asp: Herr Schlieker, was bedeutet der vermehrte Einsatz und die Kombination unterschiedlicher Leichtbaumaterialien wie Aluminium, hochfesten Stählen und Kohlefaser für die Instandsetzung von Unfall-Fahrzeugen?
T. Schlieker: Werkstätten müssen zertifiziert sein, damit sie solche Reparaturen überhaupt durchführen dürfen und sie müssen auch speziell geschultes Personal haben. Jeder Mitarbeiter, der Instandsetzungsarbeiten an Karosserien in Multimaterialmix-Bauweise durchführt, muss diverse Schulungen absolviert haben.
asp: Was wird in diesen Schulungen vermittelt?
T. Schlieker: Dort wird beispielsweise vermittelt, wie man Aluminium oder hochfeste Stähle mit einem Laserschneidgerät bearbeiten kann. Auch Klebe- oder Niettechniken sind Teil der Schulung. Um mit diesen Materialien fachgerecht arbeiten zu können, sind mindestens zwei bis drei Schulungen pro Mitarbeiter Pflicht.
asp: Wodurch unterscheidet sich denn die Reparatur von Fahrzeugen in Multimaterialmix-Bauweise von herkömmlichen Fahrzeugen?
T. Schlieker: Fahrzeuge lassen sich nicht mehr so einfach rückverformen. Nehmen wir beispielweise einen Frontschaden, bei dem der rechte Träger nach oben oder zur Seite gebogen ist. Den kann man nicht rückverformen, da er bei einem Multimaterialmix-Fahrzeug geklebt oder genietet ist. Würde man das trotzdem tun, würden die Klebeverbindung oder die Nieten reißen. Die Haltbarkeit und Sicherheit sind dadurch gefährdet.
asp: Wie lassen sich solche Fahrzeuge fachgerecht reparieren?
T. Schlieker: Werkstätten müssen die Bauteile bis zu dem Punkt, wo sie nicht mehr maßhaltig sind, komplett austauschen. Das defekte Teil wird dann aus dem Fahrzeug herausgetrennt und neu eingearbeitet. Das geht sogar so weit, dass ein verschobener Vorbau beim Fahrzeug komplett bis zur Windschutzscheibe ausgetauscht werden muss. Die Reparatur wird dadurch natürlich deutlich teurer.
asp: Gibt es Werkstoffe, die besonders schwer zu bearbeiten sind?
T. Schlieker: Das Material ist weniger entscheidend, auch nicht das Fügeverfahren. Eine Herausforderung sind Schäden an der Struktur des Fahrzeugs, wenn beispielsweise ein Holm, ein kompletter Vorderwagen oder ein Federdom ersetzt werden müssen.
asp: Was benötigen Werkstätten an Geräten, um die Instandsetzung von Multimaterialmix-Fahrzeugen durchzuführen?
T. Schlieker: Die Werkstatt benötigt spezielles Werkzeug, um Fahrzeuge mit Multimaterialmix-Bauweise zu reparieren. Zunächst ist eine Messbühne, beispielsweise von Car-O-Liner, notwendig. Eine Richtbank wird ebenfalls benötigt. Dazu muss die Werkstatt in ein Laserschneidgerät für Aluminium und ein Laserschneidgerät für hochfesten Stahl investieren. Eine getrennte Absauganlage für Stahl und Aluminium sind ebenfalls erforderlich. Dazu werden eine Nieteinrichtung für Aluminium und auch die Pistolen für den Kleber benötigt.
asp: Warum muss eine Werkstatt getrennte Schneidgeräte und Absaugvorrichtungen für Aluminium und hochfesten Stahl haben?
T. Schlieker: Werkzeuge für Aluminium und Stahl dürfen aus Sicherheitsgründen nur getrennt genutzt und aufbewahrt werden. Das Werkzeug kann sonst durch Korrosion beschädigt werden, wenn es für mehrere Werkstoffe verwendet wird. Zwei Absauganlagen sind notwendig, da die Materialien in der Absauganlage wegen der Explosionsgefahr nicht durchmischt werden dürfen. Es dürfen deswegen auch nicht mehrere Arbeiten parallel durchgeführt werden, ein Arbeitsschritt muss immer abgeschlossen sein.
asp: Das hört sich nach sehr viel Aufwand an. Können freie Werkstätten das überhaupt leisten?
T. Schlieker: Kleinere Reparaturen wie die Erneuerung der Stoßfänger, Kotflügel und Türen oder die Instandsetzung von Seitenwänden können in freien Werkstätten sicherlich durchgeführt werden. Sobald es jedoch in die Struktur von Multimaterial-Bauteilen geht, dürfen die Werkstätten das nicht mehr ohne die entsprechenden Voraussetzungen machen. Ob sie die notwendigen Investitionen dafür tätigen wollen, bleibt ihnen überlassen.
asp: Mit welchen Investitionskosten ist denn zu rechnen?
T. Schlieker: Ich habe das einmal grob kalkuliert. Mit Messbühne, Richtbank, Schneidgeräten, Nieteinrichtung und Absaugsystemen kommen Kosten von rund 70.000 bis 85.000 Euro auf die Werkstatt zu. Diese Ausrüstung lässt sich auch nicht stückweise kaufen, sondern muss für die Instandsetzung komplett vorhanden sein. Darüber hinaus müssen die Kosten für Zertifizierung und Schulungen der Mitarbeiter kalkuliert werden. Allein eine Schulung kostet die Werkstatt mit Anfahrts- und Übernachtungskosten rund 1.200 bis 1.500 Euro pro Mitarbeiter.
asp: Herr Schlieker, vielen Dank für das Gespräch.
- Ausgabe 05/2017 Seite 24 (322.9 KB, PDF)