Für viele beliebte Motorrad-Modelle ist mit Jahresende Schluss. Denn ab 1. Januar 2017 dürfen in Europa keine Zweiräder mehr zugelassen werden, die nicht der neuen Typgenehmigung nach EU-Vorschrift entsprechen – und die hat es durchaus in sich. Die EU-Verordnung 168/2013 "über die Genehmigung und Marktüberwachung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen" schreibt unter anderem die strengeren Abgasgrenzwerte nach Euro 4 vor. Gleichzeitig gelten härtere Bedingungen für die Geräuschemission, alle Zweiräder über 125 Kubik müssen ein ABS besitzen, außerdem werden viele zusätzliche Dinge verlangt, die nicht im Handumdrehen umzusetzen sind – wie beispielsweise eine Onboard-Diagnose.
Diese Hürden sind für einige Modelle zu hoch beziehungsweise ist die technische Umrüstung zu kostspielig angesichts der möglichen Verkaufszahlen. Richtig schwer damit tun sich kleinere Hersteller, denn die Elektronik muss auf Datenbus umgestellt, ein Aktivkohlefilter von der Größe einer Bierdose untergebracht und die Dauerhaltbarkeit abgasrelevanter Bauteile nachgewiesen werden – um nur ein paar weitere Anforderungen zu nennen.
Welche Modelle zum Jahresende tatsächlich auslaufen, darüber halten sich die meisten Motorradhersteller noch bedeckt. Fakt ist, dass viele Produktpaletten kräftig entrümpelt werden. Gerade großvolumige Motoren mit Fahrtwindkühlung wie Yamahas XJR 1300, aber auch die Vulcan 1700-Cruisermodelle und die als "Final Edition" verabschiedete W800 von Kawasaki, Harleys V-Rod und die Zweizylinder von Aprilia wie Caponord und Dorsoduro sind betroffen. Der amerikanische Hersteller Victory hat aus diesem Grund sein Modellprogramm sogar drastisch gestrafft und bietet ab nächstem Jahr nur noch vier "Modern American Muscle"-Motorräder an. BMW hat dagegen frühzeitig reagiert und nahezu alle Modelle im Laufe das Jahres fit für die neue Norm gemacht – unter anderem die flüssigkeitsgekühlten Boxermotoren und die kleinen F-Modelle.
Die Geheimnistuerei mancher Marken soll die Händler schützen, die ihre Restbestände an Euro 3-Modellen noch ohne große Rabattaktionen verkaufen können. Doch je näher der Stichtag 31. Dezember 2016 rückt, umso größer wird der Druck, diese Motorräder auch los zu werden – es könnte zur Winterzeit zum Schnäppchenalarm geblasen werden. Alternativ dürften viele Händler für schwer verkäufliche Modelle zur Tageszulassung greifen; diese Motorräder gelten dann offiziell zwar als gebraucht, doch können sie auch 2017 noch an den Biker und somit auf die Straße gebracht werden.
Spezielle Ausnahmegenehmigung
Ein Schlupfloch hält die Neuregelung aber doch bereit: Die Produzenten können mit einer speziellen Ausnahmegenehmigung namens "Auslaufende Serie" auch nach dem Stichtag 1. Januar 2017 noch Euro 3-Modelle verkaufen – in limitierter Stückzahl: Pro beantragtem Modell dürfen das zehn Prozent der Neuzulassungen aus den Jahren 2015 und 2016 sein. Sollte diese Summe kleiner als 100 Stück ausfallen, darf der Hersteller auf eben diese 100 Fahrzeuge aufrunden. Für Nischenanbieter könnte diese Ausnahmeregelung einen nicht zu unterschätzenden Zeitgewinn darstellen, allerdings dürfen diese Fahrzeuge nur noch in den Jahren 2017 und 2018 zugelassen werden.
Entgegen aller Befürchtungen sind die Unterschiede zwischen Modellen mit Euro 3 und Euro 4 nicht so gravierend, denn die Änderungen der neuen Typgenehmigung sind in der alltäglichen Praxis kaum bemerkbar. Das zeigen jene Modelle, die schon in diesem Jahr die neue Norm erfüllen wie etwa die Ducati Multistrada Enduro, die Honda NC 750-Baureihe, Triumph Thruxton oder Yamaha Tracer 700: Verglichen mit den Euro 3-Modellen sind diese weder schwerer, noch leiser oder leistungsschwächer. Hier haben die Entwicklungsabteilungen wohl bei Soundmanagement und Motoroptimierung gut gearbeitet. Allerdings dürfte sich der im Einzelfall erheblich höhere technische Aufwand unangenehm auf das aktuell ohnehin ambitionierte Neupreisniveau auswirken.
Wer schon ein Motorrad besitzt, darf sich zurücklehnen und der Verschärfung gelassen entgegen sehen, denn es herrscht Bestandsschutz – nichts braucht nach- oder umgerüstet werden. Bei der regelmäßigen TÜV-Prüfung müssen nur die zum Zeitpunkt der Zulassung gültigen Bedingungen erfüllt werden. (Thilo Kozik/SP-X)