Kurzfassung
Die stationäre Hauptuntersuchung wird bleiben. Sie wird aber um neue Prüfinhalte ergänzt werden, beispielsweise um die Sensorik und Kameras für Fahrerassistenz-Systeme oder die Sicherheit von E-Autos zu überprüfen.
asp: Die Fahrzeugtechnik hat sich in den letzten Jahren schnell weiterentwickelt. Wie wird dies die Inhalte der Hauptuntersuchung verändern?
Jürgen Wolz: Die permanente Anpassung der Prüfinhalte an den technologischen Fortschritt ist für uns nichts Neues. Zusammen mit den anderen Prüforganisationen arbeiten wir in den entsprechenden Gremien an den künftigen Inhalten der Hauptuntersuchung (HU) - derzeit unter anderem bei den Themen Elektromobilität, automatisiertes Fahren und Over-the-Air-Updates. Es geht darum, eine Antwort darauf zu finden, wie wir Schritt halten können mit der deutlich gestiegenen Geschwindigkeit bei der Entwicklung der Technologie und dem Wandel der Mobilität. Beispiel E-Mobilität: Hier wird es sicher neue Prüfinhalte für die HU ergeben, die über die heute übliche Sichtprüfung gewisser Bauteile hinausgeht.
asp: Auch Updates Over-the-Air sind ja heute schon durchaus Realität...
J. Wolz: Bei Over-the-Air-Updates, die teilweise auch sicherheitsrelevante Funktionen betreffen, sind wir bereits in der Diskussion, wie dies im Rahmen der periodischen Prüfung überprüft werden kann. Manche Beobachter prophezeien, dass es in einigen Jahren gar keine periodische Prüfung mit festgeschriebenen Prüfintervallen mehr geben wird und stattdessen eine permanente "Remote-Überwachung" stattfindet. Wir gehen aber davon aus, dass die PTI als periodischer Termin auch künftig Bestand haben wird. Zum einen ist der Fahrzeugbestand herkömmlicher Fahrzeuge nach wie vor relevant, und es gibt auch Prüfinhalte, die sich eben nicht über Sensoren überwachen lassen. In der Vergangenheit hat sich darüber hinaus gezeigt, dass die Überprüfung durch einen neutralen Dritten nach wie vor sinnvoll ist.
Was wir diskutieren, sind Ergänzungen zum regelmäßigen HU-Termin. Deshalb ist das Thema Datenzugang auch so relevant für uns. Es muss möglich sein, dass wir im Zuge einer Hauptuntersuchung die Historie aller Updates nachvollziehen können. Den diskriminierungsfreien Zugang benötigen wir auch, um elektronische Komponenten und Fahrerassistenz-Systeme prüfen zu können, wo wir heute nur begrenzte Ressourcen haben.
asp: Wie sieht die HU bei Elektrofahrzeugen künftig aus?
J. Wolz: Ein wesentlicher Faktor bei E-Fahrzeugen ist die Batterie als zentrales und auch sicherheitsrelevantes Bauteil. Wir möchten im Zuge der HU Aussagen zum Zustand der Batterie treffen können. Die Bestimmung des "State of Health" ist heute im Rahmen der HU noch nicht möglich.
asp: Eine kürzlich vom TÜV-Verband veröffentlichte Untersuchung der HU-Ergebnisse bei E-Fahrzeugen zeigte spezifische Mängel.
J. Wolz: Aufgrund der immer noch zu geringen Prüfzahlen von E-Mobilen haben wir darauf verzichtet, die Ergebnisse schon in den TÜV-Report aufzunehmen. Aber tendenziell kann man erste Aussagen treffen, und da zeigt sich, dass die Bremsen verstärkt Mängel zeigen. Aufgrund der Rekuperation beim elektrischen Antrieb muss seltener gebremst werden, was die Korrosionsanfälligkeit erhöht. Nicht umsonst sehen wir ein Revival der Trommelbremse beim E-Fahrzeug. Eine andere Auffälligkeit zeigte sich bei Radaufhängung und anderen Fahrwerkskomponenten. Hier wirkt sich das höhere Gewicht der elektrifizierten Fahrzeuge aus. Auch die veränderte Fahrdynamik beim E-Auto mag hier eine Rolle spielen.
asp: In den Autos werden immer mehr Fahrerassistenz-Systeme wirksam - wird die Überprüfung der Sensoren und Kameras Bestandteil der HU?
J. Wolz: Auch da machen wir uns gemeinsam mit den anderen Überwachungs-Organisationen und mit der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH Gedanken, wie die Funktionalität im Rahmen der HU geprüft werden kann. Hier sind verschiedene Ansätze derzeit in der Diskussion, unter anderem untersucht die FSD die Prüfung mit speziellen Targets im Fahrbetrieb. Alternativ ist auch eine Lösung auf dem Prüfstand denkbar, allerdings wäre dies sehr aufwendig, was die Ausrüstung der Prüfstützpunkte betrifft. In den höheren Stufen der Automatisierung ab Stufe 3 könnte man sich vorstellen, dass diese Fahrzeuge an eigens dafür ausgelegten Prüfstellen geprüft werden, die über die entsprechenden Einrichtungen verfügen. Auch eine Beteiligung des HU-Adapters ist denkbar. Momentan arbeitet die FSD an einer neuen Version des HU-Adapters, die voraussichtlich ab 2023 zum Einsatz kommt.
asp: Diese neuen Prüfinhalte müssten dann ja auch erst in der Prüfrichtlinie festgeschrieben werden.
J. Wolz: Richtig, die neuen Technologien müssen grundsätzlich in der nächsten EU-PTI-Richtlinie Niederschlag finden. Hier sind wir dabei, vor allem über den internationalen Verband der Prüforganisationen entsprechend mitzuwirken und diese Themen einzubringen. Momentan sind wir ja noch dabei, die letzten Stufen der aktuellen EU-PTI-Richtlinie umzusetzen, deren Endstufe erst im Mai 2023 erreicht ist. Die Folgeregelung wird dann möglicherweise ab 2025 in Kraft treten. Darin wird dann hoffentlich auch der für uns wichtige diskriminierungsfreie Zugang zu sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten eine Rolle spielen.
asp: Abgesehen von einer Lösung für die HU in Bezug auf sicherheitsrelevante Daten wartet die gesamte Branche auf eine Regelung zur Nutzung von Fahrzeugdaten für den IAM. Hier streben die Prüforganisationen die Position eines Trustcenters an. Was heißt das konkret?
J. Wolz: Das Thema Trust Center nimmt Fahrt auf, weil auch auf der Seite des Gesetzgebers erkannt wurde, dass eine tragbare Regelung zur Datennutzung geschaffen werden muss. Das jüngst vom VDA vorgestellte Datenmodell "Adaxo" geht ebenfalls in diese Richtung. Derzeit bewerten wir diesen Vorschlag der Industrie. Es wäre sicher ein sinnvoller Schritt, wenn die Prüforganisationen zusammen mit der Industrie ein tragfähiges Modell für die Nutzung von Daten erarbeiten könnten.
asp: Bei der Abgasuntersuchung ändert sich zum 1. Januar 2023 die Messmethode bei Euro-6-Dieselfahrzeugen: Sind die Prüfstellen schon vorbereitet?
J. Wolz: Wir sind dabei, die TÜV SÜD Prüfstellen und unsere Prüfingenieure im mobilen Einsatz mit den neuen Abgasmessgeräten auszurüsten, und haben unsere Bedarfe bei den Ausrüstern angemeldet. Es könnte aufgrund von Lieferengpässen bei Bauteilen allerdings zu Lieferengpässen bei den Messgeräten kommen. Ob die Geräte flächendeckend bis 1. Januar 2023 verfügbar sein werden, ist daher noch ungewiss. Parallel dazu läuft aktuell die Akkreditierung der Kfz-Werkstätten für die AU im Rahmen der AÜK. Der avisierte Stichtag ist der 01.07.2022, der nach Aussage des ZDK machbar erscheint. Akkreditierte AU-Werkstätten sollten wegen der erwähnten Engpässe bei den Partikel-Messgeräten deshalb rechtzeitig bei den Werkstattausrüstern anfragen.
asp: Sind E-Fuels, also synthetisch hergestellte Kraftstoffe, für den Betrieb von Pkw sinnvoll?
J. Wolz: Wir sind in dieser Frage grundsätzlich technologieoffen, auch wenn E-Fuels wegen des geringen Wirkungsgrades in Verbindung mit dem Herstellungsaufwand kritisch gesehen werden. Wir haben aber eine riesige Bestandsflotte mit Verbrennungsmotor, und wenn man auch nur Teile davon mit E-Fuels betreiben könnte, wäre das ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit. Wenn Bestandsfahrzeuge länger gefahren werden können, ist das die beste Art, um Ressourcen zu sparen. Als Brückentechnologie sehe ich E-Fuels daher als sinnvolle Ergänzung. Auch für Nutzfahrzeuge sind E-Fuels neben der Brennstoffzellen-Technologie eine sinnvolle Alternative.
asp: Wenn Fahrzeuge zur HU kommen, sollen künftig auch Verbrauchsdaten ausgelesen werden. Was steckt dahinter?
J. Wolz: Mit der EU-VO 2018/1832 wird die Repräsentativität der neuen WLTP-Regelprüfverfahren insbesondere für Fahrzeuge mit großen Marktanteilen bewertet. Die Themen Datenschutz und Security spielen eine entscheidende Rolle. Der Anwendungsbereich der neuen Anforderungen für die On-Board-Überwachung des Kraftstoffverbrauchs erstreckt sich in einer ersten Phase auf konventionelle Fahrzeuge und Hybridfahrzeuge, die mit Flüssigkraftstoff betrieben werden, sowie auf extern aufladbare Hybridfahrzeuge, da bisher ausschließlich für diese Antriebsarten entsprechende technische Standards existieren. Elektrofahrzeuge fallen momentan noch nicht unter diese Regelung. Mit Wirkung vom 20. Mai 2023 werden die Daten aus dem praktischen Fahrbetrieb zusammen mit der FIN erhoben, wenn die Fahrzeuge der technischen Überwachung gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2014/45/EU unterzogen werden, es sei denn, der Fahrzeughalter weigert sich ausdrücklich, diese Daten zur Verfügung zu stellen. Das Auslesen ist allerdings kein Teil der Hauptuntersuchung. Es erfolgt nur im Rahmen der HU. Momentan werden Daten nur gesammelt. Die Übermittlung soll erstmalig am 1.4.2022 über die Kopfstelle FSD an die EU-KOM erfolgen.
Interview: Dietmar Winler
- Ausgabe 03/2022 S.42 (102.1 KB, PDF)