asp: Herr Professor Augsburg, gibt es eine gesundheitliche Gefahr durch Feinstaub, der sich im Bremsabrieb befindet?
Prof. K. Augsburg: Hier gibt es sehr unterschiedliche Theorien über die Gesundheitsgefährdung von Feinst- oder Nanopartikeln. Die meisten gehen davon aus, dass Partikel unter 200 Nanometer Größe das Potenzial haben, sich in der Lunge festzusetzen und von dort in den Blutkreislauf zu gelangen, was zu Herz-Kreislauf- Erkrankungen führen kann. Das haben Toxikologen bei der Untersuchung von Dieselabgasen festgestellt. Beim Bremsabrieb ist die Größe der Feinstaubpartikel ähnlich, also kann man von einer ähnlich hohen Gesundheitsgefährdung ausgehen.
asp: Wie viel Feinstaub entsteht denn im Bremsabrieb?
Prof. K. Augsburg: Wir müssen mit den Zahlen vorsichtig sein. In unseren Untersuchungen deutet sich an, dass wir mit konventionellen Bremsen nicht mehr Feinstaub produzieren, als im Abgas eines Dieselautos entsteht. Wenn man allerdings die Zyklen durch das WLTP-Messverfahren verschärft, muss man das neu bewerten. Wir müssen auch zwischen der Partikelanzahl und Partikelmasse unterscheiden. Ein Verbrennungsmotor muss laut NEFZ-Fahrzyklus in der Euro-6-Norm weniger als 6 x 1011 Partikel pro Kilometer ausstoßen. Das überschreiten wir sehr wahrscheinlich mit den Bremsen nicht, jedoch kann es durchaus eine Zahl von 6 x 109 oder 6 x 1010 beim Einsatz von vier Bremsen sein. Wir liegen hier vielleicht um den Faktor drei bis fünf unter den Verbrennungsmotoren. Wenn es um die Partikelmasse geht, sieht die Welt jedoch anders aus. Laut Euro-6-Norm sind 4,5 Milligramm pro Kilometer im Abgas erlaubt. Das können die Bremsen je nach Nutzungsbedingungen übertreffen.
asp: Das sind interessante Erkenntnisse. Wie haben Sie das gemessen?
Prof. K. Augsburg: Wir nutzen in unserem Institut Geräte, die für die Messung der Partikel im Abgas von Verbrennungsmotoren ausgelegt sind. Wir haben spezielle Vorrichtungen an unseren Prüfständen entwickelt, um den Abrieb und die Partikel direkt an Bremsen messen zu können. Im Gegensatz zum Abgas, in dem viele Kohlenwasserstoffe enthalten sind, können im Bremsabrieb auch metallische Anteile vorhanden sein. Man muss deshalb bei der Bewertung der Messergebnisse etwas vorsichtiger sein und die Messgeräte speziell anpassen.
asp: Was für Faktoren beim Bremsen begünstigen die Entstehung von Feinstaub?
Prof. K. Augsburg: Je größer die Belastungen der Bremse bei Druck und Temperatur sind, desto mehr steigen die Abriebvolumina an. Die Anzahl der Partikel erhöht sich und sie werden auch kleiner. Wir reden hier von Partikelgrößen unter 30 Nanometer. Dabei sind nicht nur die Bremsbeläge, sondern auch die Bremsscheiben beteiligt. Die Eisenpartikel der Scheiben sind aber tendenziell größer und damit potenziell weniger schädlich.
asp: Sind Sportwägen besonders prädestiniert für die Produktion von Feinstaub?
Prof. K. Augsburg: Das muss nicht unbedingt eine Frage des Fahrzeugs sein, wohl aber der Fahrweise. Das kriegt man mit einem kleinen Auto auch hin. Entscheidend ist hier die Bremsentemperatur. In bestimmten Temperaturbereichen steigt die Menge an kleinen Feinstaubteilchen massiv an, was durch eine sportliche Fahrweise begünstigt wird. Wer vorsichtig mit seinem Auto unterwegs ist, erreicht diese Temperaturen vielleicht gar nicht.
asp: Können die Bremsenhersteller die Bremsbeläge und Scheiben so optimieren, dass weniger Feinstaub entsteht?
Prof. K. Augsburg: Ja, besonders für den amerikanischen Markt ist hier in den letzten Jahren viel geschehen. So genannte Non-Asbestos-Organic-Beläge produzieren deutlich weniger Feinstaub, vor allem im Stadtverkehr. Bei den kupferfreien Belägen muss man vorsichtig sein, denn Partikelanzahl und Masse des Feinstaubs müssen hier nicht unbedingt geringer ausfallen als bei konventionellen Belägen. Auch eine Kohlefaser-Siliziumkarbid-Bremsscheibe sorgt für weniger Feinstaub, ist aber sehr teuer.
asp: Die Bremsenhersteller ATE oder Jurid haben Produkte im Angebot, die als besonders staubarm beworben werden. Was halten Sie von solchen Produkten?
Prof. K. Augsburg: Die Zauberwirkung dieser Keramik-Bremsbeläge ist nicht erwiesen. Erwiesen ist, dass sie insgesamt weniger verschleißen und zweifellos eine Auswirkung auf die Sauberkeit der Felge haben. Wenn sie aber wiederum stärker die Bremsscheibe angreifen, dann werden mehr eisenhaltige Teile freigesetzt. Die sind dann weniger auf den Felgen sichtbar, müssen aber nicht für Mensch und Umwelt gut sein.
asp: Der französische Hersteller Tallano hat eine Vorrichtung für Bremsen entwickelt, die den Bremsabrieb aufsaugt. Ist das eine Option?
Prof. K. Augsburg: Ich kenne die Entwicklung, halte sie aber nicht für praxisgerecht. Natürlich kann man Partikel zu einer bestimmten Stelle leiten und sammeln. Tallano setzt zusätzlich noch auf Bürsten, die die Bremsscheibe putzen. Das halte ich für schwierig, denn jegliche Energie, die zusätzlich aufgebracht werden muss, produziert ein größeres Schleifmoment an den Bremsen. Ein größeres Schleifmoment wirkt wie ein Rollwiderstand, was wiederum mehr CO2-Ausstoß und damit mehr Verbrauch bedeutet. Das möchte sicherlich niemand.
asp: Was wäre Ihrer Meinung nach die Lösung, den Feinstaub im Bremsabrieb am effektivsten einzudämmen?
Prof. K. Augsburg: Das Einfachste wäre, an jedem Rad eine nasslaufende Lamellenbremse zu befestigen, dann hat sich das Feinstaubproblem erledigt. Die herkömmliche Technologie ist jedoch zu verbreitet, so dass sich dieses Verfahren nicht durchsetzen wird. Eine andere Möglichkeit wäre, jede Bremse zu kapseln. Letzteres lässt sich aber nur durch eine Zwangskühlung realisieren, was ebenfalls zu aufwendig wäre. Besser ist es, strömungstechnische Gegebenheiten so auszunutzen, dass die Partikel in eine bestimmte Richtung getrieben und dort aufgefangen werden. Das kann man über die Gestaltung des Unterbodens und des Autos machen. Alles, was am Auto hängen bleibt, ist eigentlich gut für die Umwelt. Jedoch wird man für diese Lösung nicht viel Akzeptanz finden. Den optimalen Problemlöser gibt es noch nicht. Die Elektromobilität wird das Feinstaub-Problem auch stark eindämmen, da durch Rekuperation weniger Arbeit für die Reibungsbremsen übrig bleibt.
Interview: Alexander Junk
- Ausgabe 03/2017 Seite 46 (485.1 KB, PDF)