Wer sich für den Kauf eines Elektroautos interessiert, hat dabei dessen Reifen nicht wirklich im Sinn. Er vertraut seit jeher auf die Marke, auf denen sein neues Auto vom Hof des Händlers rollt. Erst nach Monaten, wenn der zunehmende Verschleiß zum Handeln zwingt, wird das Thema Reifen plötzlich akut. Michelin, Conti, Goodyear, Dunlop oder ein anderer Reifenbauer – alles Namen, die man schon einmal gehört hat. Der Weg zum nächsten Reifenhändler wird beschwerlich. Fast jeder der vielen Hersteller aus aller Welt hat auch „EV“-Reifen in der Auslage. Einen für ein "Electric-Vehicle" also.
Das Besondere daran: So ein Tesla, ein ID.4 oder ein Porsche Taycan beanspruchen die vier rollenden und immer noch schwarzen Autobeine ganz anders als selbst die hubraum- und leistungsstärksten Verbrenner. Auch hier geht es um den Verschleiß, also die Haltbarkeit der Reifen. E-Autos sind wegen des Gewichts der Batterie schwerer, die Auflage des Reifens wird mehr beansprucht, der Abrieb von Profil und Reifen steigt: Hinzu kommt die extremere Beschleunigung von der ersten Bewegung des Autos an. Auch wenn die Räder nicht durchdrehen, wird Abrieb erzeugt.
Unsicherheit des Normalfahrer
Die Folge ist eine Unsicherheit des Normalfahrer, wann denn die Abnutzung so weit fortgeschritten ist, dass der Reifen gewechselt werden muss. Michelin zitiert eine Studie, dass weltweit gut die Hälfte aller Reifen ersetzt werden, ohne dass diese die Profilgrenze von 1,6 Millimeter erreicht haben. Jährlich sind das rund 400 Millionen Stück, die dann geschreddert werden. Dabei geht es nicht nur um die Fahrsicherheit und Verschwendung von Ressourcen. Fahrzeuge, darunter eben auch Stromer, hinterlassen bei einer Laufleistung von 20.000 Kilometer jährlich im Schnitt 3,5 Kilogramm an Partikeln in ihre Umgebung, zumeist verbrauchtes Gummi.
Der Top-Reifen von Michelin (Crossclimate 2) kommt auf 1,5 Kilo. Bei Hochleistungsreifen für Sportwagen oder schwere SUV kommen sogar acht Kilogramm zusammen. Eine Qual für die Umwelt. Dabei geht die Entwicklung neuer Werkstoffe und Materialien nur langsam voran. In den fünf Jahren zwischen 2015 und 2020 konnte eine Senkung der Partikel von nur fünf Prozent erreicht werden.
Michelin - Keine Spezialreifen für E-Autos mehr
BildergalerieUnd jetzt noch die starken E-Autos, die bei der Entwicklung neben der Langlebigkeit auch andere Kriterien erfüllen müssen. Zum Beispiel der Rollwiderstand, der möglichst so niedrig sein sollte, dass die Reichweite nicht negativ beeinflusst wird und die Abrollgeräusche die leisen Elektroautos nicht beeinträchtigen. Jetzt hat sich Michelin entschlossen, die parallele Entwicklung von Reifen für Verbrenner und E-Autos zurückzufahren. Künftig soll es keinen Unterschied der Leistungsfähigkeit eines Reifen mehr geben. Michelin-Manager Gary Guthrie erklärt die neue Strategie: "Sämtliche Michelin-Reifen sollen künftig für Elektroautos und Verbrenner gleich ausgelegt sein, egal welchen Antrieb sie verwenden."
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Lokaltermin auf dem 450 Hektar grüßen Testgelände von Michelin in Ladoux, zwei Autostunden westlich von Lyon gelegen, hier gibt es 22 Teststrecken. Neben E-Modellen von Mercedes warten mehrere Peugeot 308 auf ihren Einsatz. Teils mit Verbrennungsmotoren teils mit E-Antrieb, mit neuen Reifen aber auch mit solchen, deren Lebensdauer bald vorbei ist. Sollte es feine Unterschiede bei Handling, auf Nässe oder beim flotten Kurvendrift geben, hätte sie ein dezidierter Reifentester sicher herausgefiltert. Für Normalfahrer, also für sicher 95 Prozent der Autofahrer, war kein Unterschied zu spüren. Zumindest was die Leistungsfähigkeit der Reifen betrifft. Eine gute Nachricht für künftige Kunden eines E-Autos. Wenn dessen Reifen altersbedingt nachlassen und ein Neukauf ansteht, muss sich der Käufer nicht nach speziellen Reifen mit dem EV-Logo umsehen. Hier gilt das Motto der drei Musketiere: "Einer für alle".