In der Diskussion um eine flächendeckende Ausweitung von Tempo-30-Zonen in Städten hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf das Grundgesetz verwiesen. "Die Regelgeschwindigkeit bleibt 50, und eine Ausnahme muss begründet werden. Und die muss auch auf der Grundlage eines Gesetzes begründbar sein. Das verlangt der Verfassungsstaat, und dabei bleibt es", sagte Wissing am Mittwoch.
Kernaufgabe des Staates sei es, "Freiheitseingriffe" zu begründen. Deshalb müssten Kommunen begründen, wenn sie Tempo-30-Zonen ausweisen wollen. "Das verlangt das Grundgesetz, und das können wir nicht aus Gründen der Vereinfachung des Bürokratieabbaus aufheben."
Wissing will Kommunen bei der Verkehrsplanung dennoch neue Entscheidungsspielräume vor Ort ermöglichen. "Erleichterungen schaffen wir vor allem für Sicherheitsmaßnahmen an Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen und Fußgängerüberwegen. Ein flächendeckendes Tempo 30 wird es aber nicht geben", sagte Wissing am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.
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Das Ministerium hatte einen Gesetzentwurf zur Reform des Straßenverkehrsgesetzes vorgelegt. "Wir erweitern das Straßenverkehrsgesetz, indem wir auch die Ziele des Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Ordnung mit aufnehmen. Weiterhin bleiben aber die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs Hauptziele des Straßenverkehrsgesetzes", so Wissing. "Sie müssen auch in Zukunft immer beachtet werden." Bei den neuen Entscheidungsspielräumen vor Ort sollten die Interessen des Straßenverkehrs nicht vernachlässigt werden.
Länder und Kommunen könnten künftig schneller und flexibler auf die besonderen Anforderungen vor Ort reagieren. Wichtig sei aber, dass es bei der Regelgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern innerorts bleibe, sagte der Minister. Das sei unter anderem wichtig für die Durchgangsverkehre, die sich sonst ihren Weg durch Wohngebiete suchen würden.
Der Gesetzentwurf soll am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden. Wissing setzt damit eine Vorgabe des Koalitionsvertrags um. Neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat zustimmen.
Die Reform könne die Grundlage für einen Modernisierungsschub im städtischen Verkehr bilden, sagte der Direktor der Denkfabrik Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld. Er sprach von einem "Paradigmenwechsel". Der öffentliche Raum in den Städten könne fairer zwischen den einzelnen Verkehrsträgern verteilt werden. Viele Städte warteten auf eine Modernisierung, zum Beispiel für einfachere Ausweisungen von Tempo-30-Zonen und für die Einrichtung von Busspuren und Radwegen. Im einem weiteren Schritt aber müsse die untergeordnete Straßenverkehrsordnung geändert werden.
Tempo 30: Erste Anzeichen für ein Umdenken
Der Rechtsanwalt Roman Ringwald von der Kanzlei Becker Büttner Held sagte, an den geltenden Vorgaben der Straßenverkehrsordnung scheiterten derzeit in der Praxis viele Änderungen etwa zur Einrichtung von Busspuren. "Erst wenn wir da rangehen, dann ändern sich wirklich die Handlungsspielräume von Kommunen sehr stark."
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte, die Städte forderten seit langem vom Bund mehr Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume im Verkehrssektor. "Das gilt für ein Parkraummanagement und Gebühren ebenso wie für Geschwindigkeitsbeschränkungen und neue Verkehrskonzepte." Der Gesetzentwurf lasse erste Anzeichen für ein Umdenken erkennen und gehe für die Städte in die richtige Richtung.
Ein von Städten gegründetes Bündnis hatte sich bereits für mehr Entscheidungsfreiheit bei der Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten innerhalb geschlossener Ortschaften eingesetzt. Städten und Gemeinden müsse es ermöglicht werden, Tempo 30 als "verkehrlich, sozial, ökologisch und baukulturell angemessene Höchstgeschwindigkeit" dort anzuordnen, wo sie es für sinnvoll erachten - auch für ganze Straßenzüge im Hauptverkehrsstraßennetz und gegebenenfalls auch stadtweit als neue Regelhöchstgeschwindigkeit.