Status quo der elektrohydraulischen Betriebsbremse
Vor mehr als einem Jahr wurde bei Daimler der letzte Pkw mit elektrohydraulischer Betriebsbremse (EHB) produziert. Im Markt befindliche EHB-Fahrzeuge, u. a. E-Klasse und CLS, erfordern Vorsorge bei Service- und Reparaturarbeiten an der Bremsanlage. Und: Bei einem anderen Hersteller fahren mehr Fahrzeuge mit EHB als je zuvor vom Band.
Mit der Einstellung des Maybach endete zum Jahreswechsel 2012/ 2013 auch die Fertigung der elektrohydraulischen Betriebsbremse (EHB) beim Zulieferer Bosch. Ein sehr stilles Ende, bedenkt man den Tumult in der ersten Hälfte der 2000er Jahre: Rückrufe für Mercedes-Benz E-Klasse (W/S 211) und SL (R 230), anhaltender Druck aus dem Taxigewerbe und schließlich Rückbau der EHB mit dem Facelift der E-Klasse im Jahr 2006. Bei Daimler und Bosch trug die EHB die Bezeichnung Sensotronic Brake Control (SBC) und wurde in diese fünf Pkw-Baureihen von Daimler eingebaut:
Mercedes-Benz E-Klasse (W/S 211)
Mercedes-Benz CLS (C 219)
Mercedes-Benz SL (R 230)
Mercedes-Benz SLR Mc Laren
Maybach (W/V 240)
Das Hauptmerkmal der EHB ist der Entfall der hydraulischen Verbindung zwischen Betätigungseinheit und Radbremsen. Somit ist die EHB nur zwischen Hydraulikaggregat und Radbremsen mit einer konventionellen Bremse vergleichbar. Pedaldruck und Pedalbetätigungsgeschwindigkeit werden sensorisch erfasst und gemeinsam mit anderen Signalen vom Steuergerät zur radselektiven Berechnung des Bremsflüssigkeitsdrucks genutzt. Aufbau und Freigabe des Drucks übernimmt ein Hydraulikaggregat mit elektrischer Hochdruckpumpe, Druckspeicher (150 ± 10 bar) und vier Radmodulatoren. Ein Unterdruck-Bremskraftverstärker ist somit überflüssig.
Trennung von Druckerzeugung und Betätigung sowie elektronische Regelung erlauben die Integration zusätzlicher Funktionen, die sich jedoch inzwischen auch über die ESP-Funktion konventioneller Betriebsbremsanlagen darstellen lassen. Hinzu kommt der Selbsttest des Systems durch Anlegen der Bremsbeläge an die Scheiben, ausgelöst durch Fahrzeugentriegelung per Fernbedienung, Öffnen von Türen oder Heckdeckel, Drehung des Zündschlüssels in Stellung 1 oder Lösen der Parkbremse. Das Eigenleben muss vor Beginn von Service- oder Reparaturarbeiten unterbunden werden, selbst bei einem simplen Bremsbelagwechsel – Hintergrund des erwähnten Drucks aus dem Taxigewerbe. Anderenfalls besteht durch selbsttätig und unerwartet ausfahrende Radbremskolben und unter Hochdruck austretende Bremsflüssigkeit Verletzungsgefahr für Gliedmaßen, Augen und Haut. Ersatzteilen für die EHB, auch solchen aus dem freien Markt, liegen diesbezügliche Hinweise bei.
Zur Deaktivierung des Selbsttests der EHB existieren verschiedene Möglichkeiten ohne und mit Equipment; nicht alle Tester sind heute noch lieferbar.
manuelle Methode (dazu später mehr)
funktionsspezifische Kleintester (heute nicht mehr lieferbar)
markenübergreifend arbeitende, mehr oder weniger vollumfängliche Diagnosegeräte
Mercedes-Benz-spezifisches Diagnosegerät „Star Diagnosis“
Kleintester nicht mehr lieferbar
Für Nicht-Mercedes-Benz-Partner besonders empfehlenswert war die Methode über funktionsspezifische Kleintester, doch leider sind die Tester SBC 01 von Diasoft Electronic und der baugleiche Ate SBS von Continental Teves heute nicht mehr lieferbar. Was bleibt, sind markenübergreifend arbeitende vollumfängliche Diagnosegeräte (die währenddessen oft auch für andere Zwecke hilfreich wären) oder die manuelle Methode. Letztere erlaubt jedoch nur Arbeiten an den Radbremsen; Hydraulikaggregat und Betätigungseinheit (Pedalmodul) sind tabu. Die Schritte der manuellen Methode am Beispiel der Bremsbelag-Erneuerung:
Fahrzeug zum Anheben durch Tragarm-Hebebühne vorbereiten (noch nicht anheben)
Fahrertür öffnen und während der Arbeiten offen lassen
elektrische Verbraucher ausschalten, Zündschlüssel abziehen
Türen und Heckdecken schließen und Fahrzeug für mindestens 30 s verriegeln (nach 30 s ist der Nachlauf des EHB-Systems beendet)
Fahrzeug für mind. 15 s entriegeln (nach 15 s ist der Selbsttest beendet), Bremse nun nicht mehr betätigen
Fahrzeug verriegeln (um Zusteigen zu vermeiden) und Schlüssel sicher aufbewahren (unbeabsichtigtes Entriegeln muss ausgeschlossen sein); Keyless-go-Karten außerhalb der Reichweite des Empfängers/Senders aufbewahren; Motorhaube zuvor entriegeln (sonst wird Alarmanlage ausgelöst)
Fahrzeug anheben; 15 s nach dem Verriegeln können die Bremsbeläge erneuert werden
Nach der Bremsbelag-Erneuerung ist die so genannte Belag-Anlege-Routine fällig:
Fahrzeug so weit absenken, dass die Räder noch drehen, Zündschloss oder Start-Stopp-Taste zugänglich sind
Fahrzeug entriegeln
Zündung durch das geöffnete Fenster der Fahrertür einschalten
Zündung wieder ausschalten und fünf Sekunden warten
Zündung einschalten und während der Arbeiten eingeschaltet lassen
hinteres linkes Rad mindestens 3 s zügig und gleichmäßig vorwärts drehen und dann anhalten
innerhalb 1 min nach dem hinteren auch das vordere Rad zügig und gleichmäßig vorwärts drehen, bis es selbsttätig abgebremst wird
Über die ABS-Sensoren erkennt die EHB-Steuerung dies als Aufforderung zum Start der Belag-Anlege-Routine, bestätigt den Vorgang durch dreimaliges Blinken der Bremsleuchten und legt innerhalb von ca. 50 Sekunden mehrfach die Bremsbeläge an die Bremsscheiben. Weitere und abschließende Schritte:
Fahrzeug vollständig absenken
Zündung aus- und einschalten, dann Motor starten
Bremspedal fünf- bis zehnmal betätigen und Probefahrt unternehmen
Zeigt das Display im Kombiinstrument eine Fehlermeldung, muss die Belag-Anlege-Routine wiederholt oder ein Diagnosegerät eingesetzt werden. asp-Leser berichteten, dass die Aufforderung zum Start der Belag-Anlege-Routine nur in zwei von zehn Fällen erkannt wird.
„Die EHB hat keinen Nachfolger mit vergleichbarem technischen Ansatz“, erklärt Stephan Kraus, Sprecher des Zulieferers Bosch. „Aber: Das Wissen rund um das Thema Brake-by-Wire, das bei der Entwicklung der EHB gewonnen wurde, ist nicht verloren. Es floss in die Weiterentwicklung der konventionellen ESP-Systeme ein, insbesondere in den neuen elektromechanischen und damit vakuumfreien Bremskraftverstärker, den wir iBooster nennen. Der iBooster ging Ende vergangenen Jahres in Serie und wird demnächst in mehreren Fahrzeugen eingesetzt.“ Gemeint ist damit wohl u. a. der VW e-up. Daimler-Sprecher Gerd Eßer verweist auf das aktuelle Bremssystem des Herstellers: „Mit der Vorgänger-S-Klasse (Baureihe 221) hat Mercedes-Benz erfolgreich die mechanisch-hydraulische Betriebsbremse Adaptive Brake eingeführt und in alle seitdem neun erschienenen Baureihen übernommen. Die Performance von Adaptive Brake ist der elektrohydraulischen Bremse (SBC) absolut ebenbürtig und das bei weniger Gewicht und deutlich geringeren Kosten.“
Neben Daimler verbaut(e) auch Toyota die EHB, und zwar bei Pkw von Toyota und Lexus. Der Serviceaufwand erscheint hier jedoch deutlich geringer (vgl. Kasten Seite 24). Laut Importeur sind in Deutschland bald 100.000 Toyota und Lexus mit EHB unterwegs. Peter Diehl
▶ Selbsttest der SBC: als mögliche Auslöser kommen mehrere, eigentlich harmlose Tätigkeiten in Frage
EHB bei Toyota und Lexus
Bereits seit Sommer 1997 baut Toyota die EHB in Pkw ein, zunächst bei Toyota, später auch bei Lexus. Diese Typen mit Hybridantrieb sind mit der EHB ausgestattet:
Toyota Yaris Hybrid seit Juni 2012
Toyota Auris Hybrid seit September 2010
Toyota Auris Touring Hybrid seit Juni 2013
Toyota Prius I/II/III seit August 1997
Toyota Prius Plug-in seit Januar 2009
Toyota Prius+ seit Juni 2012
Lexus CT 200h seit August 2010
Lexus IS 300h seit August 2013
Lexus GS 300h/450h seit August 2005
Lexus LS 600h seit Juni 2007
Lexus RX 400h/450h seit Juni 2005
Mit dem Lexus NX wurde bereits der nächste Hybrid-Pkw mit EHB angekündigt. Termin: Sommer 2014. Neben allen Hybridfahrzeugen sind auch folgende konventionell angetriebene Pkw von Toyota und Lexus mit der EHB ausgestattet:
Toyota Land Cruiser 120/150 (seit Januar 2003)
Toyota Land Cruiser V8 (seit August 2002)
Lexus IS (seit 2013)
Lexus GS (seit 2005)
Lexus LS (seit 2006)
Lexus RX (seit 2005)
Die Zahl der diesbezüglichen Neuzulassungen in Deutschland seit 2000 (hiesige Einführung des Toyota Prius I) wird von Dirk Breuer, Technik-Pressesprecher des deutschen Importeurs, auf rund 85.000 Fahrzeuge mit und rund 7.500 Fahrzeuge ohne Hybridantrieb, insgesamt also auf etwa 92.500 Fahrzeuge geschätzt. Auf zwei Fragen von asp antwortete Dirk Breuer wie folgt:
Wie wird systemseitig sichergestellt, dass die EHB bei Service- und Reparaturarbeiten an ihr kein Eigenleben entwickelt?
Die EHB von Toyota und Lexus entwickelt kein wirkliches Eigenleben. Lediglich beim Öffnen der Fahrertür beginnt die Hochdruckpumpe, den Druckvorrat aufzubauen.
Sind während Arbeiten an der EHB Besonderheiten zu beachten?
Die einzige Besonderheit betrifft das Entlüften nach dem Bremsflüssigkeitswechsel. Dann muss mit dem Diagnosetester „GTS-Laptop“ (vormals „Intelligent Tester“) das Motorrelais mehrfach hintereinander aktiviert werden. So wird die zum Entlüften benötigte Bremsflüssigkeits-Mehrmenge im Druckbehälter gespeichert.
▶ Schritte der manuellen Methode: langwierig und aufwändig, aber für manche Betriebe alternativlos
Präzisierung
Im Artikel „Hochnotpeinlich“, erschienen in asp 3/2014, ab Seite 16, wird die Karosseriehöherlegung durch ober- oder unterhalb der Federn einzulegende Aluminiumringe thematisiert. Beim Tuner Hamann GmbH (www.hamann-motorsport.com) in Laupheim legt man Wert auf die Feststellung, dass es sich beim Anbieter dieses Produkts um ein anderes Unternehmen, nämlich um Hamann-Tuning (www.hamann-tuning.de) im rund 25 Kilometer entfernten Illertissen handelt. Wir bitten, diese Präzisierung zu beachten.
- Ausgabe 4/2014 Seite 22 (7.3 MB, PDF)