Kurzfassung
Auf der 17. Fachkonferenz Lithiumbatterien unserer Schwesterzeitschrift Gefahrgut beleuchtete Carsten Reinkemeyer vom Allianz Zentrum für Technik die Kostenentwicklung bei verunfallten E-Autos.
Aktuell werden die Werkstattkosten für E-Fahrzeuge heiß diskutiert. Erste Markenbetriebe haben ihre Stundenlöhne für Reparaturen an voll- oder teilelektrischen Fahrzeugen deutlich erhöht und begründen dies mit den Kosten für Ausbildung und Equipment. Doch schon bevor ein E-Fahrzeug im Falle eines Unfalls in die Werkstatt kommt, lauern enorme Kosten auf den Halter, wie Carsten Reinkemeyer vom Allianz Zentrum für Technik (AZT) in seinem Vortrag auf der 17. Fachkonferenz rund um Lithium-Ionen-Batterien schilderte. Zunächst ging er jedoch darauf ein, wie die Versicherungswirtschaft das Risiko bei elektrifizierten Autos bestimmt. "Risiko bedeutet für uns nicht Gefahr, sondern ist ein Terminus technicus, ein Parameter, den wir berechnen können. Datengrundlage sind die jährlichen Schadenerfahrungen aus der Versicherungswirtschaft", so Reinkemeyer zu Beginn seines Vortrags. Der Schadenbedarf aus Schadenhäufigkeit und -durchschnitt bezogen auf den Marktdurchschnitt ergibt die Typklasse. "In Vollkasko entsteht der Großteil, ca. 75 Prozent der Schäden, aus Kollisionen. Andere Schadenarten wie Brände oder Totaldiebstahl lassen sich schlecht prognostizieren, nur messen", sagt Reinkemeyer. Die Einstufung für Fahrzeuge, die bereits am Markt sind, erfolgt retrospektiv. "Wir brauchen für Modelle, die neu auf den Markt kommen, aber auch vorausschauende Erkenntnisse und führen dazu Crash-Tests durch", erklärt er.- Ausgabe 4/2024 Seite 030 (538.7 KB, PDF)
Kein auffälliges Risiko
An den Daten aus der Versicherungswirtschaft zeigt sich, dass der Großteil der Kollisionen im niedrigen Kostenbereich bei Geschwindigkeiten bis 20 km/h stattfindet. "Damit sind 95 Prozent der Fälle erledigt. Das zeigt aber auch, dass wir nur über einen sehr kleinen Teil an schwer beschädigten E-Fahrzeugen reden", so Reinkemeyer. Aber auch so lassen sich bestimmte Schadenarten wie Diebstahl oder Brände nicht vorhersehen. Doch welche Rolle spielen Brände bei elektrischen Fahrzeugen überhaupt? Durch die Berichterstattung in den Medien entstand der Eindruck, dass das Brandrisiko bei E-Fahrzeugen besonders hoch sei. Das kann Reinkemeyer nicht bestätigen: "Wir haben aktuell gerade mal eine niedrige dreistellige Zahl an BEV-Bränden erreicht. Das Risiko eines BEV-Brandes liegt deutlich bis sehr deutlich unter dem Durchschnitt." Damit ist es statistisch sogar geringer als bei Benzinern. Die Plug-in-Hybride haben laut Reinkemeyer derzeit ein schwankendes statistisches Brandrisiko etwa in der Größenordnung von Dieselfahrzeugen. Für eine solide statistische Absicherung sei die Zahl der Brandschäden jedoch noch zu gering.
Frühere Schadenerfahrungen
Probleme gab es bei Brandfällen vor allem in der Schadenabwicklung. "Die Hersteller haben funktionierende Prozesse, doch die enden in der Werkstatt. Aber was ist zu tun, wenn das Fahrzeug beim Abschleppdienst steht? Es gab eine Lücke im Schadenprozess zwischen Unfallort und Werkstatt", so Reinkemeyer. Der Punkt war, dass bei einem schwer beschädigten E-Fahrzeug keine Eigensicherheit mehr feststellbar ist. Da die DGUV 200-005, die bis Juli 2021 gültig war, sich jedoch auf die 2S-Fachkraft beschränkte, die nicht die Befugnis zur Arbeit unter Spannung hat, musste der Hersteller eingeschaltet werden, um eine Batterie ausbauen zu können. Weitere Probleme ergaben sich aus neuen Kostenarten. Reinkemeyer schildert den Fall eines verunfallten und ausgebrannten Audi e-Tron, bei dem für Spezialfahrzeuge, Lagerung im Container, Entsorgung des Wassers etc. Gesamtkosten in Höhe von 27 Prozent des Wiederbeschaffungswerts entstanden. Mittlerweile verfügen viele Werkstätten über eine 3S-Fachkraft, die die Freischaltung vornehmen kann.
Unternehmen hatten in der Vergangenheit teils abstruse Rechnungen konstruiert
Obwohl es mit der Schadensminderungspflicht eine klare Regelung gibt, um die Kosten möglichst niedrig zu halten, haben in der Vergangenheit Unternehmen teilweise abstruse Rechnungen konstruiert. Da wurden Fahrzeuge im gefluteten Container gelagert, obwohl keine Kenntnisse über den Batteriezustand vorlagen, nur um sie anschließend noch mal 24 Tage im Quarantäne-Container zu lagern. Oder die Verbringung eines PHEV vom Quarantäneplatz zur technischen Untersuchung und Akku-Ausbau. In der Rechnung tauchten Posten auf wie Rettungssanitäter, Vorbesprechung und Spezialcontainer, obwohl der Akku schon ausgebaut war. In beiden Fällen wiesen die Rechnungen einen fünfstelligen Betrag aus.
Auch die Werkstätten beginnen offenbar, ihre unternehmerische Freiheit zur kreativen Preisgestaltung zu nutzen, und verlangen teilweise stark erhöhte Stundensätze für Arbeiten an E-Fahrzeugen. "Es wird mit höheren Aufwänden argumentiert, das steht dem Unternehmer frei, wir haben keinerlei Handhabe. Laut unseren Juristen ist es sittenwidrig, wenn gegenüber ortsüblichen Preisen das Doppelte verlangt wird. Bis dahin müssen wir zahlen", so Reinkemeyer. Aus seiner Sicht kann das nicht auf Dauer gut gehen: "Die Unternehmen schießen ihr Geschäftsmodell selbst ab, weil bei diesen Preisen nicht genug E-Fahrzeuge auf den Markt kommen. Wenn diese Kosten weiter so nicht angemessen gesteigert werden, werden über das Typklassensystem die höheren Kosten am Markt sozialisiert. Jemand bereichert sich dann auf Kosten der Versicherten-Gemeinschaft", so Reinkemeyer zum Abschluss seines Vortrags.
Fragen an ...
asp: Lohnt es sich für freie Werkstätten, sich auf Unfall-Reparaturen an E-Fahrzeugen vorzubereiten?
Carsten Reinkemeyer: Es lohnt sich auf jeden Fall, denn zum einen nimmt der Bestand der HV-Fahrzeuge kontinuierlich zu. Zum anderen werden auch die Halter dieser Autos mit zunehmendem Alter der Tendenz zur markenunabhängigen Werkstatt folgen wollen. Wer dann spezifische Qualifikationen bieten kann, hat es im Wettbewerb leichter und kann Vertrauen bei den Kunden schaffen.
asp: Wohin kann sich eine freie Werkstatt wenden, wenn sie im Zweifel ist, ob sie ein verunfalltes E-Auto in die Werkstatt nehmen soll?
C. Reinkemeyer: Für die gängigen E-Fahrzeuge gibt es Werkstatt-Informationen genauso wie für konventionelle Fahrzeuge. Darin sind Prüfkriterien für die Beurteilung einer HV-Anlage zu finden. Generische Kriterien für die Beurteilung kritischer Batterien sind auch in der DGUV 21551 "Hinweise für die Brandbekämpfung von Lithium-Ionen-Akkus bei Fahrzeugbränden" beschrieben. Um diese Beurteilung vornehmen zu können bzw. um die HV-Anlage im Bedarfsfall freischalten zu können, ist eine Fachkraft der Qualifikationsstufe 2S nach DGUV erforderlich. Stellt sich heraus, dass Schäden so schwer sind, dass kein sicherer Zustand mehr hergestellt werden kann, ist eine höhere Qualifikation der Stufe 3S erforderlich, um zum Beispiel den Akku vom Bordnetz zu trennen.
C. Reinkemeyer: Im Allgemeinen ist die Batterie bei Unfällen sehr gut geschützt und wird nach unserer Schadenerfahrung nur in sehr seltenen Fällen betroffen sein. Für die Risiko-Eindämmung bei schwer beschädigten Fahrzeugen, bei denen die Batterie thermisch oder mechanisch deutlich belastet wurde, hat der VDA einen Leitfaden für Quarantäne-Plätze herausgebracht. Die Anschaffung teurer Sonderlösungen wie Lösch-Container werden von den DGUV ausdrücklich nicht empfohlen. Einfache Lösungen wie Temperaturkontrollen der Batterie mit zum Beispiel Wärmebildkameras während der ersten Stunden nach einem Ereignis geben sehr schnell Aufschluss, ob die Batterie mit steigenden Temperaturen eine kritische Entwicklung anzeigt.