asp: Fokus der neuen Studie ist die digitale Kommunikation mit dem Kunden. Was ist die Zielsetzung?
Kristina Neff: Ziel unserer Studie ist Potenzial aufzudecken und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die für Händler und Hersteller aus der digitalen Kommunikation mit dem Kunden erwachsen können. In der Studie beleuchten wir dazu zunächst den Status quo und betrachten anschließend folgende Felder intensiver: Informationsgewinnung, verbindliche Preisauskünfte, Terminbuchung und die Möglichkeit, Teile und Zubehör zu erwerben. Der Aftersales, dazu zählt zum Beispiel eine fällige Inspektion, ist für den Kunden leider meist ein "notwendiges Übel". Er bringt sein Fahrzeug in die Werkstatt und bei Abholung ist in der Regel - bis auf eine etwaige Reinigung - kein sichtbarer Unterschied zu erkennen. Ein Ölwechsel mit neuem Ölfilter beispielsweise ist für den Kunden auf den ersten Blick nicht "erlebbar". Was er aber sehr wohl erlebt, sind die Rechnung und der notwendige Stempel für den Garantieerhalt. Ein positives Kundenerlebnis kann daraus werden, wenn sowohl die Geschäftsanbahnung als auch die Abwicklung für den Kunden mithilfe von digitalen Touchpoints so angenehm wie möglich gestaltet wird.
asp: Wie beurteilen Sie den Stand der Digitalisierung im Handel und bei den OEMs?
K. Neff: Im Bereich des Fahrzeugvertriebs hat sich in den letzten Jahren viel getan und der Kunde erhält über digitale Touchpoints nicht nur Informationen, sondern kann teilweise sogar den kompletten Kaufprozess, inklusive möglicher Finanzierungen, digital abwickeln. Hier kommen beispielsweise bereits virtuelle Showrooms und Videoberatung zum Einsatz. Beschleunigt durch die Corona-Pandemie hat der Aftersales in diesem Jahr bereits aufgeholt. Trotzdem bleibt die Digitalisierung im Aftersales eindeutig hinter ihren Möglichkeiten. Nach wie vor bekommt der Kunde nur eingeschränkte Informationen zum Angebotsspektrum im Aftersales - und bei verbindlichen Preisauskünften wird es noch schwieriger. Von einem digitalen Kaufabschluss für Standardleistungen, wie zum Beispiel einem Räderwechsel ist der Handel derzeit noch weit entfernt.
asp: Welche Rolle spielen die digitalen Touchpoints als Kontaktpunkte für den Kunden - neben den analogen?
K. Neff: Die digitalen Touchpoints, wie Websites, Social Media, App oder auch Connected Car, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Covid-19 hat diese Entwicklung nun mit Macht vorangetrieben. Der Kunde ist es aus anderen Bereichen gewohnt, Produkte und Leistungen einfach und schnell online zu erwerben. Dabei bleibt der "Offline"-Kontakt bei Werkstattleistungen natürlich weiterhin unerlässlich, vor allem wenn es um mechanische Reparaturen geht. Der persönliche Kontakt und das daraus resultierende Vertrauensverhältnis zum Händler sind für viele Kunden weiterhin entscheidend. Es gilt also, eine bessere Verzahnung zwischen "offline" beim Händler und "online" über die digitalen Touchpoints zu erreichen. Dann können die jeweiligen Stärken von "offline" und "online" vom Handel vollumfänglich genutzt werden.
asp: In welcher Form wüscht sich der Kunde, mit dem Händler in Kontakt zu treten?
K. Neff: Aufgrund des fehlenden Angebots findet die Kontaktaufnahme durch den Kunden heute im Großteil der Fälle noch telefonisch oder persönlich vor Ort statt. Bedingt durch den steigenden Kostendruck konnten diese Arten der Kontaktaufnahme für den Kunden in den letzten Jahren jedoch nicht wesentlich verbessert werden: lange Wartezeiten in der Telefonschleife, eine gestresste Serviceassistenz oder ein Callcenter, welches seine Fragen nicht zufriedenstellend beantworten kann, prägen leider oft das Kundenerlebnis.
Falls der Kunde doch digital den Kontakt mit dem Händler sucht, dann erfolgt das bisher meist über den aktuell noch wichtigsten und bekanntesten Touchpoint, die Website. Oftmals über standardisierte Kontaktformulare - die Fragen oder Anliegen des Kunden werden also ebenfalls erst im Nachgang beantwortet. Von "Instant Gratification" - der für viele vor allem junge Kunden inzwischen gewohnten sofortigen Bearbeitung ihrer Anliegen - ist man da weit entfernt.
Wünschenswert wäre es daher, die Möglichkeiten der digitalen Kontaktaufnahme - über die Website, aber auch über andere digitale Touchpoints wie die App oder Connected Car - weiter auszubauen.
asp: Was sind derzeit die wichtigsten digitalen Kontaktpunkte?
K. Neff: Für die Händler eindeutig die Website. Das liegt vor allem daran, dass dort die meisten Informationen vorliegen und sie der am häufigsten genutzte Touchpoint ist. Wir haben festgestellt, dass Apps generell viele registrierte Nutzer aufweisen, die Nutzung im Bereich Aftersales aber niedrig ist. Dies liegt aus Sicht der Kunden daran, dass die Apps bis jetzt wenig Mehrwert bieten. Aus anderen Branchen sind sie es aber längst gewöhnt, Dienstleistungen komplett per App abwickeln zu können. Hier gilt es nachzubessern und den Kunden eine vollumfängliche Betreuung per App zu ermöglichen. Große Potenziale sehen wir auch in den Connected-Car-Funktionen über das Infotainmentsystem im Fahrzeug. Sie spielen aktuell im Aftersales immer noch eine untergeordnete Rolle - und das, obwohl sie einen so exklusiven Zugang zum Kunden bieten wie sonst nur das Smartphone. Social Media ist weit verbreitet, aber auch dort gibt es bisher nur wenige Aftersales-Inhalte.
asp: Die Hersteller konzentrieren sich derzeit vor allem auf Apps für das Smartphone. Ist das der richtige Weg?
K. Neff: Die App bietet unserer Meinung nach sehr großes Potenzial sowohl für den Hersteller - als auch für den Handel. Dabei ist entscheidend, dass alle Daten in einer App gebündelt sind und der Kunde nur diese eine App benötigt. Aus Sicht des Kunden wäre es natürlich am bequemsten, wenn die App auch andere Angebote rund um das Thema Mobilität mitabdeckt. Im Aftersales könnte die App in einem ersten Schritt vor allem bei der Buchung von Werkstattterminen und Werkstattleistungen ihre Stärke ausspielen.
asp: Bisher geht es vor allem um die Informationsvermittlung und Serviceterminvereinbarung. Ist es das, was der Kunde erwartet? Wird der Prozess der Kaufentscheidung abgedeckt?
K. Neff: In der Studie haben wir den digitalen Kaufentscheidungsprozess im Aftersales gezielt untersucht. Dabei geht es zunächst natürlich um Informationsgewinnung und anschließend meist auch um eine Terminvereinbarung. Eine Online-Terminvereinbarung, in der dem Kunden in Echtzeit freie Termine angezeigt werden, ist leider noch nicht immer Standard. Häufig ist der Kunde gezwungen, den Termin per Formular mit einem Wunschdatum anzufragen. Die tatsächliche Terminvereinbarung findet dann nach wie vor telefonisch statt. Der Kaufentscheidungsprozess ist bereits vollständig digital möglich. Warum nicht der gesamte Serviceprozess? Von der kontaktlosen Annahme über die Auftragserweiterung per Video und die Statusverfolgung des Fahrzeugs in der Werkstatt bis hin zur Möglichkeit einer kontaktlosen Bezahlung.
asp: In welche Richtung müssten die Apps weiterentwickelt werden?
K. Neff: Die Basis bildet - wie bei allen Touchpoints - das Verfügbarmachen aller relevanten Daten, fahrzeugbezogener wie fahrtbezogener. Auch die Kundendaten sollten in der App hinterlegt und bearbeitbar sein. Ziel muss sein, dass der Kunde sowohl die Terminvereinbarung als auch den Kauf einer Serviceleistung nahtlos abwickeln kann, ohne die App zu verlassen. Stellen Sie sich Folgendes vor: Der Kunde wird per Push-Meldung informiert, dass zum Beispiel der Ölwechsel bei seinem Fahrzeug fällig ist. Daraufhin öffnet er die App und der Ölwechsel ist bereits in seinem Warenkorb. Er bekommt passende Zusatzangebote vorgeschlagen und kann diese ebenfalls in den Warenkorb legen. Es wird ihm - dank einer Verbindung zu seinem Kalender - ein passender Termin für die Ausführung vorgeschlagen. Im nächsten Schritt wird ihm eine individuelle Ersatzmobilität angeboten, die sich an seinen Vorlieben und früheren Buchungen orientiert.
asp: Welche Aftersales-Leistungen könnten künftig digital verkauft werden?
K. Neff: Zukünftig wird konkret das Zubuchen von Leistungen, wie beispielsweise besseres Licht, an Bedeutung gewinnen. Des Weiteren sehen wir großes Potenzial bei Standard-Werkstattleistungen. Der Kunde sollte für einen Räderwechsel nicht nur digital einen Termin finden, sondern diesen auch verbindlich buchen und kaufen können. Die verbindliche Buchung von Standardleistungen kann dem Handel einen Mehrwert bieten. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: In der Räderwechselzeit kann so die Kundenzufriedenheit erhöht werden, da der Kunde keine Telefonwartezeiten hat. Gleichzeitig entlastet die Verlagerung ins digitale Callcenter und Serviceassistenz beziehungsweise entzerrt die Bearbeitung der Anfragen zumindest.
Interview: Ralph M. Meunzel
Die Studie
Für die Studie wurden über die Puls Marktforschung 500 Endkunden - davon 250 Geschäftswagen- und 250 Privatwagenfahrer - befragt. Um die Sicht der Händler darzustellen, wurden gemeinsam mit AUTOHAUS zwei Panelumfragen über die heutige Nutzung der digitalen Kanäle durchgeführt. Dabei wurde auch nach ihren Plänen zur weiteren strategischen Ausrichtung der digitalen Touchpoints gefragt. Anschließend wurden die Ergebnisse durch Experteninterviews ergänzt. Die Auswertung erfolgte durch NTT-DATA-eigene Berater mit langjähriger Erfahrung in der Digitalisierung im Automobilbereich.
- Ausgabe 12/2020 S.44 (89.6 KB, PDF)