Die Firma R & R gehört zu den größten freien Kfz-Werkstätten im Münchener Westen. Um das tägliche Arbeitspensum zu schaffen, umfasst die Belegschaft heute 20 fest angestellte Mitarbeiter. Allein sechs Kfz-Meister kümmern sich neben dem Tagesgeschäft auch um die Ausbildung der Lehrlinge. "Wir bilden beinahe in jedem Kfz-Beruf aus", sagt Peter Steger, der Mitgeschäftsführer von R & R ist. "An Bewerbungen für unsere Lehrstellen mangelt es uns deshalb nicht." Doch wenn Peter Steger Bewerbungen liest, muss er leider nur allzu oft erkennen, dass wichtige Qualifikationen oder sogar der passende Schulabschluss fehlen. "Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass solche Jugendlichen eigentlich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben", sagt Peter Steger. Die Gründe, weshalb zum Beispiel ein Schulabschluss fehlt oder ein junger Mensch keinen Platz in der Gesellschaft findet, können sehr vielschichtig sein.
Zweite Chance bieten
Über die eigentliche Eignung, einen Kfz-Beruf auszuüben, sagen sie aber nichts aus. Und Peter Steger weiß, wovon er spricht, denn als er ein junger Mann war, ist sein Vater sehr früh verstorben. Das hat ihn damals völlig aus der Bahn geworfen. Auf die Füße kam er erst wieder durch die intensive Unterstützung seiner Mutter und das Engagement seines damaligen Lehrmeisters. "Während dieser Zeit habe ich gelernt, dass es ohne ein intaktes Elternhaus nur sehr schwierig ist, im Leben Fuß zu fassen." Um seine Erfahrungen weitergeben zu können und jungen Menschen, die so wie er damals völlig aus der Bahn geworfen wurden, eine zweite Chance anzubieten, hat er im Jahr 2004 das Projekt "Starthilfe" bei R & R gegründet. "Im Rahmen dieses Projekts sollten Jugendliche und junge Erwachsene ohne berufliche Qualifikation, die bereits die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben und aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck stammen, die Möglichkeit bekommen, wieder zu arbeiten und zu lernen", erzählt Peter Steger. Natürlich wusste er von Anfang an, dass er diese Aufgabe nicht allein stemmen konnte, und hat sich deshalb an den Kreisjugendring Fürstenfeldbruck (KJR) gewandt, der wiederum mit der Agentur für Arbeit im Landkreis zusammenarbeitet. Die Idee wurde dort sofort begeistert aufgenommen und alle Hebel in Bewegung gesetzt, so dass neben der Vermittlung von Jugendlichen ohne Schulausbildung zunächst auch die nötige Grundfinanzierung gesichert war.
Nachdem das Projekt bereits erfolgreich angelaufen war und sich die ersten Erfolge eingestellt hatten, bekam Peter Steger vom KJR weitere Unterstützung in Form eines ständigen Mitarbeiters. "Das erste Teilziel für die Teilnehmer der 'Starthilfe' heißt zunächst immer den Schulabschluss nachzuholen beziehungsweise zu verbessern, damit der Übergang in Ausbildung oder Arbeit gelingt", sagt Ulrich Gottwald, evangelischer Diakon, ausgebildeter Kfz-Mechatroniker und Verantwortlicher für das Projekt Starthilfe bei R & R. "Im Rahmen der 'Starthilfe' ist es meine Aufgabe, die Jugendlichen auf den externen Schulabschluss an einer öffentlichen Schule vorzubereiten." Parallel dazu werden von Peter Steger und seinen Kollegen bei R & R die handwerklichen Fähigkeiten und Techniken in den verschiedenen Berufsfeldern den Jugendlichen gelehrt.
Durch diese Kombination haben die Jugendlichen die Möglichkeit ihre Fähigkeiten und Talente zu entdecken und zielgerichtet auf Betriebspraktika und auf ihren Ausbildungswunsch hin auszurichten. Im Gegenzug bekommt der spätere Ausbildungsbetrieb eine/n Praktikanten/in beziehungsweise Lehrling, der/die bereits handwerkliche Grundkenntnisse besitzt und über die erste Schnupperphase hinaus ist.
Das haben mittlerweile auch einige Firmen im Landkreis Fürstenfeldbruck erkannt und bieten den Jugendlichen nach Durchlaufen der "Starthilfe" Lehrverträge an. Hierzu Ulrich Gottwald: "Als Träger des Projekts 'Starthilfe' übernimmt der Kreisjugendring Fürstenfeldbruck die pädagogische Betreuung, die Konzeption, die Verwaltung, Versicherung und Evaluation des Projekts. Die Firma R & R Fahrzeugtechnik GmbH bringt hingegen ihr technisches Wissen sowie die gesamte Infrastruktur ein. Nach Durchlaufen des zehnmonatigen Starthilfe-Programms, das jedes Jahr vom 1. Oktober bis 31. Juli läuft und von der "Arbeitsgemeinschaft Grundsicherung Fürstenfeldbruck' finanziert wird, sind die Jugendlichen wieder soweit gefestigt, dass sie mit ihrer Lehre bei einem Betrieb oder bei uns beginnen können."
Falls es während der Lehre dennoch zu Problemen kommen sollte, können die Jugendlichen bis zu ihrem Berufsabschluss mit der Hilfe von Peter Steger, Ulrich Gottwald und auch den ehemaligen Teilnehmern der Starthilfe rechnen - denn Zusammenhalt wird bei den Absolventen des Starthilfe-Projekts großgeschrieben. Hierfür sprechen auch die Zahlen: Beinahe einhundert Prozent Erfolgsquote bei den nachgeholten Schulabschlüssen und annähernd achtzig Prozent bei den erfolgreich abgeschlossenen Lehren zeigen, wie erfolgreich das Konzept ist.
Rennspaß inklusive
Trotzdem arbeitet Peter Steger zusammen mit Ulrich Gottwald ständig daran, die Erfolgsquote weiter zu erhöhen. Um die Ziele der Maßnahme, Werkstattpraxis, theoretische Ausbildung und Betriebspraktika für die Jugendlichen noch interessanter zu gestalten und deren Motivation weiter zu steigern, haben die beiden im Rahmen der "Starthilfe" 2008 auch das so genannte "Race-Project" ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein Rennteam, das ausschließlich von den Jugendlichen des Starthilfe-Projekts getragen wird. "Anfangs haben wir uns in der Pro Thunder Klasse mit zwei BMW R1200S Boxer-Motorrädern engagiert", so Peter Steger. "Seit 2011 sind wir im Enduro-Langstrecken-Sport mit Motorrädern von Husqvarna aktiv. Mit Hilfe unserer Sponsoren, wie Berner, BMW Motorrad, Butzner Reifenhandel, Endurobunker, GoPro, K2, Keine Macht den Drogen e.V., Liqui Moly ( siehe Kasten) und Parts Europe, die das 'Race Project' zu hundert Prozent finanzieren und natürlich dem Engagement unserer Jugendlichen aus dem 'Starthilfe-Projekt', gelingt es uns stets, ganz vorne mitzufahren." Eine besondere Herausforderung für die Jugendlichen ist dabei der hohe zeitliche Druck, der nur mit vollem Teamgeist zu bewältigen ist. "Wer zum Beispiel das 24-Stunden-Rennen von Langensteinbach im Team durchsteht, der schöpft hieraus genug Selbstbewusstsein, auch sein Leben wieder voll in die Hand zu nehmen", weiß Ulrich Gottwald zu berichten.
Mit dem "Starthilfe"-Projekt haben der Kreisjugendring Fürstenfeldbruck, die Sponsoren und die Firma R & R gute Erfahrungen gemacht und beachtliche Erfolge erzielt. Jugendliche, die über zehn Monate einen Vollzeitlehrgang besuchen, von 8 bis 17 Uhr arbeiten, um einen Ausbildungsplatz zu finden und lernen, um einen Schulabschluss zu erreichen, sind motiviert und haben eine zweite Chance verdient. Diese Chance sollte ihnen auch gegeben werden.
Exklusiv im asp ePaper: Interview mit Starthilfe-Absolvent Darsej Sehu.
Kurzfassung
Viele Jugendliche haben keinen Schulabschluss, geraten auf die schiefe Bahn oder finden nicht den Einstieg in das Berufsleben. Um hier zu helfen, ist neben der Hilfe des Staates auch soziales Engagement von Seiten der Unternehmen und Betriebe notwendig. Dass sich dieses Engagement in jeder Hinsicht auszahlt, zeigt das "Starthilfe"-Projekt der Firma R & R aus Überacker bei München.
Kommentar
Peter Baumann, Marketingleiter Liqui Moly GmbH zum Firmenengagement für die Starthilfe und das Race-Projekt:"Es gibt eine grundsätzliche Verbindung zwischen R & R-Fahrzeugtechnik und Liqui Moly: Das ist die Jugend, die beiden Unternehmen sehr am Herzen liegt und für die sie Ausbildungsplätze schaffen. Leider gibt es Jugendliche, die gerne eine Lehre beginnen möchten, denen aber das schulische und soziale Rüstzeug fehlt. Genau dort setzt R & R in vorbildlicher Weise mit der 'Starthilfe' und dem 'Race-Projekt' an, um die Heranwachsenden an die Themen Schulabschluss und Ausbildung heranzuführen mit einer tollen Erfolgsquote. Das zeigt auf sehr beeindruckende Weise, dass nicht nur große Firmen und Konzerne Verantwortung übernehmen können, sondern jeder Betrieb im Rahmen seiner Möglichkeiten. Und diesen Rahmen kann man durch Kooperationen erweitern. Deshalb ist Liqui Moly Partner der 'Starthilfe' und des 'Race-Projektes'."
- Ausgabe 07/08/2016 Seite 54 (186.6 KB, PDF)