Von Benjamin Bessinger/SP-X
Gut Ding will Weile haben. Das weiß auch Shinichi Kiga. Er ist der oberste Motorenentwickler bei der noblen Nissan-Schwester Infiniti und forscht jetzt schon seit 20 Jahren an einer Technologie, die eine variable Verdichtung ermöglichen und den Benzinmotor revolutionieren soll. "VC-T2 nennt Kiga die Kombination von 2Variable Compression2 und "Turbo", mit dem seinem Team nach zwei Jahrzehnten und über 300 Patenten jetzt offenbar ein Durchbruch gelungen ist. Denn Ende September auf dem Pariser Salon will er seinen neuen Wundermotor zum ersten Mal zeigen und Anfang 2018 soll er – vermutlich im bis dahin ebenfalls erneuerten Geländewagen QX50 – tatsächlich auf den Markt kommen.
Mit einem ausgefeilten System kann die Verdichtung des Motors im gesamten Feld von 14:1 bis 8:1 variiert werden, erläutert Kiga. Wenn etwa beim Überholen oder an einer Steigung viel Leistung gefragt ist, fährt der Motor mit hoher Verdichtung und bringt entsprechend viel Power. Rollt man dagegen lässig dahin, wird die Verdichtung gesenkt. Dann sinkt zwar die Leistung um bis zu ein Drittel, doch geht parallel dazu auch der Verbrauch deutlich zurück, erklärt Kiga die beiden Extreme, zwischen denen sein Motor frei pendelt.
Was Kiga für das 2,0 Liter große Turbo-Triebwerk verspricht, klingt tatsächlich verheißungsvoll: "Wir bieten die Leistung und die Laufruhe eines V6-Benziners mit dem Verbrauch eines Vierzylinder-Diesels", stellt der Ingenieur in Aussicht. Mit konkreten Zahlen hält er zwar noch ein wenig hinter dem Berg. Doch so um die 270 PS und 400 Nm muss der Motor schon bieten, wenn er als Alternative akzeptiert werden soll. Und beim Verbrauch müsste in einem Mid-Size-SUV wie dem QX50 wohl eine Vier an erster Stelle stehen.
Völlige Variabilität
"Das ist ein Durchbruch", meint auch Markenchef Roland Krüger. Denn selbst wenn viele Hersteller am Thema forschen und mache Motoren bereits zwischen zwei unterschiedlichen Verdichtungsverhältnissen umschalten können, ist sein Unternehmen das erste, das die völlige Variabilität erzielt hat, prahlt Krüger und freut sich, dass Infiniti so endlich mal ein "Industry First" vorweisen kann, das tatsächlich zur Differenzierung von den großen deutschen Nobelmarken taugt. Denn auch wenn sich die Japaner durchaus als Innovationstreiber sehen, konnten sie ihre vermeintliche Technologieführerschaft außer bei der elektrischen Lenkung kaum glaubhaft demonstrieren. Und ausgerechnet das innovative Lenksystem ist bei den meisten Praxistests mit seinem teigigen, trägen Gefühl auch noch durchgefallen. Das soll beim VC-T-Motor nicht noch einmal passieren. Zwar verweigern die Japaner noch jede Testfahrt, schwärmen aber von einem sehr spontanen Ansprechverhalten und vor allem von einer ungeheuren Laufruhe, wie sie sonst Sechszylindern zu Eigen ist. "Wenn man am Steuer sitzt, spürt man zwischen VC-T- und V6-Motor keinen Unterschied", verspricht Kiga.
Dafür treiben er und sein Team einen gehörigen Aufwand. So haben sie unter der Kurbelwelle noch eine zweite Welle in den Vierzylinder integriert, die mit einem Elektromotor verdreht wird und so die Länge des Kolbenhubs variiert. Dazu gibt es noch zwei unterschiedliche Einspritzverfahren für unterschiedliche Betriebspunkte und ein Netz von Sensoren, die das Fahrverhalten und den Leistungsbedarf erfassen und damit die Steuerung der Verdichtung regeln. Kein Wunder, dass Kiga ein bisschen mehr Zeit für diese Entwicklung gebraucht hat.
Die Technik kommt zwar spät, aber trotzdem gerade zur rechten Zeit. Denn mit dem VC-T-Konzept leiten die Japaner nicht nur die nächste Runde des Downsizings ein und sägen weiter am Ast der großvolumigen Vielzylinder. Vor allem emanzipieren sie sich damit zusehends vom Diesel, den Infiniti ohnehin nur in Europa verkaufen, wo die Stückzahlen insgesamt am niedrigsten sind. "Zwar werden wir den Selbstzünder auf die Schnelle nicht ausmustern", sagt Markenchef Krüger. "Doch mittelfristig hat die VC-T-Technik durchaus das Zeug zum Diesel-Ersatz". Der Verbrauch des neuen Motors jedenfalls werde in etwa auf dem Niveau vergleichbarer Common-Rail-Aggregate liegen, stellt er in Aussicht.
Angst, dass er mit seiner Entwicklung ein bisschen spät dran ist und ihm die Elektrifizierung einen Strich durch die Rechnung macht, hat Kiga dabei nicht. Denn auch wenn der Motor im neuen QX50 erst einmal ein Solo gibt, lässt er sich für die Zukunft flexibel einsetzen, sagt der Entwickler: "Man kann die VC-T-Technik nicht nur mit jedem Hubraum und jeder Zylinderzahl umsetzen, sondern sie auch problemlos mit Elektromotoren zu einem Hybrid kombinieren."