Tesla gilt als der E-Auto-Pionier, die Fahrzeuge erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Allem Anschein nach hat sich der Technologiekonzern bei der Fahrzeugentwicklung jedoch mehr auf Leistung und Reichweite konzentriert, an anderen Stellen dafür die Qualität vernachlässigt. So sorgten Quietschgeräusche an der Aufhängung bei den Modellen 3 und Y der ersten Generation für Ärger bei der Kundschaft. Verständlich, gehört doch das geringe Geräuschniveau eines E-Autos zu den beliebten Vorzügen dieser Fahrzeuge. Thorsten Rafalzik, gelernter Ingenieur für Fahrzeugtechnik und Automotive Expert bei Meyle, beobachtet seit Langem den Technologiewandel im Aftermarket. "Neben vielen anderen Produkten liegt unsere Kompetenz vor allem im Fahrwerksbereich. Tesla hat uns mit dem Model 3 eine Steilvorlage gegeben mit einem neuartig konstruierten oberen Querlenker, der eine Fehlkonstruktion war."
Wasser lief auf das obere Traggelenk und hat es im Laufe der Zeit zerstört. "Wir haben das recht schnell erkannt und eine voll abgedichtete Aluminium-Konstruktion entwickelt, mit der wir die erste Serie der Model 3 und Model Y nachträglich verbessern konnten", berichtet Rafalzik. Zwar hatte Tesla parallel eine Reparaturvariante entwickelt, aber die war so untauglich wie das Gelenk selbst. Man hat sogenannte "Ranger" durch das Land geschickt, die teilweise sogar beim Kunden vor Ort die Kugelköpfe abdichteten. "Da wurde einfach die Manschette angehoben und Fett in das vorgeschädigte Kugelgelenk gespritzt, fertig. Das ist natürlich keine sach- und fachgerechte Reparatur, hier konnten wir mit unserer Lösung ein besseres Produkt liefern", so Safalzig weiter.
- Ausgabe 7-8/2024 Seite 034 (546.8 KB, PDF)
Problemlöser
Mittlerweile ist in der zweiten Generation der Tesla-Modelle das Problem gelöst. "Aber dadurch konnten wir unsere Bekanntheit im Markt steigern und haben uns in dem Zusammenhang auch mit vielen Tesla-Spezialisten vernetzt. In der Tesla-Welt gibt es einige spezialisierte freie Werkstätten, mit denen wir mittlerweile beste Beziehungen pflegen und die uns frühzeitig Hinweise geben, wo bei welchem Teil ein Problem auftritt", sagt Rafalzig. Dabei geht es nicht nur um Fahrwerksteile, sondern beispielsweise auch um das Thermal Management, Kabelbäume und weitere Problemstellen.
"An diesen Fahrzeugen gibt es mehr als eine Baustelle", so Rafalzig. Bereits beim BMW E 36 konnte Meyle seine Leistungsfähigkeit zeigen, als das vordere, untere Traggelenk unterdimensioniert war und regelmäßig brach. "Durch unsere eigene Produktion innerhalb des Unternehmens hatten wir die Möglichkeit, ein stärker dimensioniertes Traggelenk zu entwickeln. Daraus ist auch unsere HD-Serie entstanden, die uns in der Szene als Problemlöser bekannt machte."
Wie sich die Zeiten wiederholen
"Mit Tesla verhält sich das jetzt genauso. Wir waren und sind ganz früh an den Problemen dran und viele verbinden den Namen Meyle beim Thema E-Mobilität jetzt schon mit Tesla, wie aus verschiedenen Internet-Foren hervorgeht", schildert der Experte. Aber ein generell höherer Verschleiß bei den Fahrwerken der E-Autos ist aus seiner Sicht noch nicht zu erkennen, dafür sei der Markt noch zu jung.
Eine weitere Chance für den Aftermarket sieht Rafalzig in Bezug auf die Verfügbarkeit. Auch hier fällt Tesla wieder auf. So kann man bei dem US-Hersteller nur über die Fahrgestellnummer Ersatzteile einzeln und fallbezogen bestellen, eine Bevorratung ist nicht möglich. Außerdem fallen hohe Versandkosten und mehrere Tage Wartezeit an. Man muss also im Voraus auf Fahrgestellnummer bestellen, um zum Reparaturtermin die Teile vorliegen zu haben. Allerdings behält sich Tesla auch vor, Ersatzteile bei Bedarf anderweitig einzusetzen, etwa für die Produktion im Werk Grünheide. "Es gibt bei Tesla noch keinen ausgereiften Aftersale, daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für den freien Markt", so Rafalzig.
"Geräusche sind das A und O in der der Dämpferentwicklung von Elektroautos." Rainer Popiol, Bilstein
Normale Serientechnik
In Bezug auf Stoßdämpfer in E-Autos sind im Hinblick auf die höheren Fahrzeuggewichte derzeit noch keine Auffälligkeiten bekannt, wie uns Rainer Popiol, technischer Trainer, und Dirk Haney, Leiter Fahrversuche bei Bilstein, auf Anfrage mitteilen. "Derzeit kommt in der Regel normale Serientechnik zum Einsatz. In Bezug auf die Dämpfkräfte können wir zumindest die Fahrzeuge, wo wir ans Band liefern, mit unserem normalen Serienportfolio abdecken", erklärt Haney. Verlangen Hersteller höhere Druckstufenkräfte, kann Bilstein das über spezielle Dämpfer wie den DampTronic Sky HC abdecken, wobei "HC" für High Compression steht. Wenn die Gewichte allerdings weiter zunehmen und sich wie bei einem SUV vom Typ BMW X7 oder dem Tesla Cybertruck der 3,5 Tonnen-Marke annähern, müssste man sich laut Rainer Popiol aber Gedanken über eventuell dickere Wandstärken machen, höherfeste Stähle einsetzen und die Geometrien optimieren. Außerdem verlangen manche Hersteller eine möglichst weite Spreizung des Dämpferverhaltens zwischen komfortabel und sportlich. "Das ist mit passiven Dämpfern kaum noch zufriedenstellend umzusetzen. So sehen wir verstärkt den Einzug von semi-aktiven, also elektronisch verstellbaren Dämpfern", ergänzt Haney.
Geräuschempfindlich
Ein weiterer wichtiger Punkt gerade bei Elektrofahrzeugen ist das Thema Geräuschentwicklung. "Das E-Auto ist signifikant leiser als ein Verbrenner, umso mehr dringen Geräusche vor. Auch ein Dämpfer hat bewegliche Teile und es gehen Ventile auf und zu", so Haney. Durch die Anbindung der Dämpfer an die Karosserie wirkt diese zudem wie ein Resonanzkörper. Im flüsterleisen E-Auto dringen so Geräusche vor, die früher übertönt wurden. Bilstein verfügt deshalb über eine eigene Abteilung Geräuschentwicklung mit einem Prüfstand. "Neben den erforderlichen Dämpfungskräften sind Geräusche das A und O in der Dämpferentwicklung", so Popiol. Gegebenenfalls kommen im Gegensatz zu den üblichen Kunststoffanschlägen hydraulische Anschläge zum Einsatz. Das kommt gerade bei schweren Fahrzeugen wie E-Autos immer häufiger zum Tragen. Abschließend hat Rainer Popiol noch eine positive Nachricht für Werkstätten: "Die Werkstattarbeiten bleiben auf absehbare Zeit die gleichen. Wenn die Werkstatt heute elektronische Dämpfer oder Luftfahrwerke prüfen und wechseln kann, ist sie auch für die nächsten Jahre gerüstet."