Ostfalia – Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Serviceversteher
After-Sales führte lange Zeit ein Nischendasein. Komplexere Fahrzeugtechnik bringt einen Bedeutungszuwachs. Die benötigten Fachkräfte kommen auch aus Niedersachsen.
Inmitten des Gesprächs mit Vertretern des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik in Wolfsburg, Fachbereich Service, wummert plötzlich ein Basslauf durch das Gebäude. Die Unterhaltung mit den Ausbildungsvertretern stört sie nur kurz. Es ist Freitagnachmittag und in der benachbarten Diskothek „Esplanade“ stimmt man sich schon einmal auf den Partyabend ein. Auch einige Studenten der hiesigen Ostfalia – Hochschule für Angewandte Wissenschaften werden am Abend wieder unter den Tanzenden sein. „Das ist auch ein Pluspunkt des Studiums in Wolfsburg“, erklärt der Lehrstuhlinhaber Norbert Grawunder schmunzelnd. Natürlich nicht der einzige. Ein weiterer, und das ergibt sich schon aus der räumlichen Nähe, ist die Kooperation mit der Volkswagen AG. Mit Unterstützung des Unternehmensbereichs Volkswagen After-Sales, dem auch Norbert Grawunder zwölf Jahre angehörte, rief das Bildungsinstitut im Juli 2008 den Studiengang „Servicetechnik und -prozesse“ ins Leben. Und auch für den Lehrbetrieb sowie bei den Drittmitteln ist der Autobauer immens wichtig: Zahlreiche Vorlesungen und Seminare, wie beispielsweise Servicetechnik und Diagnose und Global Service Training, werden von VW-Mitarbeitern gehalten. Wolfsburg gehört mit Esslingen (vgl. asp 9/2007) und Zwickau zu den drei deutschen Standorten, in denen Servicefachleute akademisch ausgebildet werden. Sehr gut qualifizierte Fachkräfte mit Hochschulabschluss stehen in der Automobilwirtschaft hoch im Kurs – auch und gerade im (noch) vergleichsweise stiefmütterlich behandelten After-Sales-Sektor. Besonders begehrt sind Kfz-Profis aus der Praxis. Eine große Chance für Serviceprofis des Kfz-Gewerbes, wie Grawunder bestätigt: Mit dem Kfz-Meisterbrief ist das Ende der Karriereleiter noch nicht zwangsläufig erreicht. In vielen Bundesländern diene der erfolgreiche Abschluss einer Meisterschule aktuell als eine mögliche Zugangsvoraussetzung für ein Studium. Künftig in allen: Die Kultusministerkonferenz hat sich auf eine entsprechende Qualifizierungsinitiative geeinigt (Näheres siehe Kasten). Diese müsse noch in einzelnen Ländern umgesetzt werden, was nach und nach geschehe, hieß es aus Bonn.
Internationale Ausrichtung
Zum Wintersemester 2009/2010 starteten der neue Bachelorstudiengang „Service-technik und Prozesse“ (sieben Semester) und der gebührenpflichtige Masterstudiengang „Automotive Service Technology and Processes“ (drei Semester zusätzlich). Schwerpunkte beim „Bachelor of Engineering“ umfassen Fahrzeugelektronik, Diagnosetechnik und ähnliche, insbesondere technische Grundlagen. Der Master gliedert sich in die Themenblöcke Management, Technik und Qualität sowie Servicemarketing. Diese Zusatzqualifikation ist den besten eines Bachelor-Jahrgangs vorbehalten. Der Titel des Masterstudiengangs deutet es schon an: „Master of Engineering“ wird in Wolfsburg nur, wer die englische Sprache beherrscht. Im Gegenzug winken den Absolventen internationale Perspektiven. Sie profitieren dabei ebenfalls von den guten Beziehungen der Hochschule zur Wirtschaft. Und diese beschränken sich nicht auf den Nachbar Volkswagen, wie Grawunder betont. Bereits im Studium profitieren die Studenten von den guten Kontakten. Im Praxissemester und bei Abschlussarbeiten strecken die Studenten ihre Fühler in Richtung kooperierender Unternehmen aus. Das ist keine Einbahnstraße, auch die Wirtschaft möchte die künftigen Service-Experten kennenlernen. Diese Kooperation kann in vielerlei Hinsicht den Horizont der angehenden Ingenieure erweitern: Fachlich, beruflich, aber auch geografisch und kulturell. Schließlich haben Studierende, die mit einem Auslandsaufenthalt liebäugeln, hervorragende Chancen: Die Partner stellen Praktikumsplätze an ausländischen Standorten zur Verfügung. Auch im Rahmen des Praxissemesters oder der Abschlussarbeit können Studenten Einblicke in andere Märkte wagen. Wer befürchtet, im Rahmen eines Arbeitsaufenthalts zu wenig vom Gastland mitzubekommen, für den bietet sich ein Auslandssemester an. Die Rahmenbedingungen dafür sind gegeben: Den Angaben von Maren Görg, Norbert Grawunder und Lars Schweiger zufolge bestehen enge Verbindungen zu ausländischen Fakultäten, etwa zur Tongji Universität in Shanghai, nach Polen (Poznan), Südafrika (Nelson Mandela Metropolitan Universität in Port Elizabeth), den USA sowie Mexiko.
Abschließend noch einige Zahlen zum Wolfsburger Standort: Im Wintersemester 2008/2009 studierten dort über 2.300 Studenten der Fachrichtungen Gesundheitswesen, Wirtschaft und Fahrzeugtechnik. Letzterer besteht seit dem Jahr 1995 und umfasst aktuell rund 1.100 Studenten. Die Fakultät gliedert sich in die drei Bereiche Automobiltechnik (u.a. Servicetechnik und -prozesse), Fahrzeuginformatik und -elektronik sowie Fahrzeugleichtbau und Kunststoffe. Der Bereich Servicetechnik und Serviceprozesse bezieht im Februar 2011 neue Räumlichkeiten. Durch den Umzug verlängert sich allerdings der Weg von den fachlichen Praxiseinheiten zum Feierabend im „Esplanade“.
Martin Schachtner
Chancen für Kfz-Profis
Erfahrung qualifiziert
In technologielastigen Branchen, zu denen die Automobilindustrie ohne Zweifel gehört, gewinnt das After-Sales-Geschäft zunehmend an Bedeutung. Serviceleistungen und Ersatzteilversorgung sind in steigendem Maße Erfolgsfaktoren. Denn wer mit intelligenten Serviceangeboten Kunden langfristig binden kann, steigert Umsatz und Gewinn auch dann nachhaltig, wenn das eigentliche Produktgeschäft eine Schwächephase durchlebt. Eine Differenzierung zu Wettbewerbern über das reine Kernprodukt sei schwer und auch nur für vergleichsweise kurze Zeit zu erreichen, wie die Autoren Karim Barkawi, Andreas Baader und Sven Montanus in ihrem Fachbuch „Erfolgreich mit After-Sales-Services. Geschäftsstrategien für Servicemanagement und Ersatzteillogistik“ schreiben. Im Servicebereich führende Industrieunternehmen generierten bereits heute 20 bis 30 Prozent ihres Umsatzes mit Diensten und Ersatzteilen, heißt es dort. Geeignete Fachkräfte für diesen Bereich finden sich im Kfz-Gewerbe. In Werkstätten und Autohäusern von Flensburg bis Garmisch ist das personengebundene Praxiswissen zuhauf vorhanden. Diesen Schatz zu heben und weiter zu qualifizieren hat sich die Kultusministerkonferenz zum Ziel gesetzt und im vergangenen Jahr die Weichen dafür gestellt: Auf der Kultusministerkonferenz im März ist der „Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“ vereinheitlicht und vereinfacht worden. Meister, Fachwirte und Techniker erhalten damit erstmals ohne weitere Eignungsprüfung eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung, Facharbeiter nach dreijähriger Berufserfahrung eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung. Aktuell liege die Zahl der Erstsemester mit beruflicher Qualifikation bei 3.000 Studierenden, heißt es in der Studie „Zukunftsfähig durch Bildung. Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland“, der Robert-Bosch-Stiftung.
- Ausgabe 3/2010 Seite 67 (689.1 KB, PDF)