens, von dem es nur 275 Exemplare geben soll. Zwar gibt es tatsächlich nicht viel mehr als den winzigen V6-Motor und die drei E-Maschinen zu sehen. Doch schon das reicht aus, um den Kaufreiz zu stimulieren: Obwohl der bislang als "Projekt One" geführte Überflieger knapp drei Millionen kostet, ist er am Ende der Monterey Car Week gleich vier Mal überzeichnet.
Rekordpreise bei Auktionen
Wer da zu spät war, der hat sein nächstes Auto vielleicht auch bei einer der sechs großen Auktionen gefunden, bei denen vier Tage lang die Autos im Akkord versteigert werden. Billiger wird es dort aber womöglich nicht. Im Gegenteil: Auch in diesem Jahr sind in Pebble Beach wieder Rekordpreise erzielt worden: Ein Aston Martin DBR1 von 1956 für 22,55 Millionen Dollar ist der bislang teuerste Engländer aller Zeiten, der 917K aus dem LeMans-Film von Steve McQueen wechselte für knapp 14,1 Millionen den Besitzer und gilt jetzt als teuerster Porsche und ein F1 für 15,6 Millionen führt neuerdings die McLaren -Statistik an. Insgesamt sind an diesem langen Wochenende 1277 Autos aufgerufen und gut die Hälfte verkauft worden, was bei einem Durchschnittspreis von 438.107 Dollar eine Endsummer von 317 Millionen Dollar ergibt, rechnet Jonathan Klinger von der Klassiker-Versicherung Hagertys vor. Zumindest in Pebble Beach lässt man sich die Liebe zum Auto noch etwas kosten.
Das sieht man bei einer Veranstaltung wie dem 2o genannten "Sportscar-Gathering", für das der Golfclub "The Quail" eine Art Motorshow im Smoking inszeniert. Denn einmal einen Bugatti Chiron oder einen Lamborghini Aventador aus der Nähe zu sehen, sich vom Rolls-Royce-Chef persönlich den neuen Phantom erklären zu lassen oder die Concours-Oldtimer ohne Gedränge zu bewundern, zahlen die handverlesenen Gäste über 600 Dollar – und müssen sich meist trotzdem mit einem Platz auf der Warteliste begnügen. Denn die paar Tausend Tickets sind über Jahre hin ausverkauft – auch das ist ein Umstand, von dem sie bei normalen Autoshows nur träumen können.
Je länger der eingangs zitierte Entwicklungsvorstand zwischen den vielen Neuwagen und den edlen Klassikern über das kurz geschnittene Gras flaniert, je wärmer ihm die Sonne in den Nacken scheint und je intensiver es nach Champagner riecht, desto weniger Lust hat er auf eine normale Automesse: "Wenn man in Pebble Beach ist, kann einem die IAA gestohlen bleiben." Erst recht so eine Messe in Moll, wie sie für dieses Jahr alle befürchten.